Uwe E. Jocham, Direktionspräsident CSL Behring AG: «Mit dieser Investition in die Zukunft ist der Standort Bern der CSL Behring auf mehrere Jahrzehnte hinaus gesichert»
von Patrick Gunti
Herr Jocham, Ende August hat CSL Behring in Bern die neue Produktionsanlage für Immunglobulin eingeweiht. Wie wichtig ist die neue Anlage für die CSL Behring AG und welche Bedeutung hat sie für die Muttergesellschaft CSL Limited?
Die neuen Produktionseinrichtungen sind für die ganze CSL Gruppe von Bedeutung. In der neuen Anlage, die weltweit modernste ihrer Art, werden wir in Bern das von CSL Behring neu entwickelte flüssige Immunglobulin Privigen(TM) für den globalen Markt herstellen. Mit dieser Investition in die Zukunft ist der Standort Bern der CSL Behring auf mehrere Jahrzehnte hinaus gesichert. Für den Mutterkonzern CSL Limited stellt der Bereich Plasmaprotein-Biotherapeutika einen wesentlichen Geschäftsbereich dar. Die neue Anlage und das neue Produkt sind ein wichtiger Schritt in der langfristigen Strategie von CSL Limited.
Was waren die Gründe, innerhalb des CSL-Konzerns den Standort Bern zum «Center of Excellence» für Immunglobuline zu machen?
Der Standort Bern zeichnet sich durch langjährige Erfahrung und Erfolge im Bereich der Entwicklung und Herstellung von Immunglobulinen aus, verbunden mit Know-how, Expertise und kontinuierlicher Innovation. Daneben war das Immunglobulinprodukt Sandoglobulin® bereits seit 25 Jahren erfolgreich im Markt und neben der ausgezeichneten Marktpenetranz des Produkts waren die Produktionseinrichtungen, die Kapazität, Ausbeute und Produktionseffizienz die besten innerhalb des neu zu bildenden Produktionsnetzwerkes von CSL Behring.
Wie verlief der Wettbewerb mit den CSL Behring-internen Standorten in Marburg/D oder Kankankee/USA?
Bern konnte gegenüber den anderen Standorten, abgesehen von seiner Kompetenz als Center of Excellence für Immunglobuline, weitere Vorteile aufweisen, wie etwa Bau der Anlage in einem bestehenden Gebäude, Nutzung bereits vorhandener Infrastruktur und weiterer Synergien. Daneben waren aber auch die Standortvorteile, die Stadt und Kanton Bern bieten, wie etwa die Universitätsnähe, die verkehrstechnische Lage und Erschliessung, die gute Zusammenarbeit mit Behörden und mit Interessengruppen, wie beispielsweise der Medical Cluster, zusätzlich ins Gewicht fallende Faktoren. Nicht zu vergessen die günstigen Steuerkonditionen des Kantons Bern, welche im Vergleich zu Deutschland und den USA ebenfalls ein wichtiger Standortfaktor sind.
«Der Standort Bern zeichnet sich durch langjährige Erfahrung und Erfolge im Bereich der Entwicklung und Herstellung von Immunglobulinen aus, verbunden mit Know-how, Expertise und kontinuierlicher Innovation.» (Uwe E. Jocham, Direktionspräsident CSL Behring AG)
In der neuen Anlage soll das Immunglobulin Privigen(TM) hergestellt werden. Zum besseren Verständnis: Was ist ein Immunglobulin?
Immunglobuline sind Proteine (Eiweisse), die im menschlichen Körper als Reaktion auf bestimmte eingedrungene Fremdstoffe, als Antigene bezeichnet, gebildet werden. Sie dienen der Abwehr dieser Fremdstoffe. Die Immunglobulin-Präparate werden beim Menschen mit einer gestörten oder ungenügend wirksamen körpereigenen Abwehr verabreicht. Man spricht in der Regel von so genannten Immunmangelerkrankungen oder Immundefizienzen.
Und wie verläuft der Herstellungsprozess?
Die Gewinnung von Medikamenten aus Plasma ist ein komplexer Prozess, bei dem durch Fraktionierung in mehrere tausend Liter fassenden Tanks mittels Zugabe von Ethanol, Filterhilfsmitteln und Puffersubstanzen die spezifischen Wirkstoffe ausgefällt, mit Filterpressen aufgefangen und isoliert werden. Diese Pasten sind Ausgangsmaterial für weitere Prozessschritte zur Aufreinigung und Konzentrierung durch die wir unsere Produkte, wie zum Beispiel Immunglobuline und Albumin herstellen.
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Die neue Anlage hat 70 Mio. Franken gekostet. Welches sind die Kennzeichen dieser Anlage?
