Von Johannes Weisser, Head of Client Portfolio Management, RobecoSAM
Elektroautos sind noch nicht sehr weit verbreitet und noch immer teurer als konventionelle Diesel- oder Benzinfahrzeuge. Was wird für den entscheidenden Nachfrageschub auf Verbraucherseite sorgen?
Thiemo Lang: Die globale Autoindustrie wird sich in den nächsten Jahren von Grund auf verändern, wenn neue Technologien und der Konsumwandel die bestehenden Geschäftsmodelle in Frage stellen. 2017 wurden weltweit mehr als eine Million Elektro- oder Hybridfahrzeuge verkauft —50% mehr als im Vorjahr – und die Zahlen für 2018 sprechen für eine Fortsetzung dieses Trends. Tatsächlich wird inzwischen davon ausgegangen, dass noch deutlich vor 2040 mehr Elektrofahrzeuge als Autos mit Verbrennungsmotor verkauft werden.
«Wir gehen davon aus, dass E-Fahrzeuge in der Gesamtkostenrechnung bereits 2022 besser dastehen werden als Benzin- und Dieselfahrzeuge.» Thiemo Lang, Senior Portfolio Manager der RobecoSAM Smart Mobility Strategy
Für diese Entwicklung sind mehrere Faktoren verantwortlich. Die Produktionskosten von Elektrofahrzeugen werden wahrscheinlich deutlich schneller sinken als zunächst erwartet. Zum einen werden sich die Batteriekosten (eine der grössten Kostenkomponenten von E-Fahrzeugen) in den nächsten drei Jahren halbieren. Darüber hinaus sinken die Produktionskosten durch die Realisierung von Grösseneffekten und das einfachere Fahrzeugdesign im Vergleich zu traditionellen Modellen. Ein Elektrofahrzeug hat weniger bewegliche Teile als ein konventionelles Auto — genauer gesagt nicht einmal ein Zehntel so viele. Das verkürzt die Montageprozesse und vereinfacht die Instandhaltung durch den Besitzer.
Strom ist nicht so teuer wie Benzin oder Diesel, daher sind E-Fahrzeuge im laufenden Betrieb günstiger. Mit dem steigenden Anteil erneuerbarer Energieträger (Solar-, Windkraft) am Strommix werden die Ladekosten zudem weiter sinken. Wir gehen davon aus, dass E-Fahrzeuge in der Gesamtkostenrechnung (Total Cost of Ownership) bereits 2022 besser dastehen werden als Benzin- und Dieselfahrzeuge.
Bekannte, weniger bekannte und sogar unbekannte Hersteller drängen mit immer neuen Elektroautomodellen in die Schlagzeilen. Was steckt hinter diesem Wettrennen? Gibt es neben den Kostenerwägungen noch andere Faktoren, die die Nachfrage nach E-Autos befeuern?
In praktisch allen grossen entwickelten und aufstrebenden Märkten sorgen neue Regulierungen in der E-Mobility-Branche für enormen Rückenwind. Immer mehr nationale, bundesstaatliche und kommunale Regierungen führen ehrgeizige Zielwerte für die Reduktion der CO2-Emissionen ein. Durch Optimierungen des klassischen Verbrennungsmotors ist der Ausstoss bereits gesunken. Das Optimierungspotenzial in diesem Bereich wird aber schon bald ausgeschöpft sein. Für die Autohersteller ist die Umstellung auf E-Flotten der einzige mögliche Weg nach vorne.
Dennoch ist wichtig festzuhalten, dass die Regulierung die Verbrauchernachfrage bis jetzt zwar befördert hat, die grössten Nachfrageimpulse aber schon bald von reinen Wirtschaftlichkeitserwägungen ausgehen werden – wenn nämlich die Gesamtkosten für den Verbraucher die konventioneller Benzin- oder Dieselautos nicht mehr übersteigen.
Damit haben Ankündigungen wie die der französischen und britischen Regierung, den Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotor bis 2040 komplett zu verbieten, auch eher symbolischen Wert – bis dahin wird es schon aus rein wirtschaftlichen Erwägungen keinen Sinn mehr machen, irgendein anderes Fahrzeug als ein E-Auto zu fahren.
