Thomas Kast, Präsident Verband Schweizerischer Inkassotreuhandinstitute

von Patrick Gunti


Moneycab: Herr Kast, mit der Zahlungsmoral in der Schweiz ist es schon seit längerem nicht zum Besten bestellt. Von welchen Zahlen, also ausstehenden Rechnungsbeträgen, gehen Sie aus?

Thomas Kast: Gemäss Recherchen der Branchenleaderin Intrum Justitia AG belaufen sich die nicht bezahlten Forderungen in der Schweiz auf  CHF 9 Milliarden. Deren Berechnungen haben weiter ergeben, dass der Gesamtaufwand für die Debitorenbewirtschaftung in unserem Land rund 100 Mio. Arbeitsstunden umfasst. Die definitiven Forderungsverluste belaufen sich auf 1.6 Prozent aller fakturierten Beträge. Dabei übt gemäss Schweizer Risk Index die schlechte Zahlungsmoral der Kunden bei 80 Prozent der Unternehmen einen negativen Einfluss auf die Liquidität aus. Jeder fünfte Konkurs in der Schweiz geht auf verspätete Zahlungseingänge und dadurch bedingte Liquiditätsschwierigkeiten zurück.


Handelt es sich dabei eher um geschuldete Beträge aus dem geschäftlichen oder aus dem privaten Bereich?

Die Mitgliederfirmen des vsi decken den gesamten Bereich ab: also von den geschäftlichen Schuldnern – sprich Firmen – über die öffentliche Hand bis hin zu Privatpersonen/ Konsumenten.


«Das Leben auf Kredit wurde zur Usanz. «Heute kaufen – morgen bezahlen», heisst die Devise.» (Thomas Kast, Präsident VSI)


Früher war die Schweiz ein Land mit geradezu vorbildlicher Zahlungsmoral. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe für die Veränderung?

Die über mehrere Jahre angelegten Studien lassen den Schluss zu, dass die Erosion der Zahlungsmoral nicht allein aus der Konjunktursituation heraus erklärt werden kann. Vielmehr dürfte auch ein eigentlicher Struktur- und Mentalitätswandel dahinter stecken. Das Leben auf Kredit wurde zur Usanz. «Heute kaufen – morgen bezahlen», heisst die Devise.


Welche Folgen hat die fehlende Zahlungsmoral für die Gläubiger, in der Schweiz meist die KMU?

Immer mehr KMU geraten aufgrund der unbezahlten Rechnungen in die Liquiditätsfalle, die bis zur Existenzbedrohung führen kann. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als die horrenden Kosten des Zahlungsverzugs auf die Preise zu überbinden, was dazu führt, dass die korrekt zahlenden Konsumenten für den Schaden aufkommen müssen. Höhere Preise schaden aber der Konkurrenzfähigkeit.


Der Verzugszins von 5 % in der Schweiz ist Ihrer Meinung nach zu tief. Wie hoch sollte er sein, damit er die gewünschte Wirkung erzielt?

Nach wie vor ist die Schweiz ein Schuldnerparadies. Der historisch tiefe Verzugszins von 5 Prozent führt z.B. dazu, dass Firmen bei Liquiditätsenpässen ihre Rechnungen nicht bezahlen und das geschuldete Geld als billigen Lieferantenkredit missbrauchen. Würden sie nämlich rechtzeitig zahlen, müssten sie bei einem Engpass einen Bankkredit mit Zinsen zwischen 9 und 12 Prozent aufnehmen.
Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Nationalrat Adrian Amstutz fordert öffentlich, es solle zum Drei-Monats-Libor ein Zuschlag von 8 Prozent gemacht werden. Dies ergäbe in der Schweiz einen Verzugszins von aktuell 10,68 Prozent.


Reicht das alleine, um mehr Pünktlichkeit bei der Bezahlung der Rechnungen zu erzielen?

Die EU hat die Zeichen der Zeit bereits vor acht Jahren erkannt und die Praxis geändert. Es werden höhere Verzugszinsen sowie eine Überwälzung des Verzugsschadens auf den säumigen Schuldner verrechnet. Nehmen wir Skandinavien als Beispiel: Schweden erhebt einen Verzugszins mit 8 Prozent über dem Basiszins und zahlt durchschnittlich nach 29.4 Tagen, Dänemark berechnet den Verzugszins mit 9.75 Prozent und bezahlt in 25.3 Tagen. Spitzenreiter ist Finnland mit einem Zuschlag von 7 Prozent über dem Basiszins mit einem Zahlungsvollzug innert 19 Tagen.


Der VSI sieht die EU als Vorbild. Haben die dort getroffenen Massnahmen die gewünschte Wirkung erzielt?

In der EU entfällt eine auf vier Zahlungsunfähigkeiten bei Firmen auf den Zahlungsverzug. 450’000 Jobs gehen dadurch pro Jahr in der EU verloren. Die vor sechs Jahren in Kraft getretene Direktive schreibt vor, dass die Schuldner für alle mit dem Zahlungsverzug verbundenen Kosten aufkommen müssen, und zwar für die Kosten für Administration, für Verfahren, aber auch für Drittkosten. Zudem wurde die EU-Direktive durch eine Studie begleitet, die nachweisen konnte, dass die Massnahme griff und somit als relevant und nützlich eingestuft werden konnte.


