Valentin Lagger, Leiter Arbeitsgruppe Pandemie SECO
von Patrick Gunti
Herr Lagger, ausgehend von den aktuellen Informationen des BAG wird die Schweinegrippe in Kürze die Schweiz fest im Griff haben. Wie sind die Schweizer Firmen generell auf die Pandemie vorbereitet? Werden Ihre Empfehlungen genügend ernst genommen?
Ich gehe davon aus, dass die Unternehmen mit dem Auftreten der neuen Grippe A/H1N1 stark sensibilisiert worden sind und die Vorbereitungen angehen. Bisher dürften wohl erst die grossen, international tätigen Unternehmen Vorbereitungen getroffen haben.
Welche Branchen werden am stärksten betroffen sein und sind diese Branchen auch am besten vorbereitet?
Welche Branchen am stärksten betroffen sein werden, lässt sich aus heutiger Sicht nicht genau sagen, weil wir den Verlauf der Pandemie nicht kennen. Intuitiv könnte man davon ausgehen, dass sich vor allem jene Branchen gut vorbereiten müssen, in denen die Einhaltung der Hygiene sehr wichtig ist, so z.B. der Detailhandel. Falls die Menschen weniger reisen, könnte auch der Tourismussektor Einbussen erleiden. Aber das sind alles ? wie bereits erwähnt ? Spekulationen. Sehr gut vorbereitet sind meines Erachtens wie bereits ausgeführt die grossen, multinationalen Firmen sowie der grossen Detailhandelsunternehmen.
Wie beurteilen Sie die Situation bei den kleinen und mittleren Unternehmen?
Bisher dürften sich viele noch keine oder nur wenige Gedanken zur Pandemievorbereitung gemacht haben. KMU verfügen zumeist auch nicht über die Ressourcen, um eine Planung vertieft anzugehen. Auch das ist aber eine Einschätzung der Lage, für die ich keine empirischen Belege habe.
Was müssen die wichtigsten Ziele der betrieblichen Vorbereitung sein?
Es gibt zwei Hauptbereiche, die geplant werden müssen: die organisatorische und die materielle ? nicht medikamentöse ? Planung. Im organisatorischen Bereich müssen die Prozesse geplant werden für den Fall, dass mehrere Angestellte ausfallen. Die materielle Planung umfasst z.B. die Beschaffung von Masken und Desinfektionsmittel.
Zur Vorbereitung auf die Grippewelle steht Betrieben das «Handbuch für die betriebliche Vorbereitung» des BAG und des SECO zur Verfügung. Worauf basiert dieses?
Das Handbuch basiert im Grundsatz auf dem Pandemieplan Schweiz und stellt eine Detaillierung desselben dar. Zudem bildet das Handbuch die Kompetenzverteilung zwischen Behörden und der Wirtschaft ab, wie das SECO dies mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft abgemacht hat.
«Der Arbeitgeber ist zudem verantwortlich für den Schutz seiner Mitarbeitenden und in diesem Sinne auch gehalten, die rechtlichen Normen einzuhalten.»
Sie mahnen die Unternehmen, umgehend einen Pandemieplan zu erstellen. Welche Mindestanforderungen hat dieser zu erfüllen, damit er nicht nur die Betriebsfähigkeit sichert, sondern auch die Rechte zum Schutz des Arbeitnehmers erfüllt?
Im Grundsatz muss eben jeder Unternehmer selber die Mindestanforderungen seines Pandemieplanes definieren, denn er kennt seinen Betrieb am Besten. Als Grundlage dient das bereits erwähnte Handbuch. Der Arbeitgeber ist zudem verantwortlich für den Schutz seiner Mitarbeitenden und in diesem Sinne auch gehalten, die rechtlichen Normen einzuhalten.
Wie sieht es bezüglich Arbeitsausfällen aus? Wie gut sind die Unternehmen vorbereitet und welche Massnahmen werden getroffen?
Ich muss im Moment davon ausgehen, dass die Unternehmen in der Schweiz noch nicht ausreichend auf Arbeitsausfälle vorbereitet sind. Die zu treffenden Massnahmen sind im Handbuch zur betrieblichen Vorbereitung skizziert.
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Welche Möglichkeiten haben denn die Betriebe, um bei zahlreichen Ausfällen die gesunden Mitarbeiter zu längerer Präsenz im Betrieb zu verpflichten ? zum Beispiel mit Überstunden oder einer Feriensperre?
