Swissair-Prozess: FREISPRUCH für alle Angeklagten

Gleichzeitig erhalten die Freigesprochenen hohe Entschädigungs-Zahlungen. Die Staatsanwaltschaft ist mit ihrer Anklage beim Bezirksgericht Bülach in keinem einzigen Punkt durchgedrungen. Einen Freispruch nach dem anderen verlas der Gerichtsvorsitzende Andreas Fischer am Donnerstagmorgen in der nur mässig besetzten Stadthalle Bülach. Die Angeklagten – von denen der letzte Swissair- Chef Mario Corti und mehrere andere fehlten – nahmen das Urteil ruhig auf, die Erleichterung äusserte sich nur in einzelnen Händedrucken mit ihrem Verteidiger.

Prozessentschädigungen von über 3 Mio CHF
Neben den Freisprüchen sprach das Gericht den Angeklagten auch Prozessentschädigungen in Höhe von insgesamt über 3 Mio CHF zu. Bei Corti und einigen weiteren Angeklagten erkannte das Gericht allerdings in mehreren Punkten auf fahrlässiges Handeln und brummte ihnen daher einen Anteil an den Gerichtskosten auf.

Ursache des «Groundings» erforscht
Vor dem Strafgericht sei es nicht um die vollständige Aufarbeitung der Swissair-Geschichte gegangen, betonte Fischer in seiner Urteilsbegründung: Es habe auch die Ursache des «Groundings» der Swissair-Flotte erforschen müssen. Das Gericht habe lediglich die angeklagten Punkte zu beurteilen gehabt.

Vorwürfe gegen SAirGroup-Verwaltungsräte umfassend zurückgewiesen
Die Anklagepunkte verhielten für das Gericht allerdings nicht. Vor allem die Vorwürfe gegen die ehemaligen SAirGroup- Verwaltungsräte von 2000/2001 wies das Gericht umfassend zurück. Dabei ging es um eine Zahlung an die marode belgische Fluggesellschaft Sabena sowie eine Umstrukturierung des Konzerns. Mit der Zahlung von 150 Mio EUR an die Sabena habe der Konkurs der belgischen Gesellschaft vermieden werden können, so das Gericht. Zudem habe der belgische Staat auch mit einer Torpedierung der damals hängigen bilateralen Verträge EU-Schweiz gedroht. «Die Anklage gehe davon aus, dass eine Nichtbezahlung keine Folgen gehabt hätte», kritisierte Fischer.

Verschiebung von Beteiligungen: Vertretbar
Auch die Verschiebung von Beteiligungen innerhalb von SAirGroup-Tochtergesellschaften erachtete das Gericht als vertretbar. Die Staatsanwaltschaft hatte einen Schaden aus der Konzernrestrukturierung von über 2,5 Mrd CHF für die SAirGroup geltend gemacht.

«Es hat noch Hoffnung bestanden»
Ebenfalls nicht folgen konnte das Gericht den Argumenten der Anklage, dass der letzte Swissair-Chef Mario Corti bereits am 17. September 2001 die Nachlassstundung hätte einreichen müssen statt erst am 4. Oktober. Es habe noch Hoffnung bestanden, dass die Banken und der Staat dem Konzern noch zur Hilfe kommen würden, meinte Fischer. Etwas mehr Zweifel zeigte das Gericht bezüglich anderer Anklagepunkte: So seien Aussagen Mario Cortis an der Generalversammlung über den bevorstehenden Abschluss eines Milliardenkredits für die SAirGroup tatsächlich falsch gewesen. Er habe dabei aber wohl nicht vorsätzlich die Unwahrheit gesagt.

«Im Zweifel für den Angeklagten»
Auch bei einigen Zahlungen an Gläubigern in der Zeit um die Nachlassstundung entschied das Gericht «im Zweifel für den Angeklagten». Als nicht zuständig erachtete sich das Gericht zudem bezüglich der behaupteten Schädigung der polnischen Fluggesellschaft LOT.

Freispruch für Eric Honegger
Ebenfalls einen Freispruch gab es schliesslich für den ehemaligen SAir-Verwaltungsratspräsidenten und alt Regierungsrat Eric Honegger bezüglich Steuerbetrug. Das Gericht ging hier davon aus, dass sich Honegger beim Ausfüllen seiner Steuererklärung lediglich geirrt hat.

Freisprüche nicht überraschend

Für die Swissair-Experten der Parteien kommen die Freisprüche nicht unerwartet. Von der Schuld des Verwaltungsrates und der Konzernleitung am Swissair-Grounding sind sie aber nach wie vor überzeugt. Die Hoffnungen richten sich auf die Zivilprozesse.