Die State-of-the-art Anlage zeichnet sich insbesondere durch ein hochmodernes Flüssigkeitschromatografiesystem, eine vollautomatische Filterpresse mit einer Filteroberfläche von 120 m2 und 1’500 Liter Volumen, drei Ultrafiltrationssysteme und eine Nanofiltrationsanlage aus. Ein weiterer wichtiger Bestandteil ist eine effiziente, keimfreie Abfülllinie, die einen vollständigen Produktionsbereich inklusive Sterilfiltration der Produkte bildet.
Die Prozesse in der neuen Anlage sind hochgradig automatisiert und computergestützt und wurden so entwickelt, dass nur minimale manuelle Eingriffe erforderlich sind. Die Dokumentation wird komplett papierlos erfolgen und es wird eine elektronische Chargenaufzeichnung implementiert.
Privigen(TM) soll die Nachfolge des erfolgreichen Sandoglobulin® antreten. Was zeichnet Privigen(TM) aus, wann kommt es auf den Markt und ab wann kann es auf der neuen Anlage produziert werden?
Diese neueste Generation eines Immunglobulin Produktes zeichnet sich durch einen modernen chromatographischen Prozess und höchste Pathogen-Sicherheit aus. Privigen(TM) ist das erste flüssige 10 % Immunglobulin ausschliesslich mit Prolin, einer im menschlichen Blut vorkommenden Aminosäure, als Stabilisator. Die einzigartige Formulierung verleiht dem Produkt eine Lagerfähigkeit von 2 Jahren bei Raumtemperatur.
Ende Juli 2007 haben wir von der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde die Marktzulassung für Privigen(TM) erhalten. Die Markteinführung in den USA ist im ersten Quartal 2008 vorgesehen. Die Aufnahme der Produktion in der neuen Anlage ist im ersten Halbjahr 2009 geplant. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Herstellung von Privigen(TM) in unserer bestehenden Produktionsanlage für die Markteinführung erfolgen.
Gegen welche Krankheiten gelangen Sandoglobulin®, dereinst Privigen(TM) sowie die anderen in Bern hergestellten Medikamente zum Einsatz?
Unser intravenöses polyvalentes Immunglobulin, welches unter verschiedenen Produktnamen weltweit vertrieben wird, ist indiziert zur Anwendung bei Menschen mit Immunschwäche und bei zahlreichen neuromuskulären und dermatologischen Autoimmunkrankheiten. Ein weiteres Präparat, unser Anti-D Immunglobulin, dient der Prävention hämolytischer Krankheiten bei Neugeborenen. Albumin, unser drittes Produkt, wird in der Notfallversorgung und Intensivmedizin bei Patienten mit Verletzungstraumata, Verbrennungen oder Schocksyndromen eingesetzt sowie in der Wundheilung bei grösseren chirurgischen Eingriffen.
Gegenüber der Tageszeitung «Der Bund» haben Sie angedeutet, dass am Standort weitere Investitionen geplant sind. In welchen Bereichen?
Geplant ist ein weiterer Kapazitätsausbau im gleichen Gebäude mit dem Bau eines zweiten Moduls für die Herstellung von Immunglobulinen. Dieser Schritt bedarf aber noch der Zustimmung durch den CSL Verwaltungsrat.
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Sie führen in Bern ein Unternehmen mit 800 Angestellten aus über 30 Ländern. Es ist sicher nicht leicht, gerade im Forschungsbereich Topleute an einen Standort zu lotsen, der nicht als Pharmazentrum gilt. Findet hier ein CSL-interner Austausch statt?
Als international tätiges Unternehmen bieten wir ein attraktives Umfeld und gute Aus- und Weiterbildungs- sowie Entwicklungsmöglichkeiten. Wir arbeiten eng mit der Universität und weiteren Institutionen zusammen, was bei der Rekrutierung von Fachkräften ein Vorteil ist. Zudem hat die Mobilität und Flexibilität bei der Stellensuche allgemein zugenommen. Aber auch innerhalb der CSL-Gruppe finden sich Mitarbeitende, die gerne bereit sind, an einem der Standorte der Gruppe neue Erfahrungen zu sammeln. Wir haben aber auch ganz zielgerichtet intensive Kontakte mit verschiedenen Ausbildungsstätten und Hochschulen, um den Nachwuchs im Forschungsbereich auch langfristig sicherstellen zu können. Ich möchte hierbei vor allem die Universität und Fachhochschule Bern, die Hochschule Wädenswil, die Universitäten Basel und Zürich aber auch unsere Aktivitäten im Medical Cluster Bern sowie den CCMT nennen.
«Die Schweiz und im Besonderen der Kanton Bern und der Espace Mittelland zeigen nicht nur eine hohe Konzentration von Unternehmen aus dem Bereich der Medizinaltechnik sondern ebenfalls eine Vielzahl an spezialisierten Ausbildungsstätten und Universitäten.» (Uwe E. Jocham)
Von welcher Personalentwicklung gehen Sie für die kommenden Jahre aus?