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Ausgerechnet der Bund nimmt die längsten Zahlungsfristen für sich in Anspruch. Wie wollen Sie den Bund dazu anhalten, mit gutem Beispiel voranzugehen?

Während Privatkunden in unserem Land gemäss Schweizer Risk Index eine Rechnung nach 41.4 Tagen bezahlen, nehmen Firmenkunden 44.3 Tage in Anspruch. Am längsten Zeit nimmt sich die öffentliche Hand, nämlich 48.7 Tage. Nationalrat Adrian Amstutz setzt sich gegen diesen Missstand ein und hat angekündigt, im März im Parlament einen Vorstoss einzureichen. Dies mit dem Ziel, dass gerade Bund, Kantone und Gemeinden ihrer Vorbildfunktion nachkommen und bezüglich Zahlungsmoral ein Zeichen setzen sollten.


Eine Studie von Intrum Justitia hat vor zwei Jahren ergeben, dass die Gläubiger aber auch zu lange mit einer Mahnung zuwarten. Wo sehen Sie die Gründe?

Es ist bekannt, dass man mit einem konsequenten Mahnprozess am ehesten die ausstehenden Forderungen einbringen kann. Dies belastet insbesondere kleinere KMU stark, denn dort ist der Aufwand pro Mitarbeiter für das Debitorenmanagement besonders hoch, wogegen grössere Unternehmen eher auf standardisierte Prozesse zurückgreifen können. Es scheuen sich aber nicht wenige Unternehmen, die offenen Verpflichtungen bei ihren Kunden konsequent einzufordern – dies vielleicht nicht zuletzt aus Angst, so einen Kunden zu verlieren. Dem kann man aber entgegen halten, dass ein konsequentes Debitorenmanagement einem Kunden signalisiert, dass man mit dem Geld verantwortungsbewusst und sorgfältig umgeht.


«Es ist bekannt, dass man mit einem konsequenten Mahnprozess am ehesten die ausstehenden Forderungen einbringen kann.» (Thomas Kast)


Ihr Verband vertritt die Inkassotreuhandfirmen, für die das mangelnde Zahlungsbewusstsein ja letztlich ein Geschäft ist. Müsste die nun lancierte Kampagne nicht vielmehr auch in Richtung der Prävention gehen, dass bei allen auf Kredit gelieferten Waren und Dienstleistungen zuerst die Bonität des Kunden geprüft werden müsste?

Dies haben die Inkassotreuhandinstitute schon seit längerem erkannt. Gerade die grossen Unternehmen bieten Präventionshilfen wie die systematische Bonitätsprüfung im Voraus mit grossem Erfolg an. In einem immer anonymer werdenden Umfeld kommt diesem Instrument zentrale Bedeutung zu. Gerade via Internet können diesbezüglich einfache und effiziente Tools angeboten werden.
Es gilt, den Präventionsgedanken weiter zu entwickeln. Branchenleaderin Intrum Justitia hat den Swiss School Award als Massnahme gegen die zunehmende Jugendverschuldung lanciert.


Welches sind nun die nächsten Schritte, welche weitere Entwicklung erwarten Sie?

An der Generalversammlung des vsi am 11. April 2008 werden wir die neuesten Zahlen zur Schuldnerkarte Schweiz und zur Verbandsstatistik präsentieren.
Mit dem Gutachten von Professor Dr. Isaak Meier liegt eine unmissverständliche Grundlage vor, den Verzugsschaden konsequent durchzusetzen. Mit dieser Weichenstellung wird es jetzt in der Schweiz bei der Bekämpfung des Zahlungsverzugs vorwärts gehen. Denn wenn höhere Kosten drohen, werden die Schuldner ihren Verpflichtungen aus Eigennutz schneller nachkommen – Skandinavien hat es uns vorgemacht.


Herr Kast, wir bedanken uns für das Interview!





Zur Person:


Thomas Kast, geboren 1955, verheiratet, Vater von drei Töchtern


Thomas Kast absolvierte nach einer kaufmännischen Grundausbildung ein juristisches Studium auf dem zweiten Bildungsweg. Von 1980 bis 1995 war er in verschiedenen leitenden Positionen für die führende Kreditschutz-Organisation «Creditreform» tätig, seit 1992 als Generalsekretär. 1995 übernahm er die Geschäftsführung der «Zahnärztekasse AG», einem Finanzdienstleistungs-Unternehmen für Zahnarztpraxen. Seit 2000 fungiert er ausserdem als VR-Delegierter der Firma «EOS Debita AG», einer Spezialistin für Forderungsmanagement. Zudem präsidiert er seit 2001 den «Verband Schweizerischer Inkassotreuhandinstitute vsi».

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