Dies geht aus dem am Dienstag auf der Website der Bundeskanzlei veröffentlichten Rechtsgutachten hevor. Demnach muss die Bestimmung, dass die Schweiz aufgrund von gestohlenen Bankkunden-Daten keine Amtshilfe leistet, nach Ansicht der Juristen des Bundesamts für Justiz, im Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) selber oder in einem Zusatzprotokoll enthalten sein. Es genügt nicht, die Bestimmung in eine Verordnung über das Amtshilfeverfahren aufzunehmen, um sie einem Vertragsstaat entgegen zu halten. Ausserdem könne sich der Bund nicht mit einem Verweis auf den Ordre public begnügen. In der Bestimmung müssten die Tatbestandselemente aufgezählt werden, bei denen eine strafrechtswidrige Informationsbeschaffung anzunehmen sei.
Graue oder schwarze Listen drohen erneut
Vorschriften des Bundes, wonach einem ausländischen Amtshilfeersuchen nicht entsprochen wird, wenn es auf gestohlenen Informationen beruht, gewähren nämlich nur einen beschränkten Schutz. Vor einem Gericht in der Schweiz kann der Vertragsstaat eine so begründete Ablehnung in der Schweiz zwar nicht anfechten, aber er kann andere Reaktionen erwägen. Dem von der Eidg. Steuerverwaltung bestellten Gutachten zufolge könnte der Vertragsstaat die im DBA vorgesehenen Streitbeilegungsverfahren einleiten. Auch diplomatische Demarchen oder völkerrechtliche Retorsionsmassnahmen sind denkbar. Nicht ausgeschlossen ist auch, dass ein Vertragsstaat bei den G20-Ländern darauf hinwirkt, dass die Schweiz wieder auf eine graue oder schwarze Liste der nicht-kooperativen Länder kommt.
Skizziertes Vorgehen gilt nur für Zukunft
Geht es nach den Gutachtern, muss die Schweiz aber in Bezug auf die in der Sommersession vom Parlament gutgeheissenen zehn DBA – unter anderem mit Frankreich und den USA – dennoch nicht über die Bücher. Das skizzierte Vorgehen könne «nur für die Zukunft» gelten, schreiben sie. Das Parlament hat die juristischen Vorbehalte in gewisser Weise bereits berücksichtigt. In den Genehmigungsbeschlüssen verlangte das Parlament vom Bundesrat, bei den Vertragsstaaten eine Erklärung einzufordern, dass sie von der schweizerischen Rechtsauffassung Kenntnis genommen haben.
Merz: Rechtsauffassung nicht verhandelbar
Frankreich, das in den Besitz von gestohlenen Daten der Genfer Privatbank HSBC gelangt war, hat bislang als einziger der zehn Vertragsstaaten eine solche Erklärung abgegeben, wie der Sprecher des Finanzdepartements, Roland Meier, der Nachrichtenagentur SDA sagte. Im Hinblick auf die Unterzeichnung des neu verhandelten DBA mit Deutschland laufen noch Diskussionen über eine solche Erklärung. Wie Meier weiter erklärte, ist offen, ob der Bundesrat bei künftigen DBA die Empfehlung der Juristen berücksichtigen wird. Das bisherige Vorgehen hatte Finanzminister Hans-Rudolf Merz damit begründet, dass diese Rechtsauffassung der Schweiz nicht verhandelbar sei und darum auch nicht in die Abkommen gehöre.
Bisherige Rechtsgrundlage bedarf Überholung
So oder so wird der Bundesrat laut Meier noch diesen Monat die Amtshilfeverordnung erlassen. Später legt er ein Amtshilfegesetz vor. Die bisherige Rechtsgrundlage stammt aus den 1950er-Jahren und bedarf einer grundlegenden Überholung. Geregelt werden darin aber nur Zuständigkeits- und Verfahrensfragen. Zu klären sind insbesondere Fragen der Zwangsmassnahmen und deren Grenzen. Die Juristen sind nicht die ersten Kritiker des bundesrätlichen Vorgehens. Bereits in der Anhörung zum Verordnungsentwurf hatten die bürgerlichen Parteien und die kantonalen Finanzdirektoren letzten April Zweifel angemeldet, dass der Weg über eine Verordnung oder ein Gesetz reicht. (awp/mc/ps/15)