Wie entwickelt sich das Wertschöpfungs-System innert 10 Jahren?

Lars Thomsen ist Keynote-Speaker und Diskussionsteilnehmer bei allen Themen am 6. GS1 Business Day. Wir trafen Lars Thomsen zum Interview: 


Frage: Sie sprechen von Megatrends als Auslöser zukünftiger Entwicklungen. Was meinen Sie
damit?


Lars Thomsen: Wir leben in einer Zeit, in welcher sich alles viel schneller verändert als jemals zuvor. Die Leute denken immer an die Vergangenheit und sprechen von grossen und schnellen Veränderungen. Im Moment aber gibt es mehr Veränderungen als je zuvor und dies in einem rasanten Tempo. Diese Veränderungen haben Auswirkungen für Firmen und deren Wertschöpfungssysteme, Familien, für das ganze Leben in Zukunft.


Wie definieren sie diese Megatrends?


Der erste Megatrend ist die künstliche Intelligenz oder besser gesagt das Ende der Dummheit. Die Computer beginnen zu denken, werden intelligent. Bisher führen Computer nur Befehle aus, rechnen. Nun beginnt der Computer zu verstehen. Mit der Konsequenz, dass er Arbeiten selbst erledigt, z.B. E-Mails selbst einordnet, versteht und beantwortet. Er nimmt uns also Arbeit ab, beginnt Tipps zu geben. Es beginnt die Zeit der schlauen Maschinen.


Der zweite Trend ist die Nanotechnologie. Wir müssen die Herstellung von Materialien und Stoffen neu begreifen. Bisher entrissen wir alle Materialen der Erde. Sei es Kohle, Öl oder andere Grundstoffe. Nun beginnen wir, unsere eigenen Materialen zu entwickeln, verknüpfen Atome und Moleküle. Und eröffnen uns dadurch neue Möglichkeiten und entlasten die Grundstoffe.


Der dritte Megatrend, den ich ausmache, ist die Energie. Wir treten ein ins Solare Zeitalter. Der Trend ist unaufhaltbar. In 1’000 Wochen werden wir über ein neues Energiesystem verfügen. Dies wird grundsätzlich alles verändern.


Der vierte Megatrend ist der Mangel. Und zwar fehlt es nicht an Ressourcen wie Öl, Eisen, Kupfer oder so was. Es entsteht ein Mangel an Menschlicher Leistung. Ein Mangel an Kreativität.


Heisst das, der Mensch wird durch die Entwicklung überfordert oder gar durch die schlaue Maschine ersetzt?


Nein, das Gegenteil ist der Fall. Der Mensch wird nicht mehr ersetzt. Es wird ihm Arbeit abgenommen. In Zeiten der Industrialisierung wurde der Mensch durch die Maschine ersetzt, sie nahm ihm immer mehr einfache Arbeiten ab. Heute bewegt sich der Trend in eine andere Richtung. Die Maschine entlastet den Menschen, hilft ihm, ergänzt ihn. Der Mensch muss sich neu organisieren, weg vom bisherigen Schema, muss kreativ sein, muss sich ergänzen mit der neuen Intelligenz. Die Frage ist, wie kann sich der Mensch im neuen Umfeld bzw. angepassten Wertschöpfungssystemen organisieren.


Wie muss ich mir das vorstellen, die neue Intelligenz?


In 520 Wochen laufen Maschinen oder sogenannte Roboter herum und übernehmen unsere Aufgaben, ungeliebte Aufgaben. Stellen sie sich vor, sie kommen am Morgen ins Büro und ihre E-Mails sind alle schon beantwortet. Oder ihre Steuererklärung ist ausgefüllt, Papierkram erledigt. Die Maschinen ergänzen uns. Sie gewinnen also Zeit, Zeit zum Leben, Zeit um kreativ zu sein. Sie brauchen keine Angst zu haben, die Maschine ersetzt sie nicht, sie hilft ihnen.


520 Wochen sind nur 10 Jahre…


Ja, wir leben in einer Zeit der schnellen Entwicklung. Zum ersten Mal ist die Entwicklung schneller als eine Generation. Bisher wurden Fortschritte von einer Generation an die nächste übergeben. Nun aber passiert alles innerhalb weniger Jahre. Das heisst, wir haben nie ausgelernt. Man kann sich nicht auf Gelerntem ausruhen und den Rest des Lebens davon zehren. Die Entwicklung geht zu rasch.


Was bedeutet das für die Ausbildung der heutigen Schüler und Jugendlichen?


Das ist ein Problem. Die Ausbildung, die Schulen sind weit zurück, rückständig. Man muss sich überlegen, wie die moderne Ausbildung aussehen soll. Wir steuern auf ein neues Lebensmodell zu. Die Jugend ist schlauer als wir denken. Nach 1995 geborene denken ganz anders. Für sie ist die heutige Situation logisch. Sie denken schon global, kennen nichts anderes als das digitale Zeitalter, sie kommunizieren anders. Für diese Jugendlichen ist das E-Mail eine alte und ausgediente Version der Kommunikation. Das E-Mail ersetzt ja nur den Brief. Diese Generation ist die neue innovative Kraft. Aber wie sollen wir sie erziehen und unterrichten, um ihnen gerecht zu werden? Da ist das Schulsystem, sind die Lehrer gefordert.


