von Gérard Al-Fil
Sir Anthony, der Gerichtshof im Dubai International Financial Centre, DIFC Courts, denen Sie als Chief Justice vorstehen, wurde gerade um sechs neue Richter erweitert. Welche Kriterien waren bei der Ernennung Ihrer neuen Kollegen entscheidend?
Wichtig war, dass jeder Richter die entsprechende Erfahrung mitbringt, die ein Gerichtshof für Fälle aus der Finanzwelt mit internationalem Charakter benötigt. In England und Wales, dort wo ich herkomme, haben wir es aufgrund des wirtschaftlichen Umfelds als internationales Bankenzentrum per se mit Finanzdelikten zu tun. Und dies gilt auch für die neuen Richter. Das zweite Kriterium war die Herkunft der Richter. England ist nicht das einzige Land, in dem das englische Common Law gilt, das sich auf Präzedenzfälle stützt. Im Fernen Osten gilt es auch in Neuseeland, Australien und Hongkong, Indien, London, Kanada und auch in den Vereinigten Staaten, obgleich sich die US-Gesetze anders entwickelt haben als das Common Law. Deshalb haben wir im Moment Richter aus Neuseeland, Singapur, Malaysia, und drei aus England. Ausserdem haben wir zwei einheimische Emiratis als Richter, die ersten, die sich in den VAE mit dem Common Law auseinander setzen. Stolz kann das DIFC sein auf die Berufung der ersten Richterin in den Emiraten überhaupt, Frau Tan Seri Yakoob aus Malaysia. Wir sind ausserdem bestrebt, bald einen weiteren Richter aus Australien in unser Team mit aufzunehmen.
Wie genau lief der Rekrutierungsprozess für die neuen Richter ab?
Ich selber habe entsprechende Empfehlungen an Dubais Regent, Seine Hoheit Scheich Mohammed bin Raschid al-Maktoum übermittelt. Dies geschah über Seine Exzellenz Dr. Omar bin Sulayman, dem Gouverneur des DIFC. Aufgrund meiner Empfehlungen wurden dann die sechs neuen Richter ernannt.
Lassen Sie uns bitte über die Tätigkeit des Gerichts sprechen. Wie viele Fälle hat der Gerichtshof im letzten Jahr behandelt?
Im letzen Jahr haben wir acht grössere Fälle bearbeitet. Insgesamt hatten wir 31 Streitfälle. Einer der grösseren Fälle führte im vergangenen August zur Liquidierung des britischen Asset Managemers Forsyth Partners aufgrund von Kapitalunterdeckung. Die vom Gericht angeordenete Liquidation zog etwa 21 arbeitsrechtliche Fälle nach sich. Dies waren Anspruchsklagen ehemaliger Forsyth-Mitarbeiter. Darunter befanden sich auch kleinere Fälle, bei denen es um Ansprüche bis zu 100’000 Dirham (etwa 29’850 Franken) ging. Diese Ansprüche mussten wir zu einen Fall bündeln, weil das Minimum bei einer Klage bei 100’000 Dirham liegt. Deshalb haben wir neben den zwei Instanzen der DIFC Courts und dem Court of Appeal ein Small Claims Tribunal etabliert. Ich denke, wir müssen uns in Zukunft auf vergleichbare Fälle einstellen…
…weil Sie mehr und mehr Unregelmässigkeiten im DIFC beobachten?
Nein, ganz einfach weil erstens die Zahl der lizenzierten Firmen stetig steigt und zweitens, weil die internationale Börse DIFX mehr Listings in diesem Jahr erwartet. Auch für die DIFX sind die DIFC Courts im Fall eines Falles zuständig. Die Anhörungen sind öffentlich. Wir können aber niemanden zu einer Gefängnisstrafe verurteilen, sondern müssten, falls das Kriminalitätsrecht der VAE tangiert würde, das Gericht des Emirats Dubai einschalten.
Worin besteht für Sie persönlich als erfahrener Richter die spezielle Herausforderung Chief Justice der DIFC Courts zu sein?
Es ist eine wunderbare und anspruchsvolle Aufgabe und Herausforderung. Der Aufbau der DIFC Courts geschah buchstäblich auf dem Reissbrett: wir benötigten einen Gerichtssaal und ein Richter-Kollegium. Wir können eigentlich erst jetzt in dieser Woche mit der Ernennung der sechs neuen Richter, die zu Deputy Chief Justice Michael Hwang und zu mir hinzu stossen, sagen, dass alles so steht, wie zu Beginn geplant.
Besteht eine Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof im Qatar Financial Centre (QFC) in Doha, den Sie auch als «Sister Court» der DIFC Courts bezeichnen?
Bislang ist es noch nicht zu einer Zusammenarbeit aufgrund spezifischer Fälle gekommen, weil im QFC, so glaube ich, bislang noch keine Streitfälle vorlagen.
Ein Beispiel, bei dem es in Zukunft zu einer Zusammenarbeit kommen könnte wäre, dass der Chief Justice der QFC Courts, Lord Woolf, ein ehemaliger Kollege und werter Freund von mir, mich bitten würde, als unabhängiger Richter dem Appellationsgericht im QFC vorzusitzen und umgekehrt.
Sie sind nicht in Dubai ansässig, sondern weiterhin in Ihrer Heimat London. Wie oft pendeln Sie eigentlich nach Dubai im Jahr?
Im letzten Jahr bin ich fünf bis sechsmal nach Dubai gereist. Ich rechne aber damit, dass sich meine Reisefrequenz in diesem Jahr aus besagten Gründen erhöhen wird. Mit der Erweiterung der DIFC Courts auf nunmehr acht Richter, mich eingeschlossen, kann das Gericht flexibler operieren und mindestens einmal pro Monat zusammenfinden.
Der Gesprächspartner:
Sir Anthony Evans wurde im April 2005 zum Obersten Richter (Chief Justice) der DIFC Courts ernannt. Die DIFC Courts sind für Dispute innerhalb der Banken-Free Zone Dubai International Financial Centre (DIFC) zuständig, wo sich bislang 162 Finanzdienstleister und 438 sonstige Firmen niedergelassen haben. Sir Anthony wurde 1971 Queen’s Council und 1972 Protokollant am Crown Court. Er war von 1984 bis 1992 High Court judge in England und Wales und von 1992 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2000 Lord Justice of Appeal als Mitglied des Berufungsgerichts. Vor seiner Ernennung zum Chief Justice der DIFC Courts war der Brite mit tadellosen Umgangsformen praktizierender Anwalt für Wirtschaftsrecht. Er ist auch Mitglied des Berufungsgerichts in Bermuda.