Die Krise ist die grösste Bedrohung des gemeinsamen Währungsgebiets seit Einführung des Euro zum 1. Januar 1999. Die Euro-Chefs wollten auf ihrem Krisentreffen in Brüssel Einigkeit demonstrieren und Griechenland uneingeschränkte Solidarität versichern. Die Euro-Staaten und der Internationale Währungsfonds (IWF) wollen Griechenland in einer beispiellosen Rettungsaktion mit insgesamt 110 Milliarden Euro vor der Pleite retten. Alle Mitgliedsländer müssten dafür eintreten, dass der Euro-Stabilitätspakt schnell wieder angewendet werden könne, sagte Merkel am Abend. Dieser Pakt müsse «angeschärft» werden, dazu seien möglicherweise auch Änderungen des EU-Vertrags nötig. «Anders geht es aus meiner Sicht nicht.»
Österreich will keine Vertragsänderung
Dem widersprach Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann. «Vertragsänderungen stehen vielleicht einmal am Schluss einer Debatte – aber sicher nicht am Anfang», sagte er – und forderte zugleich eine «völlige Transparenz» im Finanzgebaren aller Eurostaaten. Die Staats- und Regierungschefs der 16 Euro-Länder begannen am Abend Beratungen über die Folgen des griechischen Fiaskos und die Gefahr, die Schuldenkrise könne auf weitere gefährdete Mitgliedsländer wie Portugal, Italien, Spanien oder Irland überschwappen.
Erste Tranche noch vor dem 19. Mai nach Athen
An dem Treffen nahm auch der Präsident der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet teil. Am Ende wollte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy ein gemeinsames Communiqué präsentieren. Die ersten mindestens 8,5 Milliarden Euro sollen noch vor dem 19. Mai überwiesen werden, wenn Schulden Griechenlands in ähnlicher Grössenordnung fällig werden. Voraussetzung für die Kredite sind Strukturreformen und ein hartes Sparprogramm. In Athen kehrte nach erneuter Randale am Donnerstag zum Freitag zunächst wieder Ruhe ein. Am Mittwoch waren bei gewaltsamen Massenprotesten gegen die Rotstiftpolitik drei Menschen in einer Athener Bank verbrannt, die von Randalierern angezündet worden war.
IWF gibt 30 Milliarden Euro
Die grundlegenden Beschlüsse für die beispiellose Griechenland-Hilfe von insgesamt 110 Milliarden Euro haben schon vor knapp einer Woche die Euro-Finanzminister gefällt. Der IWF gibt davon bis zu 30 Milliarden Euro. Merkel informierte am Freitag auch US-Präsident Barack Obama über die Hilfsmassnahmen. Die Euro-«Chefs» wollten sich nun einen Überblick über die Rettungsaktion verschaffen – dabei geht es vor allem um die parlamentarischen Genehmigungsverfahren in den Mitgliedsländern. Beobachter gingen aber auch davon aus, dass Merkel auf die Verlegung des Treffens auf einen Zeitpunkt vor der Landtagswahl diesen Sonntag in Nordrhein-Westfalen gedrungen habe, um den skeptischen Wählern ein Zeichen der Entschlossenheit senden zu können.
Deutschland steuert grössten Anteil bei
Deutschland steuert mit bis zu 22,4 Milliarden Euro den grössten Batzen bei. Bundestag und Bundesrat verabschiedeten im Eilverfahren die Kreditermächtigungen bis zum Jahr 2012, Bundespräsident Horst Köhler unterzeichnete am Freitag das Nothilfe-Gesetz. Paris trägt mit rund 16,8 Milliarden Euro die zweitgrösste Last. Auch Portugal, Spanien, Frankreich, Belgien, die Niederlande und Luxemburg billigten ihre Hilfsbeiträge. Die Märkte verstärkten zum Brüsseler Sondergipfel den Druck auf die Politik. Die europäischen Börsen erlitten im Sog der Krise deutliche Verluste, griechische und portugiesische Staatsanleihen wurden noch unbeliebter. An der New Yorker Börse fiel der Dow Jones Composite erneut. Der Euro stabilisierte sich nach der jüngsten Talfahrt etwas und lag bei 1,2746 Dollar. Griechenlands Regierungschef Giorgos Papandreou erwartete von dem Gipfel eine Botschaft für einen «Aufschwung, der für unsere Bürger in allen Ländern Europas wieder Wachstum, Arbeitsplätze und Fürsorge zurückbringt.
G7 beraten
Angesichts der anhaltenden Turbulenzen an den internationalen Finanzmärkten berieten die Finanzminister der sieben weltweit führenden Industrienationen (G-7) telefonisch über das weitere Vorgehen in der Krise. Griechenland muss etwa 5 Prozent Zinsen für Drei-Jahres-Kredite bezahlen, was über dem Zinssatz liegt, den solvente Staaten wie Deutschland selbst für die Beschaffung des Geldes bezahlen müssen – so sollen die Geberländer auch an der Hilfsaktion «verdienen».
Verfassungsbeschwerde
Unmittelbar nach der Verabschiedung des Gesetzes in Deutschland reichten Wissenschaftler um den Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein. Nach ihrer Meinung verstösst die Hilfe für Griechenland gegen EU-Recht, das im Grundgesetz garantierte Recht auf demokratische Teilhabe sowie das Grundrecht auf Eigentum. Die Erfolgsaussichten werden von Verfassungsexperten als sehr gering gesehen. (awp/mc/pg/ps/18)