Konjunkturell droht 2009 ein sehr schlechtes Jahr mit Wachstumseinbrüchen und steigenden Arbeitslosenzahlen zu werden. Politisch wird sich die Euphorie bezüglich der Rolle des Staates verstärken: Protektionismus, Regulierungswellen, Konjunkturprogramme und aggressiveres Verhalten gegenüber den Steuersubjekten sind zu erwarten. Angesichts des neuen Staatsaktivismus stellt sich die Frage nach den Grenzen der Schuldfähigkeit der öffentlichen Hand, zumal allein in den grossen westlichen Industriestaaten die gesamte Staatsschuld inzwischen das drei- bis sechsfache des Jahres-Bruttoinlandsprodukts beträgt.
Glaube an unbeschränkte Schuldfähigkeit verloren
Die internationalen Finanzmärkte glauben jedenfalls nicht mehr an eine unbeschränkte Schuldfähigkeit: Die Credit Default Swaps (CDS) für die Staaten der Europäischen Union gehen seit Oktober deutlich auseinander. Unklar ist nicht zuletzt, wie der Euro auf solche Entwicklungen reagieren wird. Der Finanzsektor schliesslich wird die Restrukturierungen im nächsten Jahr weiter zügig vollziehen, unter der Bedingung, dass er nicht durch weitere Staatsinterventionen daran gehindert wird.
Neues «Chapter 11» für den Finanzsektor?
Entscheidend wird laut dem Autor sein, ob es kleineren, neuen Mitspielern im Finanzsektor gelingt, die Finanzierung der Realwirtschaft neu zu gestalten, vermutlich mit Hilfe einer weiter fortschreitenden Securitisierung und am klassischen Weg der Bankkredite vorbei. Auch erscheint es unabdingbar, dass die Fremdkapitalgeber – etwa im Rahmen eines neuen «Chapter 11» für den Finanzsektor – dazu gezwungen werden, ihre Schulden in Eigenkapital umzuwandeln.
Vier Bedingungen als Voraussetzung für wirtschaftliche Erholung
Dr. Hummler definiert vier Bedingungen für die Erholung der Weltwirtschaft: Erstens, die Fähigkeit der Aufsichtsbehörden und Notenbanken, weitere Sanierungen ohne zusätzliche Belastung der öffentlichen Hand durchzuziehen. Zweitens: Inwieweit die asiatische Binnennachfrage den tieferen amerikanischen Konsum kompensieren kann. Drittens: Lancierung substantieller Innovationen und viertens, wie schnell sich die Finanzierungsverhältnisse für die Realwirtschaft normalisieren.
Dichter Schleier der Ungewissheit
Angesichts der genannten Problembereiche liegt über dem kommenden Anlagejahr 2009 ein besonders dichter Schleier der Ungewissheit. Dies findet in einem historisch wohl präzedenzlosen Aufbau von Cashpositionen der Anleger seinen Ausdruck. Dabei können gerade auch diese Positionen unter den schlimmsten Szenarien zu einem Problemfall werden.
Breite Diversifikation als Antwort
Darauf kann aus ökonomischer Sicht nur mit breiter Diversifikation geantwortet werden, selbst in Aktien und erstklassige Industrieobligationen. Und genau hier liegt aus Sicht des Autors auch die positive Seite der aktuellen Entwicklungen: die Risikoprämien für Banken, Unternehmungen und sogar Staaten sind in einer Weise in die Höhe geklettert, wie man es in Zeiten vermeintlicher Risikolosigkeit nie für möglich gehalten hätte. Risiko wird endlich wieder entschädigt.
99-jährige Tradition
Der Anlagekommentar von Wegelin & Co. Privatbankiers wird seit 1909 publiziert. Der Kommentar erscheint sieben Mal jährlich mit einer Auflage von mehr als 65’000 Exemplaren. Der Anlagekommentar wird von Dr. Konrad Hummler, geschäftsführender und unbeschränkt haftender Teilhaber von Wegelin & Co., verfasst. Die Wegelin-Anlagekommentare sind als Printversion (pdf) und Podcast auf www.wegelin.ch abrufbar. (wegelin/mc/ps)