Der Hurrikan «Andrew» verursachte 1992 in den USA Schäden von 17 Milliarden Dollar, trieb 63 Versicherungen in den Ruin und riss Löcher in die Kapitaldecken etlicher Erst- und Rückversicherungsgesellschaften. Der Schaden wäre noch massiv höher ausgefallen, hätte «Andrew» beispielsweise Miami getroffen. Die Versicherungsindustrie musste handeln. Das Chicago Board of Trade führte die ersten Insurance Linked Securities ein. Eine Abwälzung der Katastrophenrisiken an den Kapitalmarkt schien die Lösung zu bringen. Nach einigen wenig erfolgreichen Instrumenten, wurden 1996 Katastrophenanleihen (Cat Bonds) eingeführt und erfolgreich umgesetzt.&
Patentlösung für alle Beteiligten
Die Versicherer können sich durch die Ausgabe von Cat Bonds vor drohender Illiquidität bei Katastropheneintritt schützen. Nebst der Versicherung selbst, kommt dies vor allem den Menschen, die eine Katastrophe erleiden, zu gute. Die Investoren andererseits, können derweil von attraktiven Anlagemöglichkeiten profitieren, solange die Katastrophe ausbleibt. Eine Patentlösung. Im Detail funktioniert ein Cat Bond folgendermassen: Im Falle des Eintritts einer zuvor genau definierten Katastrophe kann sich der Emittent der betreffenden Anleihe je nach Schadensausmass einen Teil oder den ganzen eingezahlten Nominalbetrag ausschütten lassen. Dies entlastet die Bilanz der Versicherungsgesellschaft. Der Investor hingegen wird für das eingegangene Risiko mit einer Zinszahlung entschädigt, die im Durchschnitt 3 bis 4 Prozent über dem Geldmarkt (Libor) liegt. Zum Dreimonatssatz-Libor kommt für institutionelle Investoren ein Renditeaufschlag (Spread) von oft über 4,5 Prozent hinzu. Die Wahrscheinlichkeit, dass man mit Cat Bonds Geld verliert ? also die Ausfallquote einer Katastrophenanleihe ? liegt bei durchschnittlich 0,7 Prozent.
2005 ? das teuerste Jahr aller Zeiten
Dass die Versicherungen teure Zeiten durchleben, zeigt die Statistik des Jahres 2005. Es war das teuerste Jahr seit Statistikerhebung. Gemäss Swiss Re starben 112 000 Menschen bei Naturkatastrophen und von Menschen verursachten Unglücken. Der finanzielle Gesamtschaden beläuft sich auf rund 225 Milliarden Dollar. Weltweit konnte gut ein Drittel der Gesamtschäden, also rund 80 Milliarden Dollar, durch Versicherungen gedeckt werden? eine Rekordhöhe. Allein der Hurrikan «Katrina» dürfte die Versicherer 45 Milliarden Dollar kosten. Die Auslagerung von Risiken an den Kapitalmarkt gewinnt aufgrund dieser Dimensionen weiterhin an Bedeutung. Niklaus Hilti, Spezialist für Cat Bonds bei der Bank Leu: «Das ausstehende Vermögen aller Cat Bonds weltweit beläuft sich gegenwärtig auf etwa 5,3 Milliarden Dollar. Wir erwarten jedoch ein weiteres starkes Wachstum im Jahr 2006.»
Kein Investorenappetit auf Terrorrisiken
Die Bank Leu hat 2002 einen Cat-Bond-Fond auf den Markt gebracht, der in der Schweiz auch an Private verkauft wird. Aufgrund des grossen Erfolges gibt es heute bereits deren drei. Der Neuste ist auch für so genannte «Man-Made-Risiken» geöffnet, also Risiken, die von Menschenhand ausgelöste Katastrophen mit einbeziehen. Niklaus Hilti: «Im Fachjargon sprechen wir von ?Extreme Mortality Bonds?. Diese decken erhöhte Sterblichkeit in Folge von Pandemien oder Krieg ab. Unsere Spezialität sind Bonds, die Risiken aus der Luftfahrt ? beispielsweise der Zusammenstoss zweier Flugzeuge ?, Explosionen in Pipelines, Feuer in Industriebetrieben und Abstürze von Satelliten abdecken.» Auf die Frage, ob sich auch Terrorrisiken verbriefen lassen, erklärt Hilti: «Ja, wir könnten auch Derivate auf Terrorrisiken strukturieren, jedoch hält sich hier der Investorenappetit in Grenzen, weil in diesem Bereich die Korrelation zu den Finanzmärkten am stärksten gegeben ist. Dasselbe gilt auch für Pandemie Bonds.»
