Ulrich Gygi, Konzernleiter Post
Moneycab: Herr Gygi, die Post befindet sich in einer verzwickten Situation. Auf der einen Seite soll sie als staatliche, identitätsstiftende Institution Dauerhaftigkeit und Verlässlichkeit verkörpern, auf der anderen Seite erwartet der Kunde ein zukunftsorientiertes Unternehmen, das sich einem aufkommenden Wettbewerb erfolgreich stellt und sich durch Innovation behauptet. Beides wird nicht gehen. Wo sehen Sie den Weg für die Post in den kommenden Jahren?
Ulrich Gygi: Es ist ein Spagat, den wir täglich machen. Die Post ist das Rückgrat der Grundversorgung. Jede und Jeder in der Schweiz hat mit uns zu tun. Die Emotionen sind gross und wir werden geliebt. Das hat unbestrittene Vorteile. Unsere Pöstler sind gerne gesehen und haben ein grosses Vertrauenspotential, das wir auch in Zukunft brauchen werden. Andererseits ist man geneigt, der Post auch Auflagen zu machen, die nichts mit ihrem Versorgungsauftrag zu tun haben.
Ein Beispiel ist die Forderung, bei ihrer Tätigkeit darauf zu achten, dass ihre Arbeitsplätze regional gleichmässig verteilt sind. Das generiert gegenüber unserer Konkurrenz dort Kostennachteile, wo kaum Bedarf nach Postleitungen besteht. Hier müssen Lösungen gefunden werden. Es liegt an der Politik zu definieren, was sie an Grundversorgung haben will und wie die daraus entstehenden Mehrkosten abgegolten werden sollen. Wichtig für die Zukunft ist es, der Öffentlichkeit, der Politik und all unseren Anspruchgruppen aufzuzeigen, wo das Dilemma liegt und wo Lösungen gefunden werden müssen. Die anstehende neue Postgesetzgebung wird sich diesem Thema annehmen müssen.
«Wenn unsere Leute sehen, dass bei einem Kunden, den wir jahrelang auf sicher hatten, nun auf einmal die Laster von DHL oder DPD vorfahren, braucht es nicht mehr viele weitere Argumente.» Ulrich Gygi, Konzernleiter Post
Die drei wichtigsten Kernwerte der Post geben Sie mit «unternehmerisch», «glaubwürdig» und «partnerschaftlich» an. Während die Post mit Sicherheit eine hohe, auch historisch gewachsene, Glaubwürdigkeit aufweist, vermitteln persönliche Erlebnisse am Schalter oftmals wenig Unternehmertum oder Partnerschaft. Wie wollen Sie diese Werte konkret etablieren bei der Post?
Da waren Sie noch nie im Kontakt mit den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die äusserst erfolgreich Postprodukte, Postkonti, Digitalkameras oder Mobiltelefone bis zu Anlagefonds verkaufen. Es ist allerdings in der Tat so, dass die Post von den Privatkunden und der Öffentlichkeit noch nicht als besonders innovativ und unternehmerisch wahrgenommen wird. Bei den Firmenkunden, die unsere Lösungen kennen, ist das deutlich besser. Einem Teil unserer Mitarbeitenden und Kader fällt es schwer, sich von 150 Jahren Postmonopol-Erfahrungen loszulösen. Lange galt der Slogan «Die Post muss funktionieren, nicht rentieren». Natürlich muss die Post weiterhin funktionieren, aber sie soll auch rentieren. Dass das möglich ist, hat die Post in den letzten Jahren auch ausserhalb des Monopolbereichs bewiesen. Davon möchte ich möglichst viele Mitarbeitende überzeugen. Dabei hilft mir der Wettbewerb: Wenn unsere Leute sehen, dass bei einem Kunden, den wir jahrelang auf sicher hatten, nun auf einmal die Laster von DHL oder DPD vorfahren, braucht es nicht mehr viele weitere Argumente.
Der Bundesrat möchte, unter Beibehaltung einer flächendeckenden Grundversorgung, den Postmarkt ab 2011 in zwei Schritte liberalisieren. Ab 2011 soll das Briefmonopol der Post auf 50 Gramm gesenkt, danach eventuell ganz beseitigt werden. Wie beurteilen Sie die Zielsetzungen des Bundesrates und welche rechtlichen Rahmenbedingungen sehen Sie als unumgänglich bei einer Umsetzung?
Die Marktöffnung wird kommen. Die Schweiz ist zu sehr international verbunden, als dass sie sich den Entwicklungen in der EU auf Dauer verschliessen kann. Der Bundesrat strebt mit den Leitlinien zur Postgesetzgebung eine ausgewogene Lösung an. Wir begrüssen das vorgesehene schrittweise Vorgehen. Es erlaubt uns, die nötigen Anpassungen sozialverantwortlich zu vollziehen, was auch im Interesse guter Sozialpartnerschaft liegt. Notwendig ist ferner die Diskussion über den Umfang der Grundversorgung und deren Finanzierung.
