«Ein unmittelbares Ende des schwachen Marktumfelds für Stahlhersteller ist nicht in Sicht», sagt Analyst Nils Lesser von Merck Finck & Co. Das Marktforschungsinstitut MEPS erwartet erst im Frühjahr kommenden Jahres eine Aufhellung der Lage.
Überhöhte Lagerbestände
Grund für die «Delle» sind vor allem überhöhte Lagerbestände bei Kunden. Die hohe Nachfrage aus China hatte bei Händlern und Kunden der europäischen Stahlkocher aus Angst vor einer Knappheit von Stahlprodukten zu «Hamsterkäufen» geführt. In der Folge liessen die hohen Lagerbestände die Nachfrage nach Stahlprodukten sinken. Gleichzeitig fuhr China die eigene Produktion nach oben und musste daher weniger importieren, was zu einem Überangebot von Stahl führte. Zudem haben die Konzerne weiter mit unverändert hohen oder sogar steigenden Rohstoffkosten zu kämpfen. Kurz: Der Stahlboom flachte ab – wenn auch auf hohem Niveau.
Nachfrageschwäche hinterlässt Spuren
Zwar fuhren die europäischen Stahlkocher im ersten Halbjahr weiterhin durch die Bank Rekordergebnisse ein. Arcelor-Chef Guy Dolle sprach von den «besten Zahlen, die Arcelor jemals erreicht hat». Deutschlands Branchenprimus ThyssenKrupp hob am Freitag die Gewinnprognose für das Gesamtjahr an. Und Salzgitter-Chef Wolfgang Leese nannte das Ergebnis im ersten Halbjahr «exorbitant». Er rechnet auch für das Gesamtjahr mit einem «sehr guten» Resultat. Leese betonte allerdings: «Dieses Ergebnis kann nicht Benchmark der Ergebnisse der Folgezeit sein.»
Produktionsdrosselung
Die Nachfrageschwäche hinterlässt bereits ihre Spuren: Um die Preise stabil zu halten, mussten die Hersteller im abgelaufenen Quartal und auch im laufenden Jahresviertel ihre Produktion drosseln – und rechnen zum Teil darüber hinaus mit weiteren Kürzungen. «Für das vierte Quartal ist noch nichts beschlossen, weitere Kürzungen auf dem Niveau des dritten Quartals liegen aber im Rahmen des Möglichen», sagt ein Sprecher von Deutschlands zweitgrösstem Stahlhersteller Salzgitter. Zudem sind trotz unverändert hoher Rohstoffkosten keine weiteren Erhöhungen der Stahlpreise in Sicht.
Erholung bis Ende Jahr
Nach Meinung des britischen Marktforschungsinstituts MEPS wird sich dies erst Anfang kommenden Jahres ändern. «Mit einer erneuten Belebung der Stahlpreise ist erst im zweiten Quartal 2006 zu rechnen», hiess es. Voraussetzung sei, dass die von der chinesischen Führung ergriffenen Massnahmen zur stärkeren Kontrolle der Stahlbranche griffen. Die Stahlkocher sind da optimistischer: Sie rechnen bereits zum Ende des Jahres mit einer Entspannung der Lage. ThyssenKrupp-Chef Ekkehard Schulz äusserte sich optimistisch zum weiteren Jahresverlauf. Bis Ende 2005 würden sich die Lagerbestände normalisieren, sagte er. Auch Salzgitter rechnet mit einer Erholung zum Jahresende. Und Arcelor-Chef Dolle sieht sogar eine Chance für eine leichte Anhebung der Preise im vierten Quartal. Die Auftragslage habe sich bereits im Juni gebessert, sagte er.
Entscheidung im Herbst
Ungeachtet dessen, ob die Entspannung der Märkte noch in diesem Jahr eintritt oder nicht, eines wird das vierte Quartal nach Ansicht eines Branchenexperten auf jeden Fall sein: Ein Wegweiser für die weitere Entwicklung auf dem Stahlmarkt. «Dann dürften sich die Verhältnisse nämlich nach Boom und Abschwächung zumindest wieder einigermassen normalisiert haben und man kann erkennen, wie es in Zukunft weitergeht.»
Mehr Disziplin
In der Vergangenheit hatten hohe Stahlpreise immer wieder zu einem Überangebot von Stahl und damit zu einem Preiseinbruch geführt. Die Vorstände von Thyssen, Arcelor und Salzgitter haben sich aber trotz der hohen Preise Disziplin auferlegt. «Die Fehler aus der Vergangenheit werden wir nicht wiederholen», sagten sie einstimmig. (awp/mc/as)