Das wird jedoch gefördert», erklärt Holge Heide, Leiter des Instituts für sozialökonomische Handlungsforschung an der Universität Bremen, im pressetext-Interview. Spezieller Kritikpunkt Heides ist der Trend der «selbstständigen Unselbstständigen». Unternehmen übertragen Mitarbeitern stets mehr Entscheidungskompetenz und Flexibilität mit dem Ziel, dem maximalen Output dadurch noch näher zu kommen. «Mit dem Erreichen dieses Ziels ist Anerkennung verbunden. Damit nehmen die Situationen zu, in der Menschen ihre Arbeitssucht ausleben können, wobei Unternehmen wie Dealer wirken», so der Sozialökonom. Arbeitssucht sei dabei, das frühere Leid des Arbeiters an einem monotonen, die Produktivität senkenden Acht-Stunden-Tages zu ersetzen.
Auch wenig Arbeit kann süchtig machen
Forscher um Mario Del Líbano von der spanischen Universität Jaume setzen in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift «Psicotema» die für Arbeitssucht kritische Arbeitszeit mit 50 Stunden an. Derartige quantitative Angaben würden der Problematik jedoch kaum gerecht, warnt Heide. Auch der spanische Vorschlag, übermässige oder zwanghafte Arbeit als wichtigste Merkmale zu sehen, sei mit Vorsicht zu geniessen. «Entscheidend ist die krankhafte Fixierung auf Arbeit. Manche Arbeitssüchtige können vor lauter Stress kaum arbeiten und versuchen ständig, sich von etwas zu erholen, das sie noch nicht getan haben», so der Experte.
Arbeit als Überlebensmittel
Krankhaft ist für Heide Arbeit dann, wenn sie zum Überlebensmittel geworden ist. «Das Problem ist in erster Linie ein psychisches. Betroffene versuchen oft unbewusst, durch die Arbeit eine sonst ausbleibende Anerkennung zu erhalten. Falls das Ziel nicht erreicht wird, will man zumindest beweisen können, dass man es lange versucht hat, was auch lange Arbeitszeiten bewirken kann.» Um Müdigkeit und Schlafbedürfnis des Körpers zu überwinden, putschen sich Arbeitssüchtige mit ihrer Arbeit auf, die wie eine Droge wirken kann.
Einstellung zur Arbeit überdenken
Die Tatsache, dass Arbeit so hoch angesehen wird, erschwert es Workaholics ungemein, ihr ungesundes Verhältnis zur Arbeit zu erkennen. «Wenn man seine Sucht einsieht, ist es in vielen Fällen schon zu spät. Oft gelingt es erst nach einem Burnout, körperlichen Zusammenbruch oder sogar Herzinfarkt», so Heide. Zuvor schrecken die meisten davor zurück, sich als arbeitssüchtig zu outen. «Sie fürchten, damit ein lautes Loslachen zu produzieren. Doch auch anonyme Selbsthilfegruppen für Arbeitssüchtige haben nur geringen Zulauf, obwohl das Problem viele betrifft.» Die Gruppe um Del Líbano beschreibt, dass bestimmte finanzielle oder familiäre Vorbedingungen häufig unter Arbeitssüchtigen anzutreffen sind. Häufig würden Betroffene versuchen, durch Arbeit einen Ausgleich zu schaffen für Angst vor Arbeitsplatzverlust, zunehmenden Wettbewerb oder auch für fehlende persönliche Zuneigung. Ungünstig seien auch zu hohe eigene Erfolgsvorgaben oder die Furcht vor einem dominierenden, fordernden oder bedrohlichem Chef. (pte/mc/ps)