Will man auch in Zukunft eine funktionsfähige Schweizer Post, so brauchen wir im geöffneten Postmarkt auch gleich lange Spiesse. So muss man uns aus dem Bundespersonalgesetz entlassen. Im Obligationenrecht hätten wir mehr Handlungsspielraum. Wir möchten Branchen-GAV abschliessen. Der Wettbewerb würde dann nicht über Lohndumping, sondern über Beratung, Leistung und Qualität geführt. Wenig Freude hätten wir, wenn PostFinance das Aktivgeschäft (Hypotheken, kommerzielle Kredite) untersagt bliebe! Schliesslich will der Bundesrat auch die Frage der Rechtsform der Post – sein Vorschlag ist eine Aktiengesellschaft – sowie das Verhältnis der Postleistungsanbieter zur Regulationsbehörde klären.
Politiker wollen vor allem wieder gewählt werden. Dazu eignet sich die Entlassung der Post in den freien Markt sehr schlecht, da die Bevölkerung emotional noch stark mit «ihrer» Post verbunden ist. Droht auch jetzt wieder der politische Sündenfall, wie bei der Definition der Standorte der Verteilzentren?
Sie sprechen hier eine meiner grössten Sorgen an. «Wer A sagt muss auch B sagen», wer also für Marktöffnung einsteht, muss uns auch die nötige unternehmerische Freiheit geben, um den Grundversorgungsauftrag zu erfüllen und gegen die Konkurrenz anzutreten. Das fällt der Politik schwer. Wer liebt nicht seine Poststelle mit den Geranien vor dem Fenster. Diese zu Gunsten einer Agentur aufzugeben tut weh – auch wenn man die Post selten bis nie besuchte. Ganz besonders, wenn man vermeintlich die damit verbundenen Kosten nicht selber tragen muss. Die Post wird immer für eine gute Grundversorgung einstehen. Wir erwarten jedoch, dass wir uns den veränderten Kundenbedürfnissen rasch anpassen dürfen. Alles andere wäre langfristig verheerend für die Post. Wir wissen um den Wert zufriedener Kundinnen und Kunden.
Sie steuern einen Tanker mit 55’000 Mitarbeitern aus gemächlichen und bekannten Gewässern (Monopol) ins stürmische, offene Meer (Marktöffnung). Nicht alle an Bord schätzen diesen Kurs. Was überwiegt bei Ihnen, die Freude am Kommenden oder die Besorgnis um den Verlust des Bekannten und wie wollen Sie 55’000 für diese Reise begeistern?
So gemächlich tuckert die Post nicht, wie das vielleicht von Aussen den Anschein macht. Die Paketdienstleistungen sind seit 2004 hartem Wettbewerb mit zum Teil internationalen Konkurrenten wie DPD und DHL (Deutsche Post) ausgesetzt. PostFinance, unsere Finanzdienstleisterin, steht seit 1905 im Konkurrenzkampf mit den Schweizer Banken und ist Marktführerin im Zahlungsverkehr. Nur gerade die Inland- und Importbriefe unter 100 Gramm sind im Monopol. Sofern der künftige gesetzliche Rahmen stimmt, macht mir die weitere Marktöffnung wenig Kummer. Wir sind gut unterwegs. Ich schätze, dass eine Unternehmung dann den Wandel schafft, wenn 1/3 der Mitarbeitenden den Wandel aktiv unterstützen und ein weiteres Drittel mit ziehen. Das ist bei der Post der Fall. Alle kann man nie gewinnen. Wichtig ist, dass unsere Mitarbeitenden in den neuen Strukturen Erfolgserlebnisse haben und merken, dass die Konkurrenz auch nur mit Wasser kocht.
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Während die im harten Wettbewerb stehende Postfinance ihr Betriebsergebnis in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres von 188 auf 241 Millionen CHF steigerte, ist das Ergebnis im geschützten Bereich der PostMail von 264 auf 184 Millionen CHF zurückgegangen. Ist es also Zeit, die Post schneller und vollständig dem Wettbewerb auszusetzen?
Dieser Vergleich ist völlig schief. PostMail und PostFinance sind in verschiedenen Märkten tätig und entsprechend anderen Einflussfaktoren ausgesetzt: PostFinance ist abhängig von Zinsentwicklungen und Geldfluss, PostMail von Briefmengen, die bekanntlich rückläufig sind. Ausserdem zahlt die Briefpost als Monopolist die ungedeckten Kosten des Poststellennetzes. Vor Abgeltung dieser Kosten sieht das Ergebnis von PostMail besser aus.