«Für die Autohersteller ist die Elektrifizierung der Flotte der einzige Weg nach vorne.»
Regierungen und Aktivisten schätzen E-Fahrzeuge für ihren Beitrag zur Bekämpfung der Luftverschmutzung. Aber gibt es auch eine echte Nachfrage nach diesen Autos auf Verbraucherseite?
Die Nachfrage auf Verbraucherseite ist bereits nennenswert und nimmt weiter zu, vor allem in Ländern, in denen die Regierungen konkrete Massnahmen ergriffen haben. Globaler Spitzenreiter ist Norwegen, wo der Anteil der E-Autos an den Neufahrzeugen 2017 bereits bei 40% lag (Norwegian Road Federation (OFV) Report, 2018). Noch grösser ist natürlich die Bedeutung des chinesischen Marktes. Hier werden aktuell 50% der weltweit verkauften E-Fahrzeuge ausgeliefert, die meisten davon im mittleren Preissegment.
Ein Faktor, der die Verbrauchernachfrage in vielen entwickelten Märkten gedämpft hat, war das fehlende Angebot an verschiedenen Modellen für unterschiedliche Preisklassen und Ausstattungspräferenzen der Verbraucher, vor allem in Europa und den USA. In Europa, den USA und dem restlichen Asien fehlt es noch an einer breiten Palette bezahlbarer E-Autos für das Mittelklasse-Segment. Hier dürfte sich in den nächsten Jahren aber einiges tun. Am unteren Ende des Preisspektrums können sich die Verbraucher auf mehr neue Modelle wie den Kona Electric von Hyundai und den Niro EV von Kia freuen, die beide in diesem Jahr an den Markt gebracht wurden.
Viele grosse Hersteller bieten bereits E-Autos für das mittlere Preissegment (zum Beispiel der Ford Focus, der Chevrolet Volt, der Nissan Leaf und der Volkswagen e-Golf). Das Luxussegment ist mit Modellen von Tesla, Audi, Mercedes-Benz, Volvo und Jaguar ebenfalls bereits erstaunlich gut bestückt. Schon bald wird es für jeden Geschmack und jede Brieftasche das richtige Modell geben.
Wie gut schneiden E-Autos im Vergleich zu anderen verbrauchsarmen Alternativen wie Wasserstofffahrzeugen ab? Warum glauben Sie, dass E-Fahrzeuge den Kampf um den Massenmarkt gewinnen werden?
Wasserstofffahrzeuge bieten mehr Fahrkilometer pro Tankfüllung. Das ist ein nennenswerter Vorteil gegenüber E-Autos. Ausserdem können sie ähnlich wie Benzin- oder Dieselfahrzeuge innerhalb weniger Minuten neu betankt werden. Beim durchschnittlichen E-Auto nimmt der Ladevorgang hingegen deutlich mehr Zeit in Anspruch, vor allem, wenn keine Schnellladung durchgeführt wird. Dafür sind Wasserstofffahrzeuge teuer und es fehlt immer noch an einer ausreichend ausgebauten, konkurrenzfähigen Wasserstofftankstellen-Infrastruktur.
Dass sich auch Wasserstofffahrzeuge langfristig am Markt etablieren könnten, schliessen wir nicht kategorisch aus, sehen das aber auf kurze bis mittlere Sicht eher skeptisch. Als erstes könnten Wasserstofffahrzeuge auf Langstrecken zum Einsatz kommen, zum Beispiel im Bus-, Lkw- oder Schienenverkehr.
«Schon bald wird es für jeden Geschmack und jede Brieftasche das richtige Modell geben.»
Staatliche Subventionen und preisliche Anreize werden schrittweise abgeschafft. Das signalisiert, dass der E-Fahrzeug-Markt wirtschaftlich tragfähig wird und aus eigener Kraft profitabel wachsen kann. Dadurch stellt sich aber eine andere Frage: die nach den Auswirkungen der variablen Stromkosten auf die künftige Nachfrage nach E-Autos. Wie wichtig sind niedrige Strompreise für die relative Wettbewerbsfähigkeit von E-Autos?
