Damit verwehren die Gerichte Markenherstellern nicht nur Schutz, sondern sie gefährden den Innovationsstandort Schweiz. Der Schweizerische Markenartikelverband Promarca fordert deshalb, die Rechtspraxis zu ändern, zukünftig entschiedener gegen Rufausbeutung vorzugehen und sich an der europäischen Rechtsprechung zu orientieren.
Arbeit, Geld und ein dickes Fell
Die Hersteller bauen ihre Marken in der Schweiz unter grossen Anstrengungen auf. Sei es durch Forschung und Entwicklung, Marketing oder Listungsgelder an den Handel, die Etablierung einer Marke kostet Arbeit, Geld – und ein dickes Fell. Denn kaum ist eine Marke erfolgreich, treten Nachahmer auf den Plan, um ohne Gegenleistung von der Aufbauarbeit zu profitieren. Sie lehnen ihre Produkte mit ähnlicher Verpackung, Form- und Farbgebung so stark an die Originale an, dass sie dem Konsumenten suggerieren, `gleich gut wie´ das Original zu sein. Der abtretende Promarca-Präsident Alexander Jost kritisiert: «Damit beuten Nachahmer Markenwerte wie hohe Qualität, Emotion und Innovation schamlos aus. Eine unfaire Praktik, mit der auch der Konsument hinters Licht geführt wird. Schliesslich bieten Nachahmungen in Realität niemals dasselbe wie das Originalprodukt, egal ob von der Qualität oder den Inhaltsstoffen her.»
Keine Trendwende zu erkennen
Eine Trendwende ist laut den Geschäftsführern der Promarca-Mitgliedsunternehmen nicht absehbar. 34 Prozent gehen laut einer Umfrage davon aus, dass ihre Produkte in Zukunft «zunehmend bis stark zunehmend» von Nachahmungen und Kopien betroffen sein werden. Eine Gefahr für den Innovationsstandort Schweiz, denn werden Missbräuche nicht gezielt bekämpft, schwindet der Anreiz für Unternehmen, in neue Produkte zu investieren und diese auf den Markt zu bringen.
Schweizer Rechtsprechung inkonsequent
Zwar kennt die Schweiz grundsätzlich Vorschriften zur Bekämpfung von Rufausbeutung, doch wenden die Gerichte sie nicht an. In den letzten Jahren wurden mehrere Urteile (Beispiel: Bündner Gerstensuppe Knorr versus Bündner Gerstensuppe Bon Chef, Handelsgericht Aargau, 3. November 2008) öffentlich, deren Tenor lautete: Sobald auf einem Nachahmerprodukt eine eigene Marke angebracht ist, die sich deutlich von der Marke des Originalprodukts unterscheidet, liegt grundsätzlich keine Rufausbeutung vor. Rechtsexperte Prof. Dr. Jürg Simon hinterfragt diese Auffassung: «Die Gerichte halten die Tatbestände der Verwechslungsgefahr und der Rufausbeutung oft nicht klar auseinander.» Denn bei der Rufausbeutung gehe es eben gerade nicht darum, dass der Konsument zwei Produkte miteinander verwechselt; sondern darum, dass Marktleistungen und -investitionen der Originale durch Nachahmerprodukte als `free rider´ übernommen werden. «Dadurch können die Markenreputation der Originale beschädigt und wirtschaftliche Werte vernichtet werden», mahnt Simon.
Die europäische Gerichtspraxis anerkennt Rufausbeutung
Vorreiter im Kampf gegen Rufausbeutung – zumindest im Falle berühmter Marken – ist der Gerichtshof der Europäischen Union. Er gab einer Klage der Kosmetikgruppe L’Oréal recht, die sich in Grossbritannien gegen mehrere Nachahmer wehrte. Das Urteil vom 18. Juni 2009 lautete: Die Verwendung ähnlicher Verpackungen und Produktgestaltungen ist unzulässig, auch wenn diese Nachahmerprodukte andere Namen tragen als das Original und daher Verwechslungsgefahr für den Konsumenten ausgeschlossen ist. Ein Urteil, das der Sichtweise von Schweizer Gerichten deutlich widerspricht.
Promarca fordert Schweizer Gerichte zu einem härteren Vorgehen auf
Promarca-Direktorin Anastasia Li-Treyer hat daher klare Forderungen: «Wir verlangen von der Schweizer Rechtspraxis, dass sie das Problem der Rufausbeutung erkennt, sich an der europäischen Rechtsprechung orientiert und so den Innovationsstandort Schweiz schützt.» Noch im Jahr 2000 habe das Bundesgericht im Fall Rivella/Apiella (Urteil 126 III 315 E. 6.b.aa) dementsprechend entschieden, doch seither sei die Schweiz vom richtigen Weg abgewichen. «Mit der aktuellen Rechtsprechung ist jeder Schutz von Originalprodukten gegen Rufausbeutung illusorisch», stellt Li-Treyer klar. «Dabei kann die Höhe des Schadens durch Markenrechtsverletzungen und der daraus resultierende Markenwertverlust in Franken berechnet werden. Die Verfahren zur Markenbewertung wurden international standardisiert und liefern somit verlässliche Ergebnisse», wie Dr. Gerhard Hrebicek, Experte für die Bewertung von immateriellen Vermögensgegenständen und Vorstand des European Brand Institute, erklärte. (promarca/mc/ps)