Abhängigkeit besteht nur in einer Richtung
Korrelation ist jedoch der Feind eines jeden Investors. Da ein grösserer Terrorakt wahrscheinlich negativen Einfluss auf die Finanzmärkte nimmt, erleidet ein Anleger, der nebst Aktien auch noch einen Terrorrisiken-Bond hat, einen doppelten Verlust. Könnte dasselbe nicht auch bei Naturkatastrophen geschehen? Dazu Nilklaus Hilti: «Man muss bedenken, dass eine Korrelation normalerweise aus der Abhängigkeit in zwei Richtungen entsteht. Bei Cat Bonds hingegen ist Abhängigkeit eindimensional, denn ein negativer Finanzmarkt wird niemals einen Hurrikan auslösen. Eine unerwünschte Auswirkung dieser einseitigen Abhängigkeit besteht in Ausnahmefällen, beispielsweise wird einem Erdbeben in Silicon Valley und Einfluss auf den NASDAQ nehmen oder ein starkes Erdbeben in Tokio auf Japanischen Anleihen. Typischerweise ist jedoch eher das Gegenteil der Fall, Kapitalmärkte profitieren beim Eintritt von Naturkatastrophen vom Anstieg des BIP und vom erhöhten Konsum.»
Cat Bonds als Alternative
Nebst dieser relativen Unabhängigkeit von den traditionellen Aktien- und Anleihemärkten besteht ein weiterer Vorteil von Cat Bonds darin, dass sie gerade in Zeiten steigender Zinsen eine echte Alternative darstellen, da sie keinem Zinsänderungsrisiko unterliegen. Sie eignen sich zudem zur Portfoliodiversifikation. Allerdings nur, wenn man die Risiken geschickt verteilt und nicht fünf Bonds kauft, die sich alle auf Stürme in Europa beziehen.
Die Zeichen stehen auf Sturm
Die seit den Neunzigerjahren messbare Warmphase und die erhöhten Hurrikanaktivitäten lassen laut Experten darauf schliessen, dass eine baldige Trendwende nicht in Sicht ist. Erschwerend kommt hinzu, dass einerseits die Besiedlungsdichte zunimmt und zudem weiterhin auch in gefährdeten Zonen stark gebaut wird. Derzeit werden Naturkatastrophen vor allem in Regionen mit hoher Versicherungsdichte und grosser Wertkonzentration verbrieft. Man fürchtet primär Erdbeben in Japan, Stürme in Europa, Hurrikane an der Ostküste der USA oder Erdbeben in Kalifornien. Das Geschäft mit den Emerging Markets ist deshalb noch klein. Hilti: «Es gibt einen Cat Bond, der das Erdbebenrisiko in Taiwan abdeckt. Ansonsten weisen Emerging Markets geringe Versicherungsdichten auf und müssen deshalb noch kein Versicherungsrisiko in den Finanzmarkt transferieren. In Zukunft wird sich das ändern.» Dadurch, dass die Zeiger auf Sturm stehen und weitere Regionen der Erde durch Wirtschaftswachstum zunehmend versicherungsbedürftig werden, stehen Cat Bond erst am Anfang ihrer Karriere.
Lässt sich Risiko berechnen?
Risiko ist generell definiert als eine mögliche Gefahr, deren Grösse durch die Formel Schadenspotenzial mal Eintrittsfrequenz gegeben ist. Anhand eines einfachen Beispiels kann man aufzeigen, wie das Prinzip funktioniert. Nehmen wir an, bei einem Würfelspiel entspricht die Zahl sechs einer Naturkatastrophe. Es ist nicht möglich, vorherzusagen, wann die Sechs fällt. Jedoch kann man mit einer grossen Wahrscheinlichkeit sagen, dass bei 600 Würfen die Anzahl geworfener Sechser um 100 herum betragen wird. Für die Risikokalkulation ist das Prinzip nun dasselbe, aber die Wahrscheinlichkeit ist schwieriger einzuschätzen. Der wichtigste Grund dafür ist, dass die Ereignisstatistiken der Naturkatastrophen erst eine kurze Geschichte haben. Somit kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Vergangenheit, von deren Modellen die Risikoexperten ausgehen müssen, für die Zukunft gar nicht repräsentativ ist. Die Nicht-Voraussagbarkeit ist denn auch eine Grundvoraussetzung dafür, dass solche Gefahren überhaupt versichert werden können. (Credit Suisse emagazine/mc)