Swissair-Prozess: Strafrechtler sieht Knacknüsse für die Anklage
Der Niedergang eines Unternehmens sei etwas ganz anderes als ein Tötungsdelikt oder ein Flugzeugabsturz, sagt der Zürcher Strafrechtsprofessor im Gespräch mit der Nachrichtenagentur SDA: «Es geht um Millionen Geschäftsvorgänge, die man ansehen muss.» Sicher könne das Strafrecht die Swissair-Tragödie auch nicht umfassend beurteilen.
«Ins Gefängnis kommt auf jeden Fall niemand»
Ab Dienstag müssen sich 16 Swissair-Verantwortliche und drei weitere Beteiligte vor dem Bezirksgericht Bülach verantworten. Falls es es zu Verurteilungen komme, rechne er am ehesten mit bedingten Strafen, meint Jositsch: «Ins Gefängnis kommt auf jeden Fall niemand.» Die Anklagen wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung gegen den damaligen Swissair-Verwaltungsrat sieht Jositsch als «am gewagtesten» an: «Schlecht wirtschaften ist ja nicht strafbar». Den Angeklagten müsse eine Verletzung der Sorgfaltspflicht nachgewiesen werden.
Anklagepunkte
Bei den Anklagepunkten geht es um einen Entscheid von 2001 zur Bilanzsanierung der SAirLines, wo Vermögenswerte der Gruppe ohne Gegenwert in den in grossen wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckenden Flugbetrieb geflossen seien. Zudem wird ein Verwaltungsratsentscheid zur Aufstockung der Sabena-Beteiligung angeklagt. Die Anklage müsse beweisen, dass ein vernünftig denkender Manager Handlungen wie die SAirLines-Umstrukturierung nie gemacht hätte, erklärt Jositsch. Dabei müsse man sich aber auch die Alternative zum damaligen Entscheid überlegen, gibt er zu bedenken.
Fall der Sabena
Auch im Fall der Sabena sei die Swissair natürlich am Überleben der belgischen Partnergesellschaft interessiert gewesen. In diesen Punkten sei er auf die Beweismittel der Staatsanwaltschaft und die Argumentation von Anklage und Verteidigung gespannt, so Jositsch: «Ob es zu einer Verurteilung kommt, ist für mich offen.»
Vorwürfe der Falschbeurkundung
Anders seien die Vorwürfe der Falschbeurkundung unter anderem gegen den ehemaligen Finanzchef Georges Schorderet: Lasse sich beweisen, dass Urkunden wissentlich falsch ausgestellt wurden, so liege der Fall wohl klar. Ähnliches gelte für die «Beraterhonorare» an Vertreter der polnischen Fluggesellschaft LOT.
Anklage gegen Mario Corti und Schorderet
Auch die Anklage gegen Mario Corti und Schorderet wegen unwahren Angaben über den Zustand der Swissair-Gruppe erscheint Jositsch plausibel: «Das scheint ein Punkt zu sein, der relativ einfach bewiesen werden kann.» Bei seinen Aussagen über die angebliche Gewährung eines Milliardenkredits müsse Corti sich der Brisanz bewusst gewesen sein.
Verspätete Einreichung der Nachlassstundung
Nachvollziehbar ist für Jositsch auch der Vorwurf der verspäteten Einreichung der Nachlassstundung: «Man muss ja sehen, was der Swissair-Betrieb für nur einen Tag gekostet hat.» Ein klareres Delikt seien auch die Fälle von Gläubigerbevorzugung – wobei natürlich auch hier die Argumentation der Verteidigung noch nicht bekannt sei.
Verjährung bereits ab 2008
Eng ist der Zeitraum mit den Verjährungsfristen: Da diese bei den meisten Delikten sieben Jahre beträgt, dürften sie bereits 2008 verjähren. Die Frist laufe bis zu einem rechtskräftigen Urteil der zweiten Instanz, sagt Jositsch: «Bei einem allfälligen Weiterzug des Urteils wird das sehr knapp.» (awp/mc/gh)