Verhandeln mit Neuro-Strategien

Wie viele unserer Entscheidungen und Handlungen sind durch äussere oder innere Faktoren (Zwang oder Manipulation) bestimmt und wie viele sind frei?


Frieder Gamm: Es gibt keine absolut freien Entscheidungen. Jede Entscheidung, die ein Mensch trifft, wird durch seine Gefühle, seine Erfahrungen und Erinnerungen, seine Werte und durch die Aktivitäten seines Belohnungssystems bestimmt. Selbst die scheinbar rein rationalen Entscheidungen des «Homo oeconomicus» beruhen auf individuellen neuronalen Denkmustern. Was dem einen vernünftig und ganz logisch erscheint, kann für den anderen vollkommen falsch sein, weil er um ein paar andere Ecken herum denkt.


Aber nicht nur diese inneren Faktoren spielen bei Entscheidungen eine Rolle. Der Mensch ist ein soziales Wesen und deshalb ist er auch offen für Manipulationen. Es kommt nur darauf an, dass sie im Gehirn des Betreffenden auf eine entsprechende Resonanz treffen. Begriffe wie «Rabatt» oder «Sonderangebot» aktivieren das Belohnungssystem und fördern die Kaufentscheidung. Nehmen Sie nur folgendes skurriles Beispiel: Ein Paar Socken kosten einzeln 1,00 Euro. Drei Paar von den gleichen Socken kosten im Sonderangebot 3,90 Euro. Die Mehrzahl der Käufer entscheidet sich ganz automatisch für das Sonderangebot, obgleich der Preis pro Paar höher ist, als wenn man sie einzeln kaufen würde.


Haben uns andere Länder in Sachen «Verhandeln» etwas voraus und wenn ja, was?


Frieder Gamm: In vielen Ländern mit einer «Basarmentalität» ist es ganz selbstverständlich, dass die Preise nicht einseitig festgelegt werden, sondern das Ergebnis eines Dialogs zwischen Käufer und Verkäufer darstellen. In der Regel fühlen sich am Ende beide Seiten als Gewinner und haben ein gutes Gefühl. Es gibt viel seltener diese Über- und Unterordnung wie bei uns, sondern die Menschen begegnen sich viel häufiger gleichberechtigt auf Augenhöhe.


Ist wirklich alles verhandelbar?


Frieder Gamm: Die Grenzen, was verhandelbar ist uns was nicht, zieht jeder für sich selbst. Allerdings sind einige auch fest in der Kultur und Gesellschaft verankert. So ist eine Einschränkung der grundlegenden Menschenrechte bei uns sicherlich nicht verhandelbar, ebenso wenig wie das, was eindeutig durch Gesetze geregelt ist. Ansonsten sind es religiöse, moralische, ethische und wahrscheinlich auch politische Grundüberzeugungen, die für die meisten Menschen nicht verhandelbar sind. Aber wie wir es sowohl in der Politik als auch in der Religion sehen, kann man durchaus zu seinen Grundüberzeugungen stehen und trotzdem in Verhandlungen zu gemeinsamen, tragfähigen Lösungen kommen.


Was ist in der Regel erfolgreicher: Ein partnerschaftliches, diplomatisches Vorgehen oder Druckaufbau?


Frieder Gamm: Es gibt keine generellen Erfolgsregeln. Es kommt immer auf die spezielle Situation an, in die sich die Verhandelnden begeben, und natürlich auch darauf, wie sich eine Verhandlung entwickelt. Die Elemente der Strategie Druck reichen ja von ganz sachlichen Fakten, wie zum Beispiel den Preisen der Wettbewerber, bis hin zu unfairen Verhaltensweisen. Die Elemente der Strategie Partnerschaft stellen eher die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund. Diplomatie beschreibt dabei eher eine Umgangsform. Man kann auch auf diplomatische Weise Druck ausüben. Druck bedeutet also keineswegs automatisch, unfair und aggressiv zu werden. Beides ist für zukünftige Geschäfte eher wenig förderlich.


Grundsätzlich sollte man deshalb über eine partnerschaftliche Strategie nachdenken, die man aber durchaus mit Elementen des Drucks würzen kann, wenn das Ziel dies erfordert oder der Verhandlungspartner unentschlossen ist. Druck muss ja nicht automatisch zum Gesichtsverlust des anderen führen, sondern kann auch die Ernsthaftigkeit einer Verhandlung untermauern.


