Urs Berger, CEO Mobiliar
von Jolanda Lucchini
Die Mobiliar ist auf den Hund gekommen: Seit Mitte April bietet sie als erste grosse Versicherungsgesellschaft in der Schweiz eine Unfall- und Krankenversicherung für Hunde und Katzen an. Das Potential ist riesig: In der Schweiz werden 500?000 Hunde und über 1,35 Mio. Katzen gehalten. Wie viele davon sind inzwischen versichert?
Wir haben bereits über 400 Haustierversicherungen abgeschlossen: Rund 150 für Katzen und 250 für Hunde; Tendenz stark steigend.
Die Mobiliar spricht ganz gezielt mit Angeboten und Aktionen die Gruppe der unter 26-Jährigen an. Welchen Anteil an Ihrer Kundschaft machen die Jungen inzwischen aus?
Dieser Anteil hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich auf heute 16,6% erhöht. Auf über 1 Million Privatkunden kommen 182 530 junge Leute im Alter zwischen 16 und 26 Jahren, die bei der Mobiliar eine oder mehrere Versicherungen abgeschlossen haben.
Die Mobiliar investiert viel in die Werbung. Die «Liebe Mobiliar»-Spots und die frechen Schadenskizzen sind inzwischen schon Kult. Bringen sie Ihnen auch Kunden?
Viele Leute schmunzeln, wenn sie unsere Werbung sehen. Das trägt zweifellos zur Bekanntheit der Mobiliar bei. Aber nur mit Werbung alleine wären wir kaum derart erfolgreich. Es ist uns wichtig, keine Mogelpackung zu verkaufen: Wenn mal etwas schief läuft, bieten wir als einziger Versicherer an über 80 übers ganze Land verteilten Standorten einen raschen und kundennahen Schadenservice. Dass die Mobiliar in den letzten Jahren über dem Markt gewachsen ist, liegt auch daran, dass wir unsere Versprechen in der Praxis einlösen.
Ihr Nicht-Lebengeschäft erzielte 2008 ? trotz fast stagnierendem Markt ? ein Wachstum: Eine Prämienvolumen-Steigerung von 2,4%. Welches waren die Erfolgskriterien?
Als markanteste positive Einflüsse erwiesen sich unsere Kundenbindung und Kundenloyalität, d.h. wir verlieren weniger Kunden als die Konkurrenz. Ausserdem zeigte sich, dass die Mobiliar als Genossenschaft im Markt sehr gut positioniert ist. Unsere Kundennähe ist dabei ein zentraler Faktor: Diese erreichen wir dank unserer dezentralen Organisationsstruktur.
«Dass die Mobiliar in den letzten Jahren über dem Markt gewachsen ist, liegt auch daran, dass wir unsere Versprechen in der Praxis einlösen.»
Auch im Lebengeschäft legten Sie um 6,8 % zu, Wachstumstreiber waren die Rückversicherungen von Vorsorgeinstitutionen. Wie schätzen Sie hier die weitere Entwicklung ein?
Die Mobiliar Leben behauptete 2008 ihre Leaderposition sowohl in der Rückversicherung von Vorsorgeeinrichtungen als auch in der Risiko-Todesfallversicherung für Private. Das Wachstum von 6,8% liegt beträchtlich über dem rückläufigen Lebensversicherungsmarkt. Wir möchten 2009 unsere traditionell führende Stellung in der Rückversicherung von Vorsorgeeinrichtungen weiter ausbauen. Das Prämienwachstum wird sich aber aufgrund der wirtschaftlichen Lage und der Tarifsenkung verlangsamen.
Die Mobiliar wurde 1826 als erste private Versicherung der Schweiz gegründet. Im selben Jahr wurde das moderne Zündholz erfunden. Feuer ? für den Menschen ein Segen, für die Mobiliar einst fast ruinös: Beim Brand von Glarus 1861 musste sie die für die damalige Zeit horrende Summe von 1 Million Franken an Schadenzahlungen leisten. Welche Kosten entstehen Ihrer Versicherung heute durch Feuerschäden?
Die Mobiliar bezahlt jährlich mehr als 80 Millionen Franken für Feuerschäden an Hausrat, Geschäftsinventar und Gebäuden. Hinzu kommen durchschnittlich 10 Millionen Franken wegen Betriebsunterbrechungen nach Feuerereignissen.
Das Versicherungsgeschäft ist grossen Schwankungen unterworfen. So musste die Mobiliar 2005 rund 485 Mio. Franken für Elementarschäden aufwerfen, 2006 lediglich 60 Mio. und 2007 wieder rund 195 Mio. Franken. Dank der starken Eigenkapitalbasis (2,53 Mia.) wird Sie aber auch ein Grossereignis nicht so schnell in finanzielle Bedrängnis führen. Gibts trotzdem Bedrohungen, die Ihnen Sorgen bereiten?
