Thomas Schweizer, Direktor Textilverband Schweiz: «China nur als Bedrohung zu sehen, erachten wir als wenig zukunftsorientiert.»
von Patrick Gunti
Herr Schweizer, nach einem Zwischenhoch im Vorjahr hat die Schweizerische Textil- und Bekleidungsindustrie 2005 wieder einen Umsatzrückgang hinnehmen müssen. Worauf ist der Rückgang um 2,3 % zurückzuführen?
Das Jahr 2005 hat eher verhalten angefangen. Nach den Sommerferien begannen die Geschäfte wieder anzuziehen. Nicht allen Firmen gelang es jedoch, den Umsatzrückgang des ersten Halbjahres wett zu machen. So resultierte gesamthaft gesehen ein Umsatzrückgang, obschon sich die Umsätze im letzten Quartal des Jahres positiv entwickelt haben.
Die Exporte der Textilindustrie gingen um 5,1 % zurück. Dagegen konnte die Bekleidungsindustrie ihren Absatz im Ausland erneut steigern. Wo liegen die Unterschiede und welches sind die grössten Abnehmerländer?
Die Exporte von Textilien gingen zurück, weil zahlreiche Firmen Kapazitäten im Inland abgebaut und im Ausland aufgebaut haben. Die im Ausland produzierten Textilprodukte erscheinen verständlicherweise nicht in unserer Statistik. Im Bereich Bekleidung ist die Steigerung der Exporte einerseits auf die vielen Logistik-Center grosser italienischer Marken im Tessin und andererseits auf den Export von Zuschnitten, die zur Konfektion exportiert werden, zurückzuführen. Die grössten Abnehmerländer für Textilien sind Deutschland, Italien und Frankreich, für Bekleidung die USA, Deutschland und Italien.
«Die schweizerische Textil- und Bekleidungsindustrie dürfte im nahen und fernen Ausland über 10’000 Personen beschäftigen.»
Thomas Schweizer, Direktor Textilverband Schweiz
Mit was für einer Entwicklung rechnen Sie für das laufende Jahr?
Dem laufenden Jahr sehen wir verhalten optimistisch entgegen. Positive Anzeichen sind der deutlich zunehmende private Konsum sowie die Belebung der Konjunktur in Deutschland, immer noch das grösste Abnehmerland von schweizerischen Textilien und das zweitgrösste von schweizerischer Bekleidung. Für den Export prognostizieren wir deshalb ein leichtes Plus im Vergleich zum Jahr 2005. Im Bereich Bekleidung wird der Trend zu steigenden Exporten ungebrochen anhalten.
Insgesamt gingen in der Schweizer Textil- und Bekleidungsindustrie letztes Jahr 1100 Stellen verloren. Seit der Jahrtausendwende wurden fast 10’000 Arbeitsplätze gestrichen. Wie sehen Sie die weitere Entwicklung angesichts der prognostizierten weiteren Auslagerung von Produktionsprozessen in Billiglohnländer?
Es ist eine Tatsache, dass die Deindustrialisierung in Europa und in der Schweiz weiter voranschreitet. Dem Abbau von Arbeitsplätzen in der Schweiz steht der Aufbau im Ausland entgegen. Die schweizerische Textil- und Bekleidungsindustrie dürfte im nahen und fernen Ausland über 10’000 Personen beschäftigen. Dies zeigt deutlich auf, dass die Globalisierung zu einer Verlagerung der industriellen Arbeitsplätze geführt hat. Von dieser Entwicklung profitieren volkswirtschaftlich betrachtet alle, weil dem Abbau industrieller Arbeitsplätze der Aufbau solcher im dritten Sektor gegenüber steht.
Der europäische Markt wird mit Textilien und Bekleidungsartikeln aus Ländern wie China überschwemmt. Sind die Handelsbestimmungen in der EU und der Schweiz aus Ihrer Sicht stark genug, um dieser enormen Herausforderung begegnen zu können?
Die Schweiz kannte für Textilerzeugnisse nie Einfuhrquoten und die Industrie konnte sich deshalb auch nicht hinter solchen protektionistischen Massnahmen verstecken. Die in der Schweiz erfolgten generellen Strukturveränderungen haben dazu geführt, dass unsere Industrie besser auf die starke Konkurrenz aus Fernost gerüstet ist als unsere Nachbarländer. Zudem glauben wir, dass durch eine Einführung der Importquoten der grosse Zuwachs von Importen aus Asien nicht eingedämmt werden kann.
$$PAGE$$
Zusammen mit den Pendants aus Deutschland und Österreich hat der TVS im vergangenen Jahr ein Kontaktbüro in Schanghai eröffnet. Wie sieht Ihre Bilanz nach dem ersten Betriebsjahr aus und welche weiteren Schritte sind geplant?