Wie lenke ich das Gespräch geschickt auf eine emotionale Ebene und welche Vorteile können sich daraus ergeben?


Frieder Gamm: Die meisten Verhandlungen gliedern sich in ein Vorgespräch, die sogenannte Aufwärmphase, und die eigentliche Verhandlung. Viele glauben, beides habe nichts miteinander zu tun. Das ist ein Irrtum. Im Vorgespräch versucht man Gemeinsamkeiten zu finden, Interesse für den anderen zu zeigen und ihm Wertschätzung und Anerkennung zu signalisieren. Dadurch wird das Belohnungssystem des Gesprächspartners aktiviert. Es werden positive Erwartungen erzeugt und es entsteht die Bereitschaft, gern miteinander zu sprechen. Insofern ist die Aufwärmphase ganz entscheidend für den späteren Verhandlungsablauf.


Die meisten Menschen gehen davon aus, dass es in jeder Verhandlung einen Gewinner und einen Verlierer gibt.


Gemeinsamkeiten machen es in jeder Verhandlung leichter, über unterschiedliche Positionen zu sprechen. Jeder muss in einer Verhandlung etwas geben und möchte etwas bekommen. Oft geht es in Verhandlungen nicht allein um Preise und Leistungen, sondern um Anerkennung und Wertschätzung. Wenn man diese bereits im Vorgespräch zu spüren bekam, fällt es den meisten Verhandlungspartnern leichter, anschließend eine gemeinsame Lösung zu finden. Und jede Verhandlung, die als Win-win-Situation erlebt wurde, ist eine gute Verhandlung gewesen.





Zum Autor:
Frieder Gamm hat sich mit seinem Unternehmen, der Frieder Gamm Group (FGG), auf die Unterstützung von Unternehmen bei Verhandlungen aller Art durch Vorträge, Verhandlungsseminare und Schulungen spezialisiert. Der Autor begleitet und führt kritische oder besonders wichtige Verhandlungen im Auftrag von Unternehmen.



Verhandlungen gewinnt man im Kopf
Erfolgreich kommunizieren mit Neuro-Strategien
Gamm, Frieder
 
ISBN978-3-86881-046-2
216 Seiten


Dieses Buch des Verhandlungsexperten Frieder Gamm zeigt anhand vieler konkreter Fallbeispiele erstmalig, wie Verhandlungen durch die Nutzung neurowissenschaftlicher Erkenntnisse professioneller geführt werden können und so weit besser verlaufen. Seine beeindruckenden Ratschläge und Anleitungen ermöglichen es, durch ein ausgefeiltes Aktionsinstrumentarium Verhandlungen im alltäglichen Leben noch souveräner zum Ziel zu führen. Beispielhaft werden konkrete Situationen analysiert, um die neuronale Ebene der Kommunikation zu veranschaulichen. Das leicht nachvollziehbar aufbereitete Wissen aus der interdisziplinären Gehirnforschung über Entscheidungsvorgänge und Bewertungsmaßstäbe von Menschen vergrößert den Verhandlungsspielraum enorm und führt zu optimalen Resultaten.


Frieder Gamm bietet dieses hilfreiche Gehirnforschungswissen sowie konkrete Tipps und Anleitungen, um in der Praxis souverän agieren zu können und immer öfter Erfolge zu erzielen. Neben der Erarbeitung von Vorbereitungs-Checklisten bietet er eine Klassifikation verschiedener Persönlichkeitstypen und gibt jeweils leicht umsetzbare Tipps, wie das Wissen um Verhandlungscharaktere wirksam zur Durchsetzung der eigenen Ziele angewendet werden kann. Er zeigt, wie man durch gekonnte Raffinesse seine Ziele erreicht, ohne den Verhandlungspartner vor den Kopf zu stoßen und wie man befriedigend verlaufende Verhandlungen führen kann, in denen es immer zwei Gewinner gibt.


Wir meinen: Köpfchen statt Improvisation! Hier lernt man das passende Wissens- und Strategie-Instrumentarium sowie raffinierte Taktiken, die man für jede gelungene Verhandlungsvorbereitung und -durchführung braucht.


Hinweis: Bei dem im Buch angeführten STAB-Modell und seinen Typologien handelt es sich um ein durch Dr. Wolfgang Looss urheberrechtlich geschütztes Instrument, dessen nicht bestimmungsgemäße Verwendung untersagt ist.


(red/mc/th)

Schreibe einen Kommentar