«Mit dieser Reform vergibt man sich den Spielraum für eine Senkung der Gewinnsteuer und damit für eine elegante Lösung des Steuerstreits mit der EU», sagt Markus Reich, Steuerrechtsprofessor an der Universität Zürich. Ähnlich äusserte sich in den Medien auch die Luzerner Steuerrechtsprofessorin Madeleine Simonek. Doch die Argumente verhallen weitgehend ungehört – auch bei den Gegnern der Vorlage. «Der Steuerstreit ist bei der Unternehmenssteuerreform kein Thema», sagt SP-Sprecherin Claudine Godat kurz und bündig.
EU fordert Gleichbehandlung
In der Tat haben die geplanten Änderungen bei Dividendenbesteuerung und den kantonalen Kapitalsteuern direkt nichts zu tun mit dem Steuerstreit. In der Auseinandersetzung mit Brüssel geht es um die von der EU geforderte Gleichbehandlung bei der Besteuerung von inländischen und ausländischen Unternehmensgewinnen.
Merz will schrittweise vorgehen
Bundesrat Hans-Rudolf Merz betonte verschiedentlich, er wolle schrittweise vorgehen: Jetzt komme diese Reform, dann erst will er sich um die internationale Steuerkonkurrenz kümmern. Doch für die beiden Fachleute ist fraglich, ob nach einer allfälligen Annahme der Vorlage im Februar eine weitere Reform noch möglich sein werde.
Spielraum ausgeschöpft
«Darüber wird wohl kein politischer Konsens mehr zu erzielen sein, nachdem die Unternehmen erreicht haben, was sie wollen und die lang geschmähte Doppelbelastung ausgemerzt ist», sagt Reich. Zudem bestehe dann «sachlich und rechtlich» kein Spielraum mehr für eine weitere Entlastung bei der Gewinnbesteuerung von juristischen Personen, «weil dadurch die Rechtsformneutralität und die Entscheidungsneutralität der Besteuerung völlig aus dem Lot geraten würden».
Mögliche dritte Reform bleibt diffus
Wie eine mögliche dritte Reform konkret aussehen könnte, wollte Merz bislang nicht präzisieren. Beim zweiten Treffen des «Dialogs» mit der EU liess sich die Schweizer Delegation diesen Mittwoch aber über für die EU-Kommission akzeptierbare Besteuerungsmodelle von EU-Staaten informieren. Die Niederlande beispielsweise unterscheiden bei der Besteuerung nicht mehr nach der geografischen Herkunft des Gewinns, sondern nach Typen der Einnahmen, wie etwa Zinseinnahmen. Und Irland senkte schliesslich die Gewinnsteuer für alle Unternehmen.
SVP-Motion gutgeheissen
Darüber wird auch in Bundesbern diskutiert: Die bürgerliche Mehrheit im Nationalrat stimmte Anfang Oktober einer Motion der SVP zu, die verlangte, den Gewinnsteuersatz für Unternehmen bei der direkten Bundessteuer von 8,5 auf 5 Prozent zu senken. Merz lehnt dies ab. Seine Pläne will er später in diesem Jahr vorlegen. Dann erst wird klar werden, wie gross der politische Spielraum für eine weitere Reform sein wird. Die EU-Kommission jedenfalls wartet einmal die Abstimmung im Februar ab. Dann wird aber bald der Druck für Vorschläge zunehmen. (awp/mc/ps)