In den letzten fünf Jahren ist der Personalbestand in Bern von 650 Mitarbeitenden auf gegenwärtig 800 gewachsen. Wir sind bestrebt, mit weiteren Innovationen unseres Produktportfolios den Standort auch weiterhin zu stärken und sind überzeugt, nötigenfalls auch weitere kompetente und motivierte Mitarbeiter am Standort rekrutieren zu können.
Wie beurteilen Sie die Möglichkeiten der spezifischen, medizintechnischen Ausbildung in der Schweiz?
Die Schweiz und im Besonderen der Kanton Bern und der Espace Mittelland zeigen nicht nur eine hohe Konzentration von Unternehmen aus dem Bereich der Medizinaltechnik sondern ebenfalls eine Vielzahl an spezialisierten Ausbildungsstätten und Universitäten. Hier hat sich eine Kernkompetenz ausgebildet, deren Entwicklung und Förderung mit der Gründung des Medical Clusters Bern vor zehn Jahren eine wichtige Unterstützung erhielt.
Sie sind Vorstandsmitglied des angesprochenen «Medical Cluster» Bern. Wie wichtig ist die CSL Behring AG für den Cluster, wie wichtig der Cluster für die CSL Behring AG?&
Die Vernetzung von Firmen im Medical Cluster ermöglicht den Mitgliedern u. a. Synergien zu nutzen, gemeinsame Interessen zu bündeln und gegenüber der Öffentlichkeit und den Behörden zu vertreten und die Unternehmen und auch den Standort Bern national und international zu positionieren. Durch unser Engagement im MCB lernen wir weitere Unternehmen der Gesundheitsbranche kennen. Dadurch ergeben sich neue Optionen: Wir bekommen Hinweise auf neue technische Lösungen, Dienstleister oder Lieferanten, die wir bei eigenen Anwendungen einbinden können, oder lernen Kooperationspartner kennen. Die Mitarbeit im Cluster befruchtet unsere Arbeit bei CSL Behring also sowohl auf wissenschaftlicher Ebene, als auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Und durch die kürzliche Gründung des CCMT (Competence Center for Medical Technology), dessen Stiftungsratspräsident ich bin, wurde eine neue Plattform zur Vernetzung der universitären und wirtschaftlichen Aktivitäten auf dem Gebiet der Medizinaltechnik geschaffen.
Herr Jocham, besten Dank für die Beantwortung unserer Fragen.
Zur Person:
Der in Frankfurt geborene Uwe E. Jocham studierte Pharmazie an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München. Nach seiner Approbation wurde er wissenschaftlicher Assistent in Forschung und Lehre am Institut für Pharmazeutische Technologie der LMU. Uwe E. Jochams Laufbahn in der Pharmaindustrie begann 1993 als Produktionsleiter und Projektmanager für die Errichtung einer neuen Anlage bei Hexal. 1994 ging er als Projektmanager für eine neue Anlage bei der Chassot AG (Bern) in die Schweiz. Später übernahm er die Leitung von Produktion, Entwicklung und Logistik bei der Chassot AG. Er erwarb Zusatzqualifikationen in Marketing-Planung, Betriebsführung für kleine und mittelständische Unternehmen (Hochschule Sankt Gallen) und pharmazeutischer Technologie für Pharmazeuten. Dann wurde er Leiter von Marketing und Business Development bei Life Sciences Meissner + Wurst in Stuttgart.
Jocham kehrte im Jahr 2000 als Production Manager bei CSL Behring in die Schweiz zurück. 2001 wurde er zum Head of Production befördert und leitete verschiedene Projekte, einschliesslich der Anlagenmodernisierung und des Umzugs der Verpackung und optischen Prüfung sowie des Lagers in den Untermattweg. Seit April 2004 ist er Standortleiter des Center of Excellence für Immunglobuline in Bern.
Zum Unternehmen:
Die CSL Behring AG in Bern – ein Unternehmen der CSL Behring mit Sitz in King of Prussia, Pennsylvania, USA – ist ein international tätiges biopharmazeutisches Unternehmen, das aus menschlichem Plasma biologische Medikamente entwickelt und produziert. Am Sitz in Bern sind rund 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. In der Schweiz werden die Produkte der CSL Behring durch die CSL Behring (Schweiz) AG vertrieben. Die Produktionsanlagen der CSL Behring AG sind von den Schweizer Gesundheitsbehörden und von der US-amerikanischen FDA lizenziert. Jährlich werden aus über zwei Millionen Litern menschlichem Plasma therapeutisch wichtige Proteine nach strengsten Sicherheits- und Qualitätsnormen isoliert und zu Medikamenten verarbeitet. Die Produkte der CSL Behring AG werden weltweit vertrieben.