Warum «Asiatische Werte» für die Schweiz von Interesse sind

In konkreten Zahlen heisst das: Schweizer Unternehmen exportierten 2004 für 2´851 Mio CHF (Vergleich 1990: 409 Mio CHF) nach China (ohne Hongkong und Macao) und importierten im Gegenzug Waren im Wert von 2´817 Mio CHF (1990: 412 Mio CHF) aus dem aus dem asiatischen Land. Der Handel mit China macht somit 2% der schweizerischen Exporte und 2,2% der Gesamtimporte aus. Dies gab die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) Anfang Februar bekannt.

Starkes Wachstum als Interessensfokus
Auch bei Schweizer Industriekonzernen steigt das Interesse an Asien. So war China in den vergangenen Tagen bei den Bilanzmedienkonferenzen von ABB Ltd, Sulzer AG und Schindler Holding AG ein Thema. Fred Kindle, CEO von ABB bestätigte im Gespräch mit AWP das Ziel, den Umsatz in China bis im Jahr 2008 auf 4 Mrd USD verdoppeln zu wollen. Auch Sulzer-CEO Ulf Berg geht davon aus, dass Asien «weiter an Gewicht zulegen» wird. Ebenso erwartet Schindler-Finanzchef Erich Ammann ein starkes Wachstum in China.

Mögliche Überhitzung
Der Optimismus bei den Verantwortlichen der Industriekonzerne gründet auf Tatsachen. Auch wenn Chinas Regierung jüngst aus Angst vor einer Überhitzung der Konjunktur die wirtschaftliche Bremse gedrückt hat, wächst seine Wirtschaft immer noch weiter. Im Jahr 2002 stieg das chinesische Bruttoinlandprodukt (BIP) überdurchschnittlich um 8,0%, 2003 waren es 9,1%, im vergangenen Jahr 2004 bereits 9,5%. Die chinesische Statistikbehörde prognostiziert ein BIP-Wachstum 2005 von weiterhin mindestens 9%, der Zuwachs der Industrieproduktion soll sich auf 14% bis 15% beschleunigen, nach einer Zunahme von 11,5% im 2004.

Kulturelle Wertvorstellungen asiatischer Gesellschaften

Das sind die Fakten. Doch was erklärt das chinesische «Wachstumswunder»? Sind die Antworten in der Ökonomie selbst zu suchen? Oder im Streben nach Fortschritt und Modernisierung? Neben Erklärungen auf politischer und marktwirtschaftlicher Ebene findet sich ein soziokultureller Ansatz in der Debatte um die «Asian Values» – einer Diskussion, die eine Verschränkung von ökonomischen und kulturellen Faktoren postuliert. Auf einen einfachen Nenner gebracht heisst dies: Spezifische, kulturelle Wertvorstellungen asiatischer Gesellschaften, begünstigen ein hohes Wirtschaftswachstum.

Asiatische Werte
Zu den offensichtlichen «Asiatischen Werten» gehören unter anderen Fleiss, Disziplin, Flexibilität, Höflichkeit, Ausdauer und gute Bildung. Neben diesen Werten, die sich unbestritten positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken, existieren in der chinesischen Gesellschaft jedoch weitere wirtschaftsfördernde Strukturen, die auf den ersten Blick verborgen bleiben: Die Chinesen und Chinesinnen sind ein Volk – wenn nicht das Volk – von «Networkern».

Man fühlt sich verpflichtet
Soziale Netzwerke durchweben die chinesische Gesellschaft auf allen Ebenen, sei es innerhalb der Familie, ausserhalb der Familie und, natürlich auch, in der Arbeitswelt. Das Konzept der «persönlichen Beziehung» gehört zu Chinas tragenden Elementen der Vergesellschaftung: Man fühlt sich nicht nur verpflichtet gegenüber Familie und Freunden, sondern verhält sich auch loyal gegenüber entfernteren Bekannten oder im Geschäftsalltag. Eine Erklärung für diese hohe Relevanz von Beziehungen findet sich bereits im traditionellen Konfuzianismus, welcher beispielsweise der Beziehung Vater-Sohn, Diener-Fürst, Freund-Freund erstrangige Bedeutung einräumte.

Wohlwollender Paternalismus
Interessant dürfte in ökonomischer Hinsicht ausserdem die Status-übergreifende Natur dieser Netzwerke sein. Hier kommt wiederum die soziale Verpflichtung zum tragen, welche in der theoretischen Diskussion um den Erfolg Chinas ebenfalls als gewichtiger Faktor gesehen wird. Durch diesen Ansatz der zwischenmenschlicher Verpflichtung entsteht ein «wohlwollender Paternalismus» über gesellschaftliche Schichten hinweg. An einem Beispiel illustriert kann dies heissen, dass ein Vorgesetzter sich für das Wohl seiner Angestellten auf der ganzen Linie verantwortlich sieht, während diese sich verpflichtet fühlen, gegenüber dem Vorgesetzten loyal zu handeln. Oder einfacher ausgedrückt: In China steht allgemein im Vergleich zum Westen das «Miteinander» an Stelle des (oft als spezifisch westlich betrachteten) «Gegeneinanders».

Realität Wirtschaftswunder
Natürlich dürfen oft geäusserte Zweifel zur Zukunft des chinesischen «Wirtschaftswunders» nicht bedenkenlos aus dem Weg geräumt werden. Folgendes kann aber festgehalten werden: Funktionierende Netzwerke beeinflussen das soziale Kapital eines Landes äusserst positiv. Sozialwissenschaftlich betrachtet weist China demnach neben dem ökonomischem Kapital, zumindest hinsichtlich der sozialen Netzwerke, ein höheres Sozialkapital auf als andere Gesellschaften – ein Punkt, der bei der Einschätzung des grossen asiatischen Landes nicht ohne Beachtung bleiben sollte.

Verdreifachung des Pro-Kopf-Einkommens in 15 Jahren prognostiziert

Rufen wir uns einige Aussagen über China in Erinnerung, welche der chinesische Vizepremier Huang Ju am diesjährigen WEF in Davos machte. Seiner Ansicht nach soll China bis ins Jahr 2020 das Pro-Kopf Einkommen von heute 1´000 auf 3´000 USD steigern. Innerhalb der nächsten 10 Jahren sollen 50 chinesische Firmen zu den Top 500 der Welt gehören. Goldman Sachs folgert denn auch, dass der Aufstieg Chinas zur führenden Wirtschaftsmacht nur noch eine Frage der Zeit sei; gemäss der Studie von GS wird es in 30 Jahren so weit sein.

Bisher gut und kontrolliert

Was die weitere Entwicklung der chinesischen Wirtschaft angeht, zeigen sich auch die Verantwortlichen von ABB und Sulzer optimistisch. Einzig Erich Ammann von Schindler äussert «gewisse Bedenken» bezüglich der Überhitzung der asiatischen Märkte. Kindle ist diesbezüglich für den chinesischen Markt unbesorgt. Die Öffnung des chinesischen Marktes sei bisher gut und kontrolliert über die Bühne gegangen. Auch Ulf Berg hat wenig Sorgen: Zeichen einer Überhitzung seien in Asien zwar vorhanden, seiner Ansicht nach hat die chinesische Führung das Wachstum jedoch unter Kontrolle. Bleibt die Situation stabil, dürfte so die weitere Entwicklung Chinas auf dem Parkett der internationalen Wirtschaft auch in den kommenden Jahren für Schweizer Unternehmen von nicht zu unterschätzender Bedeutung sein.(awp/mc/th)

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