Nach der Eröffnung des Büros am 1. Februar 2005 können wir nach dem ersten Jahr eine positive Bilanz ziehen. Mehr als 200 Firmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben Dienstleistungen des Kontaktbüros beansprucht und waren mit dem Service zufrieden. Auf den 1. April 2006 hat sich der französische Verband, Union des Industries Textiles, dem Büro angeschlossen. Weitere europäische Verbände sind an einem Anschluss interessiert und es laufen entsprechende Verhandlungen.
Ist China für die Schweizer Textilindustrie mehr eine Chance oder mehr eine Bedrohung?
China ist für die Schweizer Textilindustrie sowohl eine Chance als auch eine Bedrohung. Bereits heute produzieren einige Unternehmen in China. Andere wiederum setzen dort erfolgreich ihre Produkte ab oder kaufen chinesische Textilien und Bekleidung ein. Dieses grosse Land nur als Bedrohung zu sehen, erachten wir als wenig zukunftsorientiert.
«Ein Freihandelsvertrag mit den USA hätte substantielle Verbesserungen für unsere Industrie gebracht.»
Der Textilverband Schweiz zeigt sich sehr enttäuscht über das Nichtzustandekommen eines Freihandelsabkommens der Schweiz mit den USA. Welches sind die Folgen dieses Entscheids?
Ein Freihandelsvertrag mit den USA wäre sehr im Interesse unserer Branche gewesen, da der US-Markt gerade für unsere hoch spezialisierte Industrie einen bedeutungsvollen Absatzmarkt darstellt. So hätte ein Freihandelsvertrag mit den USA substantielle Verbesserungen für unsere Industrie gebracht. Ohne ein solches Abkommen werden die hohen Zölle in unserem Sektor bestehen bleiben und so den Marktzutritt auf dem interessanten Absatzmarkt der USA weiter behindern, wenn nicht gar verunmöglichen.
Die Textil- und Bekleidungsindustrie gehört zu den energieintensiven Branchen. Mit der Schweizer Strommarktpolitik können Sie sich nicht anfreunden. Was sind Ihre Kritikpunkte und was verlangen Sie von der Politik?
Die derzeitige Strommarktpolitik sieht die Subventionierung x-facher teurer und nicht effizienter erneuerbarer Energien vor, deren Hauptlast die energieintensiven Betriebe zu tragen haben ohne davon zu profitieren. Diese Betriebe haben aus Wettbewerbsgründen (Energie ist ein wichtiger Kostenfaktor) aber bereits viel unternommen, um Ihre Energieeffizienz zu steigern. Wir fordern von der Politik endlich eine KMU-verträgliche Richtung einzuschlagen und nicht immer diejenigen zu bestrafen, die bereits ihre Hausaufgaben gemacht haben. Neue Steuern und Abgaben lehnen wir darum ab.
Welches sind die Ziele der Innovationsplattform «Swiss Texnet»?
Ziel von Swiss Texnet ist es, Innovationsförderung für die textile und textilnahe Industrie im Bereich der angewandten Forschung und Entwicklung (aF&E) zu betreiben. Dies wollen wir einerseits durch Bündelung, Vernetzung und Koordination der textilen aF&E-Kompetenzen erreichen. Anderseits wollen wir aktiv den Wissens- und Technologietransfer (WTT), die Netzwerkzusammenarbeit und den Industrie- und Wissenschaftskontakt fördern. Daraus sollen Innovationsprojekte entstehen, welche die Zukunft der Unternehmen sichern. Dabei ist uns wichtig, dass auch kleinere Unternehmen gut in dieses Netzwerk integriert werden.
Zur Person:
Thomas Schweizer – Direktor Textilverband Schweiz
Geboren am 18. Januar 1956
Vater von zwei erwachsenen Kindern
Ausbildung:
– Matura Typus C in Trogen/AR
– Studium der Jurisprudenz (Universität Zürich)
– Promotion zum Dr. iur. (Universität Zürich)
Berufliche Tätigkeiten:
– Juristischer Sekretär (Erziehungsdirektion des Kantons Zürich)
– Winterthur-Leben (Generaldirektion in Winterthur)
– seit 1992 im Textilverband Schweiz tätig
Zum Verband
Der Textilverband Schweiz TVS ist Repräsentant und Sprecher der schweizerischen Textil- und Bekleidungsindustrie. Er wahrt die Interessen seiner Mitglieder, als kompetenter Gesprächspartner der Behörden und Verbände. Er sorgt dafür, dass die politischen Entscheidungsträger und die breite Öffentlichkeit, die Anliegen der Branche kennen und beurteilen können. Mit zielgerichteten Aktionen fördert er das Image der Textil- und Bekleidungsindustrie in der Öffentlichkeit. Er ist aus dem Zusammenschluss von mehreren Branchenverbänden und Arbeitgeberorganisationen der Textil- und Bekleidungsindustrie entstanden.