Was der Benzin- oder Dieselpreis für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor ist, ist der Strompreis für Elektroautos. Da ein Elektromotor zum Glück dreimal effizienter als ein Verbrennungsmotor ist, sind die relativen Kosten schon heute geringer. Dass Strom vielerorts – zum Beispiel in Kalifornien oder Deutschland – teuer ist, stimmt. Die Möglichkeiten für eine Verbesserung dieses Kostenfaktors sind aber gross. Wir sind sehr zuversichtlich, dass günstige, erneuerbare und dezentral bereitgestellte Energie aus Solar- und Windkraft einen wichtigen Beitrag zur künftigen Senkung der Stromkosten leisten wird. So sind Anwendungen und Serviceangebote denkbar, bei denen Nutzer als Teil sogenannter «Solar-Gemeinschaften» ihre E-Autos günstig an Ladestationen aufladen können, die von anderen Mitgliedern der Gemeinschaft bereitgestellt werden.
«Günstige, erneuerbare und dezentral bereitgestellte Energie aus Solar- und Windkraft wird einen wichtigen Beitrag zur künftigen Senkung der Stromkosten leisten.»
Mit der E-Mobilität werden auch das «Prosumer»-Thema und das intelligente Stromnetz – Stichwort «Smart Grid» – immer bedeutender. Inwieweit sind diese Märkte miteinander verknüpft?
Die Idee hinter der auch unter dem Schlagwort «Prosumer» bekannten Vehicle-to-Grid (V2G) Technologie ist einfach: Wenn ein E-Auto über längere Zeit nicht in Gebrauch ist (zum Beispiel, weil es über Nacht geparkt wird), kann der in der Batterie gespeicherte Strom zu einem höheren Preis an das Netz zurückverkauft werden. Dadurch ergeben sich zusätzliche Einnahmeströme und Kosteneinsparungen für den produzierenden Haushalt oder Verbraucher – den «Prosumer» (kurz für «Producer-Consumer»).
Im Zuge der Weiterentwicklung von Smart-Grid-Technologien und Vehicle-to-Grid-Konzepten werden Besitzer von E-Autos sogar an neuen Erlösquellen und Geschäftsmodellen wie dem Stromhandel partizipieren.
«Durch neue Geschäftsmodelle rund um das Car-Sharing und die Konnektivität wird bis 2030 ein neuer, USD 1,5 Billionen schwerer Markt entstehen.»
Wie werden sich die Popularität des Car-Sharings und staatliche Regulierungsmassnahmen zur Eindämmung des innerstädtischen Autoverkehrs auf die Nachfrage nach Elektroautos auswirken?
Staus, Lärm und Luftverschmutzung plagen die moderne Metropole. Car-Sharing ist sicherlich eine Lösung, um diesen Problemen zu begegnen. Durch Ansätze wie diesen wird sich auch die Mobilität vieler einkommensschwächerer Menschen verbessern. Marktschätzungen zufolge wird das Car-Sharing voraussichtlich ab Ende der 2020er Jahre grössere Auswirkungen haben und sich ab 2030 deutlicher in den weltweiten Absatzzahlen der Autoindustrie niederschlagen.
Nach 2030 könnte sich die absolute Zahl der Autoverkäufe stabilisieren. Bis dahin dürften neue, im Zusammenhang mit Car-Sharing- und Shared-Mobility-Angeboten stehende Geschäftsmodelle etwaige «Reifungseffekte» in Form sinkender Autoabsatzzahlen mehr als kompensieren. Untersuchungen von McKinsey zum Beispiel zeigen, dass durch neue Geschäftsmodelle rund um das Car-Sharing und die Konnektivität bis 2030 ein neuer, USD 1,5 Billionen schwerer Markt entstehen wird.
Dr. Thiemo Lang
ist Senior Portfolio Manager der RobecoSAM Smart Mobility Strategy. Thiemo Lang bei Linkedin.
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