Seedamm Kulturzentrum: 68 – Zürich steht Kopf
Ein kleiner Prolog ist der «Zürcher Schule der kleinen Wahnwelt» gewidmet, einer vom Schriftsteller Paul Nizon so genannten losen Gruppierung von Malern, deren Mittelpunkt Friedrich Kuhn und deren Erzvater (Nizon) Varlin war. Der heisse Zürcher Sommer 1968 fand auf der Strasse und in Vollversammlungen, kaum aber in den Ateliers statt. Es sind – wie die Ausstellung zeigt – die Plakatkünstler, Fotografen und Filmer, die unmittelbar und am authentischsten auf die Revolte reagieren.
Radikaler Bruch
Im Spätwinter 1967/1968 zeigte das Kunsthaus Zürich die Ausstellung «Wege und Experimente». Aus der damaligen Ausstellung stammen Werke von Markus Raetz, Urs Lüthi und Max Wiederkehr. Wer wollte oder konnte, ahnte oder realisierte es in der Ausstellung «Wege und Experimente», dass ein radikaler Bruch bevorstand. Neben dem Gemalten, Gezeichneten, dreidimensional Geformten hat schon bald auch in der Schweiz die Fotografie, Video, die Aktions- und Konzeptkunst einen gleichberechtigten, gleichwertigen Platz eingenommen.
Rosina Kuhn, Zürich 1940.
Eine kleine Abteilung ist der phantastisch-surrealen Kunst von H.R. Giger und Franz Anatol Wyss reserviert, Zürcher Künstlern, die um 1968 ihren Durchbruch schafften. Eigens für diese Ausstellung hat Martin Schwarz seinen damaligen Wohnraum rekonstruiert. Die 68er-Attacke auf hierarchische Ordnungen spiegelt sich u.a. in der Objektkunst: wertlose Fundgegenstände und Abfallmaterialien bekommen Kunststatus.
Die Zürcher 68er-Revolte entzündet sich an der Forderung nach einem Autonomen Jugendzentrum, an einem kulturpolitischen Anliegen. Bei den Mitgliedern der Produzentengalerie PRODUGA führte der 68er-Auf- und Umbruch zu einer expliziten Politisierung ihrer Kunst. 1968 sprengte die Kunstkonventionen. Das zeigt sich besonders deutlich bei Absolventen der F+F-Klasse, die bis 1970 in die Kunstgewerbeschule Zürich integriert war und sich 1971 als private Schule für experimentelle Kunst neu konstituierte.
«1968» ermutigt viele Kunstschaffenden, unbeirrt ihren eigenen Weg zu gehen
Von nun an, bis heute, zeigt sich ein vorher nie gekannter Stil- und Inhaltspluralismus. Dies macht die Werkfolge im grossen Neubauraum sichtbar. Während die Ausstellung die Zürcher Kunst um 1968 in den Vordergrund stellt, geht das gleichnamige, 255-seitige Begleitbuch auf die verschiedensten kulturellen Aspekte ein. (mc/th)