«Alleine in den letzten 6 Jahren nahm die Anzahl der Briefe und Pakete, die am Schalter abgegeben wurden um 40 % ab. Chancen sehen wir im Briefgeschäft im Ausland. Dort wollen wir bei grenzüberschreitenden Brief- Directmail- und Presseprodukten wachsen.»
Konzernweit gibt es zurzeit 43’316 Vollzeitstellen, 1’853 mehr als zum Vorjahreszeitpunkt. Vor allem bei PostMail und beim Poststellennetz werden weniger Mitarbeiter beschäftigt, während bei PostFinance, Swiss Post International und den Neugeschäften, wie zum Beispiel GHP- und MailSource, neue Arbeitsstellen geschaffen werden. Wie sehen Sie hier die weitere Entwicklung und welche Pläne haben Sie bezüglich des Wachstums im Ausland?
Das traditionelle Briefgeschäft wird – schon alleine aufgrund der Substitution durch elektronische Medien – weiter zurück gehen, aber noch lange ein wichtiger Ergebnispfeiler bleiben. Ebenso dürften die Poststellen in Zukunft eher weniger Geschäfte abwickeln als sie das heute tun. Alleine in den letzten 6 Jahren nahm die Anzahl der Briefe und Pakete, die am Schalter abgegeben wurden um 40 % ab. Chancen sehen wir im Briefgeschäft im Ausland. Dort wollen wir bei grenzüberschreitenden Brief- Directmail- und Presseprodukten wachsen. Entwicklungsmöglichkeiten sehen wir auch bei Aktivitäten in postnahen Gebieten, zum Beispiel mit dem Angebot von Dialoglösungen und Kundenbindungsprogrammen für grosse Kunden, welche wiederum Briefvolumen erzeugen. Wir sind auch stark im Bereich interner Postleistungen, inklusive Scanning und Archivierung bei Grossunternehmen unter anderem in NewYork, London, Deutschland und Italien aber auch in der Schweiz. Hier ist sind die Wachstumsmöglichkeiten noch sehr gross.
In Deutschland sind Sie über die Firma PrimeMail GmbH ein Joint Venture mit Hermes eingegangen, in Italien sind Sie an Porta avPorta S.p.A. beteiligt. Welche konkreten Pläne haben Sie für Beteiligungen in der nächsten Zukunft geplant?
Akquisitionen sind für uns dort sinnvoll, wo wir zukunftsträchtige Geschäftsmodelle stärken können, zum Beispiel also interne Postdienste von Unternehmen, Dialoglösungen, Dokumentenmanagement und andere. Wir werden aber nicht übertreiben. Die grössten Akquisitionen der Post liegen bisher in der Grössenordnung von 50 Mio. Franken (zum Vergleich: die neuen Briefzentren kosten 1.3 Mrd CHF). Wir wollen im Ausland in Nischen wachsen. Eine Investitionsstrategie wie die Deutsche Post, die weltweit alles selber anbieten will, können wir uns nicht leisten.
Die Post hat inzwischen ein Eigenkapital von 2,288 Milliarden CHF angehäuft. Vor einem Jahr waren es noch 1,383 Milliarden gewesen. Wozu soll dieses Geld eingesetzt werden?
Eine Unternehmung in der Grössenordnung der Post braucht rund 2,7 Milliarden CHF Eigenkapital zur Absicherung ihres Geschäftes. Bei der Entlassung der Post in die Selbständigkeit war sie unterkapitalisiert. Der Bund hat uns deshalb ermöglicht, die Gewinne einzubehalten, dies auch um die Pensionskassen auszufinanzieren. Wir hoffen demnächst das nötige Eigenkapital beisammen zu haben. Bereits nächstes Jahr verlangt der Bund als unser Eigentümer, sich eine Teilausschüttung des Gewinnes. Er hat Anspruch auf die Vergütung seines investierten Kapitals.
Wo sehen Sie die Post in fünf Jahren? Welche Bereiche werden die grösste Bedeutung haben?
Enorme Umwälzungen in der Bedeutung der Bereiche werden in den nächsten fünf Jahren nicht eintreten. Wir wollen jedoch die etwas einseitige Abhängigkeit von den zwei Hauptertragsquellen PostFinance und PostMail dank Ertragszuwächsen in den andern Sparten reduzieren. Wir werden noch mehr Wert auf Kundenbindung und das Lösungsgeschäft legen. Ich rechne damit, dass wir damit Wachstum im internationalen Geschäft, im Bereich «Strategische Kunden und Lösungen» und bei PostFinance erzielen werden. Der Substitutions- und Konkurrenzdruck dürfte sich bei den Erträgen im klassischen Geschäft niederschlagen. Wir werden aber auch dort mit innovativen Leistungen am Ball bleiben.