Beide Möglichkeiten stehen dem Arbeitgeber grundsätzlich offen. Sind Überstunden betrieblich notwendig, so ist der Arbeitnehmer dazu verpflichtet diese zu leisten, soweit er sie zu leisten vermag und sie ihm zugemutet werden können. Der Arbeitgeber muss sich jedoch auch im Pandemiefall an die Bestimmungen des Arbeitsgesetzes halten. Ebenso möglich ist eine Feriensperre, falls überwiegende, ausserordentliche und unvorhersehbare betriebliche Interessen vorliegen. Entsteht dem Arbeitnehmer durch die Verschiebung jedoch ein Schaden, so ist der Arbeitgeber schadenersatzpflichtig.
Die Unsicherheit in der Bevölkerung ist relativ gross. Allerorten wird empfohlen, bei ersten Grippesymtomen zu Hause zu bleiben. Gleichzeitig sagt das BAG, bei normalem Verlauf sei ein Arztbesuch nicht unbedingt angezeigt. Auf der anderen Seite müssen die Arbeitnehmer dem Arbeitgeber bei längeren Abwesenheiten ein Arztzeugnis vorlegen. Welche Lösung schlägt das SECO vor?
Diese Frage wird zur Zeit politisch stark diskutiert. Wir erarbeiten derzeit eine Lösung und werden diese in den nächsten Wochen kommunizieren.
Kann ein Arbeitnehmer das Erscheinen am Arbeitsplatz verweigern, wenn ihm die Ansteckungsgefahr zu gross erscheint?
Nein, das darf er grundsätzlich nicht. Er muss am Arbeitsplatz erscheinen. Der Arbeitgeber ist ja aber verpflichtet, Schutzmassnahmen zu treffen.
Wenn jemand nicht selber erkrankt ist, sich aber zum Beispiel um die Kinder kümmern muss, die entweder krank sind oder deren Schule geschlossen wurde. Wie sieht hier die Situation für den Arbeitnehmer aus?
Fehlt der Arbeitnehmer weil er seine Kinder pflegen oder betreuen muss, so erhält er während 3 Tagen den vollen Lohn ausbezahlt. Weitere Absenzen gelten als unverschuldete Verhinderungen, eine Lohnfortzahlungspflicht besteht in diesen Fällen jedoch nicht mehr. Dies da davon ausgegangen wird, dass es für die Eltern zumutbar ist, innerhalb von 3 Tagen ein Betreuungsersatz zu finden.
Sollte die Grippepandemie die Schweiz stark treffen, wären auch die wirtschaftlichen Schäden immens. Wo würden die grössten wirtschaftlichen Kosten entstehen? Lässt sich der mögliche volkswirtschaftliche Schaden beziffern?
Von einer Pandemie am stärksten betroffen wäre wohl die Tourismus ? und Transportbranche sowie alle Anbieter von Freizeitaktivitäten mit grossen Menschenansammlungen. Es kann jedoch angenommen werden, dass die Ausfälle lediglich zu einer temporären Umsatzverlagerung führen würden, da wohl nur ein Bruchteil des Jahresumsatzes betroffen wäre. Bereits jetzt eine genauere Einschätzung und Bezifferung des volkswirtschaftlichen Schadens vorzunehmen ist problematisch. Viele Faktoren wie zum Beispiel Ausmass und Dauer der Pandemie basieren ihrerseits nur auf Annahmen welche je nach Szenario unterschiedlich ausfallen. Dazu werden viele wesentliche indirekte Effekte stark von der öffentlichen Wahrnehmung der konkret vorliegenden Situation abhängig sein. Die heutige Informationslage ist nicht ausreichend um die diversen möglichen Szenarien sinnvoll einzugrenzen.
Herr Lagger, besten Dank für die Beantwortung unserer Fragen.
Zum SECO:
Das SECO ist das Kompetenzzentrum des Bundes für alle Kernfragen der Wirtschaftspolitik. Sein Ziel ist es, für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu sorgen. Dafür schafft es die nötigen ordnungs- und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen. Arbeitgebende und Arbeitnehmende sollen von einer wachstumsorientierten Politik, vom Abbau von Handelshemmnissen und von der Senkung der hohen Preise in der Schweiz profitieren.
Zur Person:
Valentin Lagger (*1970, lic.rer.pol.) ist Leiter des Übersetzungsdienstes der Direktion für Arbeit im SECO sowie der Geschäftskoordination des Leistungsbereiches Arbeitsmarkt / Arbeitslosenversicherung. Er leitet zudem die Arbeitsgruppe Pandemie SECO, welche das Handbuch zur betrieblichen Vorbereitung sowie den FAQ-Katalog erarbeitet hat.