Tatsache aus unserer Sicht ist: Es gibt mehr extreme Wettersituationen und mehr Schäden. Wie hoch der Einfluss der Klimaveränderung auf den Anstieg der Schäden ist, kann bisher nicht exakt quantifiziert werden. Aber wir rechnen damit, dass Extremereignisse wie Hitzewellen, Starkniederschläge und Überschwemmungen noch zunehmen werden. Nicht die Ereignisse an sich sind das Problem. Solche gab es in vergleichbarem Ausmass schon früher. Für die enormen Schäden sind hauptsächlich sozioökonomische Veränderungen verantwortlich: Die Zunahme der versicherten Werte oder die erhöhte Verletzlichkeit von Bauten durch die verdichtete Bauweise. Auch die Anspruchshaltung der Versicherten hat sich verändert. Deshalb hat heute ein mit dem 19. Jahrhundert vergleichbares Unwetterereignis völlig andere Konsequenzen.
Unterstützt die Mobiliar deshalb die Universität Bern mit 5 Mio. für die Einrichtung einer ausserordentlichen Professur in der Klimafolgenforschung im Alpenraum? Welche Erkenntnisse und Synergien erhoffen Sie sich davon?
Eines vorneweg: Die Unabhängigkeit der universitären Forschung ist durch unsere Unterstützung in keiner Art und Weise gefährdet. Die Universität Bern ist wissenschaftlich tätig, wir bringen ? wo immer das gefragt ist ? unsere erlebte Schadenpraxis ein. Wir erwarten von den Forschungsarbeiten Beiträge in praxisorientierter Form, welche wir für unsere versicherungstechnischen Arbeiten heranziehen können. Als Versicherer schätzen wir täglich Risiken ein und sind dabei auf fundierte Informationen angewiesen. Wir haben grosses Interesse, die Entwicklung im Klimawandel möglichst rasch und möglichst genau zu kennen. Deshalb wird die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis immer wichtiger.
Als grösster Sachversicherer der Schweiz mit 1,4 Mio. Versicherten ist die Mobiliar von Naturkatastrophen wie zum Beispiel Hochwasser stark betroffen. Sie unterstützen bisher über 30 Präventionsprojekte in der ganzen Schweiz. Welches ist das Grösste bzw. komplexeste Projekt und wieviele Millionen stecken Sie dieses Jahr in Präventionsmassnahmen?
Mit einer Summe von 20 Millionen Franken aus dem Überschussfonds der Genossenschaft leistet die Mobiliar einen Beitrag an konkrete Präventionsprojekte in der ganzen Schweiz. Unser bisher grösstes Engagement betrifft das Anfang Mai eingeweihte Hochwasserschutzprojekt in Willisau, das wir mit 1,85 Millionen Franken unterstützt haben. Als wenig später ein heftiges Gewitter über Willisau niederging, hat sich der Entlastungsstollen ein erstes Mal bewährt. 2009 werden wir zwischen zwei und vier Millionen Franken in Präventionsprojekte investieren.
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Erstaunlich: In der Schweiz ist jedes Velo obligatorisch versichert, das Erdbebenrisiko jedoch nicht. Dies obwohl jährlich rund 500 Erdbeben verzeichnet werden. Auch wenn diese in der Regel kaum spürbar sind, ein erhebliches Risikopotential für ein grösseres Beben besteht durchaus: 1356 hat in Basel ein Erdbeben der Richterskala 7 Hunderte von Leben ausgelöscht. Der Erdbebenpool der Kantone könnte ein solches Schadenereignis niemals decken. Wer sträubt sich gegen die Aufnahme des Erdbebenrisikos in die obligatorische Elementarschadenversicherung?
Der Schweizerische Versicherungsverband SVV hat in den letzten Jahren gemeinsam mit dem Verband der Kantonalen Feuerversicherer VKF ein Produkt für eine landesweite Erdbebenversicherung entwickelt und dem Bundesrat zur Genehmigung vorgelegt. Ein Entscheid ist noch ausstehend. Unsere Umfragen zeigen, dass ein grosser Teil der Hauseigentümer eine Erdbebenversicherung wünscht. Einige Vertreter des Hauseigentümerverbandes sind aber dagegen.
Wie schätzen Sie die Chancen für die Einführung einer solchen Erdbebenversicherung ein?
Der Bundesrat ist sich der grossen Gefahr durch Erdbeben bewusst. Er hat deshalb auf Stufe Bund Massnahmen eingeleitet, damit die Schweiz auf ein Erdbeben besser vorbereitet ist. Es wäre deshalb nur konsequent, wenn der Bundesrat auch die Einführung einer Erdbebenversicherung beschliesst. Wenn keine gesamtschweizerische solidarische Lösung zustande kommt, werden einzelne Versicherer individuelle Lösungen anbieten.
Ihre grossen Konkurrenten Allianz und Axa operieren beide international, die Mobiliar ist nur in der Schweiz und Liechtenstein aktiv. Gab und gibt es keine Expansionspläne?
Eine Expansion ins Ausland ist für die Mobiliar kein Thema. Unser Know-how liegt im Schweizer Markt. Wir tun das, was wir am besten können und haben uns immer sehr konsequent auf den Schweizer Markt konzentriert. Mit dieser Strategie sind wir sehr erfolgreich. Seit Jahren wachsen wir in der Schweiz über dem Markt und gewinnen Marktanteile dazu, obwohl der Markt an sich gesättigt ist.