Die Post kann auch bei der Energieversorgung eine Vorreiterrolle spielen. Erstaunlicherweise ging der Anteil der erneuerbaren Energie am Gesamtverbrauch zwischen 2004 und 2005 von 9,2% auf 8,9% zurück. Wie sah/sieht dieser Wert 2006/aktuell aus und wo sehen Sie die besten Möglichkeiten der Post, einen Beitrag zur Schonung der Umwelt zu leisten?
Die Schweizerische Post betreibt bewussten Umweltschutz. Seit 1998 hat sie rund 135 Millionen Franken investiert und über hundert Massnahmen umgesetzt. Es ist der Post gelungen, die meisten ihrer Umweltziele, die sie sich bis 2010 gesetzt hatte, bereits bis heute zu erreichen. Zwischen 2000 und 2005 reduzierte die Post zum Beispiel ihren CO2-Ausstoss um neun Prozent. Mit dem Beitritt zum Klimaschutzprogramm des Verbandes der europäischen Postunternehmen PostEurop hat sie sich verpflichtet, ihre CO2-Emissionen in den nächsten fünf Jahren um weitere zehn Prozent zu verringern. Die Post sieht die nachhaltige Unternehmensführung als Chance. Sie will damit ihre Ressourcen schonen, Kosten senken und ihr Geschäft mit Energie oder CO2-effizienten Dienstleistungen entwickeln.
Die Schweizerische Post produziert selber konstant erneuerbare Energie wie Windenergie und Wasserkraft in der Höhe von 3,6 Mio kWh. Zusätzlich beziehen wir bei der Wärme an diversen Standorten Fernwärme ab erneuerbaren Energiequellen. Diese Verbräuche sind natürlichen Schwankungen wie unterschiedliche Winter oder Wirkung von Sparmassnahmen ausgesetzt.
Als SP-Mitglied wurden Sie von der eigenen Partei wegen Ihrer Rolle bei der Hinführung der Post in einen liberalisierten Markt hart kritisiert. Wo sehen Sie heute Ihre politische Heimat?
Nur eine starke Post kann die für Bevölkerung und Wirtschaft zentralen Dienstleistungen erbringen und dabei auch noch sozialverantwortlich handeln. Ich blieb und bleibe meiner sozialdemokratischen Grundeinstellung treu.
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei, wie sehen diese aus?
Die Stellung und Leistungsfähigkeit der Post künftig auch ohne Monopol halten und dabei auf zufriedene Mitarbeitende bauen können.
Der Gesprächspartner
Ulrich Gygi hat an der Uni Bern in Wirtschaftswissenschaften doktoriert und mit dem Prädikat «magna cum laude» abgeschlossen. Nach einer Assistenz am Betriebswirtschaftlichen Institut der Universität Bern wechselte er 1979 in die Eidg. Finanzverwaltung. Nach einem Abstecher ins damalige Bundesamt für Organisation wurde er 1986 zum Vizedirektor und 1989 zum Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung befördert. Seit Sommer 2000 ist Ulrich Gygi Konzernleiter der Schweizerischen Post.
Das Unternehmen
Die Schweizerische Post ist die zweitgrösste Arbeitgeberin des Landes und ein öffentlich-rechtliches Unternehmen im Besitz der Eidgenossenschaft. Sie hat vom Parlament im Postgesetz von 1998 den Auftrag erhalten, Bevölkerung und Wirtschaft mit Dienstleistungen des Post- und Zahlungsverkehrs zu versorgen. Sie soll die postalische Grundversorgung sicherstellen, einen angemessenen Ertrag erzielen und den Unternehmenswert steigern. Zudem erwartet der Bundesrat, dass die Post eine fortschrittliche und sozial verantwortliche Personalpolitik betreibt.
Über 55’000 Frauen und Männer sorgen dafür, dass jeden Tag 15 Millionen Briefe und jedes Jahr 105 Millionen Pakete pünktlich in die Haushalte und Unternehmen gelangen. Die Post ist in den Geschäftsfeldern Mail, Güter und Logistics, Finanzdienstleistungen und Personenverkehr tätig. Damit sie ihre Führungsrolle auch in Zukunft wahrnehmen kann, stellt sie sich den Herausforderungen des Marktes. Ihre zentralen Werte sind Kundenorientierung, Wettbewerbsfähigkeit, Eigenwirtschaftlichkeit und eine flächendeckende Grundversorgung.
Dieses Gespräch fand im Rahmen des HarbourClub-Symposiums 2007 statt |