Nationalrat Vischer: Fordert PUK
Ein Strafprozess sei nicht geeignet, das Debakel um das Grounding der Swissair zu klären, sagte Nationalrat Daniel Vischer (Grüne/ZH), der bei der Gewerkschaft VPOD für die Luftfahrt zuständig ist, auf Anfrage der Nachrichtenagentur SDA. Es gehe um zivilrechtliche, politische und moralische Fragen. Die Anklage sei wie ein Kartenhaus eingestürzt. Der Staat müsse sich die Frage gefallen lassen, warum er einen solchen Prozess durchgeführt habe. Es sei absehbar gewesen, dass es zu Freisprüchen und Entschädigungszahlungen kommen würde. Vischer fordert eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK). Nur diese könne die Ursachen des Groundings klären. Ausserdem stünden nun die zivilrechtlichen Prozesse an. Auf diese liessen die Urteile keine Schlüsse zu.


Ständerat Stadler: «VR und Management trifft die volle Verantwortung»
Auch Ständerat Hansruedi Stadler (CVP/UR), der als Präsident der Geschäftsprüfungskommission (GPK) die Untersuchung geleitet hatte, legt Wert auf diesen Punkt. Das Strafverfahren sei nur die Aufwärmrunde für den Zivilprozess gewesen, sagte Stadler. Die Freisprüche bedeuteten, dass kein strafrechlicher Tatbestand vorliege. Der Verwaltungsrat und das Management treffe dennoch «die volle und uneingeschränkte Verantwortung» für das Debakel. Eine PUK lehnt Stadler ab. Die Swissair sei ein privates Unternehmen gewesen. Nicht der Bund habe das Debakel verursacht.

Nationalrätin Leutenegger Oberholzer: PUK nicht das richtige Mittel
Dieser Ansicht ist auch Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer (SP/BL). Die Verantwortung liege nicht beim Bund, eine PUK sei damit nicht das richtige Mittel. Der Staat sei nicht darum herum gekommen, einen Strafprozess durchzuführen. Der Bevölkerung die Urteile zu erklären, sei nun allerdings schwierig. An der geschäftspolitischen Verantwortung der Konzernleitung und des Verwaltungsrates änderten die Freisprüche indes nichts, sagte Leutenegger Oberholzer. Auch sie verwies auf die Zivilprozesse.

Nationalrat Kaufmann: Fehlende politische Aufarbeitung
Nationalrat Hans Kaufmann (SVP/ZH) bilanzierte: «Die Kleinen hängt man, die Grossen lässt man laufen.» Die Freisprüche überraschten ihn nicht. Es sei schwierig, jemanden bei falscher Geschäftsführung schuldig zu sprechen. Zumindest bei den Verantwortlichen für das Rechnungswesen hätte er Schuldsprüche erwartet, da ja die Werthaltigkeit des Unternehmens nicht mehr gegeben gewesen sei. Hier habe sich deutlich gezeigt, dass ein Gutachter «dem anderen kein Auge aushackt». Vielleicht seien die Gerichte mit derartigen Fällen überfordert. Stossend sei die fehlende politische Aufarbeitung, sagte Kaufmann. Dafür fordere die SVP eine PUK, sei damit in der Nationalratskommision aber gescheitert. Abzuklären sei die Verantwortung des Bundesamts für Zivilluftfahrt, das über die Solvenz der Airlines achten müsste. Vischers Forderung nach einer PUK bezeichnete Kaufmann als Spiegelfechterei. Wollten die Grünen wirklich eine PUK, hätten sie die Forderung der SVP unterstützt. Vischer sei ein «Plauderi», wollte Kaufmann zitiert werden.

Nationalrat Bührer: Interesse an «Rechtshygiene» wichtiger als Kosten
Nationalrat und economiesuisse-Präsident Gerold Bührer (FDP/SH) sagte, die Freisprüche überraschten ihn nicht. Schon im Vorfeld sei diskutiert worden, ob Straftatbestände vorlägen. Im Sinne der Gewaltentrennung habe die Politik die Urteile zu respektieren. Der Strafprozess machte für Bührer Sinn: In einer Güterabwägung sei das Interesse an der «Rechtshygiene» höher zu gewichten als die Kosten. Hätte kein Strafprozess stattgefunden, wären stärkere Frustrationen hochgekocht. (awp/mc/ar)

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