«Eine Expansion ins Ausland ist für die Mobiliar kein Thema. Unser Know-how liegt im Schweizer Markt.»
Die wirtschaftliche Leistung der Mobiliar ist kundenfokusiert, Überschussanteile kommen den Mobiliar-Kunden zugute. 2008 flossen 40 Millionen Franken an KMU-Kunden mit einer Betriebsversicherung zurück, was einer Prämienreduzierung von 20 Prozent entsprach. Dieses Jahr sollen über 1 Mio. Privatkunden mit einer MobiCasa Haushalt- und Gebäudeversicherung berücksichtigt werden. Werden auch sie eine 20%ige Prämienreduktion erhalten? Erfolgt die Ausschüttung im Rotationsprinzip oder situativ?
Dieses Jahr fliessen über 100 Millionen Franken als Überschussbeteiligung an die Versicherten zurück. Die mehr als 1 Million Kundinnen und Kunden mit einer MobiCasa Haushaltversicherung bezahlen mit der nächsten Prämienrechnung 20 Prozent weniger. Die Entscheide über die jeweilige Ausschüttung werden jedes Jahr aufs Neue gefällt.
In ihrem Unternehmensfilm erklärt ein Delegierter der Mobiliar seinem Enkel, wie die Mobiliar funktioniert. Er vergleicht den CEO mit einem Lokführer, der ganz vorne im Zug, im Führerstand sitzt. Welche Eigenschaften haben Sie sonst noch mit einem Lokführer gemeinsam?
Einerseits gefällt mir der Vergleich mit dem Lokführer, weil ein CEO im Führerstand sitzt und Verantwortung übernimmt. Andererseits ist mir ein Lokführer ein bisschen zu einsam. Er sieht die Passagiere nicht und auch mit dem Zugspersonal hat er nur wenig Kontakt. Er steuert sein «Unternehmen» ausschliesslich mit elektronischen Hilfsmitteln. Natürlich: auch bei der Führung eines Versicherungsunternehmens bin ich auf technische Unterstützung angewiesen. Das genügt aber bei Weitem nicht: Die Nähe zu den Mitarbeitenden ist für mich sehr wichtig. Sie müssen mich spüren können, und ich auch sie. Nur so können wir erfolgreich sein.
Was ausserdem macht Ihrer Meinung nach einen guten CEO aus?
Ich versuche, ein guter CEO zu sein, indem ich mich selber bin, nicht versuche eine Rolle zu spielen, die Nähe zu meinen Mitarbeitenden suche und die Erwartungen, die ich an die Mitarbeitenden stelle, auch selber erfülle. Wichtig ist zudem, dass ich eine klare Vorstellung vermittle, wohin wir uns entwickeln.
Der Gesprächspartner:
Urs Berger, 58, trat am 1. Januar 2003 in die Mobiliar ein und führt diese seit dem 25. Mai 2003 als CEO. Er studierte an der Hochschule St. Gallen Ökonomie. Ab 1978 war er bei einem Versicherungsbroker tätig und von 1981 bis 1993 bei der Zürich Versicherung, dort insbesondere als Leiter Industrieberatung. 1993 wechselte er zur Basler Versicherung und wurde 1999 Vorsitzender der Geschäftsleitung Schweiz und Mitglied der Konzernleitung.
Zur Unternehmung:
Im Schweizer Markt nimmt die Mobiliar mit einem Prämienvolumen von 2,85 Mia. Franken eine führende Stellung ein. Sie betreut rund 1,4 Millionen Kundinnen und Kunden. Neben den «klassischen» Hausratversicherungen bietet sie Gebäude-, Haftpflicht- und Motorfahrzeugversicherungen, Lebens- und Risikoversicherungen, Unfall- und Krankenversicherungen, Technische und Bauversicherungen, Transport- und Reise- sowie Betriebsversicherungen an. Eine der Stärken der Mobiliar ist ihre dezentrale Struktur: Über 80 Generalagenturen im ganzen Land sorgen für Kundennähe. Diese wickeln 95 Prozent aller Schadenfälle direkt ab.
Die Mobiliar-Gruppe beschäftigt 3’467 Mitarbeitende (Vollzeitstellen) und 287 Lernende und Praktikanten, zum Konzern gehören die Mobiliar Versicherungsgesellschaft AG, welche das Nicht-Lebengeschäft abdeckt, die Mobiliar Lebensversicherungs-Gesellschaft AG als Spezialistin für Risiko-Lebensversicherungen in der beruflichen, und als Retaillebensversicherer in der privaten Vorsorge sowie die Protekta Rechtsschutz-Versicherung AG, die Protekta Risiko-Beratungs-AG, die Mobi24 Call-Service-Center AG und die XpertCenter AG. 2008 lag die Mobiliar in fast allen Sparten über dem Marktwachstum, im Finanzgeschäft dagegen schrieb sie einen Verlust von 264 Mio Franken, was den Gewinn auf ein bescheidenes Mass von 27,6 Millionen Franken drückte.