Welche Auswirkungen haben diese Entwicklungen auf die verschiedenen Regionen und Kulturen?


Nun, die Globalisierung ist beim Individuum angekommen. Früher sprach man im Zusammenhang mit der Globalisierung vor allem von der Wirtschaft und Wertschöpfungsketten. Nun muss jeder selbst seinen Platz finden in einem globalen System. Schauen sie auf Afrika. Noch vor kurzem dachte man, dass eine Entwicklung 100 oder 200 Jahre dauern würde. Doch dann installiert man Mobiltechnologie. Und heute sitzen die Kinder vor den Computern, lernen den Umgang mit Problemen wie Aids und der Umwelt. Dies alles passierte in den letzten fünf Jahren. In 30 Jahren ist Afrika ein riesiger Schritt weiter.


Und wo sind die Gefahren dieser Entwicklung?


Es gibt viele Gefahren. Wir erleben diese Gefahren heute schon. Zum Beispiel die fundamentalistische Strömung. Das System kann zu kompliziert sein für manche Menschen. Diese Menschen sind einfach zu überzeugen mit Gut und Böse, mit einfachsten Grundsätzen. Und so werden sie dann missbraucht. Oder die Überfischung der Weltmeere. Durch die heutige Technologie hat sich die ganze Fischerei verändert. Mit der Folge, dass zuviel und zu schnell gefischt wird. Der technische Fortschritt geht zu schnell. Die Gesetze, der Mensch kann nicht mehr folgen und richtet grossen Schaden an. Oder auch der Zusammenbruch des Finanzsystems. Die Leute wollen schnell viel Geld machen. Nicht gute, sondern möglichst ertragsreiche Investitionen werden getätigt. Die Gier des Menschen. Eine neue Gefahr ist auch ein drohender Währungskrieg. Die Politik muss sich neu erfinden. Es ist ein neuer Typ Politiker gefragt.


Und wie wird sich die Macht verschieben, definieren?


Das ist eine sehr gute Frage. Macht bleibt natürlich immer ein zentraler Inhalt. Vor 20 Jahren bedeuteten Kapital und Wissen macht. Wissen war nur schwer zugänglich. Dank dem Internet haben heute alle Zugang zu einer gewissen Form von Wissen. Ich denke, die Macht wird sich definieren durch verschiedene, auch neue Inhalte. Wie Visionen oder Information. Die Macht des Geldes wird abnehmen, Geld verliert seine Wichtigkeit. Auch die Macht von Besitz wird abnehmen.


Wo steht die Schweiz in dieser Entwicklung?


Die Schweiz steckt voll drin. Wir haben hier tolle Vorteile, eine gut funktionierende Demokratie. Aber auch die Schweiz muss sich neu erfinden. Muss am sozialen System arbeiten. Muss neue Märkte schaffen. Nicht für Schokolade oder Luxusuhren sondern Märkte für Energie, Mobilität, soziale Innovationen. Wie soll der Wohlstand in den nächsten 100 Jahren aufrechterhalten werden.


Wie entwickelt sich die Gesellschaft, die Wirtschaft, die Familien?


Es herrscht hier eine Knappheit an Talent, die Bildung muss verbessert werden. Aber ich würde sagen, in der Schweiz herrscht eine phänomenal gute Situation. (gs1/mc/ps)


Über den GS1 Business Day 
Der GS1 Business Day hat den Anspruch, auf strategischer Ebene Fragen rund um Wertschöpfung, Effizienz, Nachhaltigkeit und Sicherheit zu diskutieren. Ziel ist es, den Teilnehmenden Fragen zu beantworten, Szenarien, Ideen und Visionen aufzuzeigen und dadurch Impulse für die wichtigen Entscheidungen im eigenen Unternehmen zu vermitteln. Zielpublikum: Unternehmensleitung, Kader, GS1 Mitglieder, GS1 Vorstände und Fachbeiräte. Die nächste Ausgabe des GS1 Business Day findet am 27. Oktober 2010 im StageOne, Zürich-Oerlikon statt.


Über GS1 Schweiz
GS1 Schweiz ist ein Fachverband von über 4700 führenden Unternehmen zur Optimierung der Wertschöpfungsketten vom Produzent bis zum Endverbraucher. Ziele sind die Verfügbarkeit, Sicherheit, Information, Nachhaltigkeit, Kostensenkung und Wertschöpfung zu verbessern. Dazu werden am «runden Tisch» Standards, Mittel und Methoden erarbeitet, welche die Effektivität, Effizienz und Transparenz fördern. Diese vereinfachen die Identifikation, Logistik sowie fortschrittliche Zusammenarbeitsmodelle zwischen den Wirtschaftspartnern. Als Träger dreier eidgenössischen Prüfungen und Anbieter einer breiten Weiterbildungspalette versorgt GS1 Schweiz die Wirtschaft mit kompetenten Fach- und Führungskräften in der Logistik. GS1 Schweiz ist als Not-for-Profit Organisation Betreiber eines nationalen und Teil eines weltweiten Netzwerkes von über 1,5 Millionen Unternehmen in über 140 Ländern und Mitglied des GS1 Weltverbandes, von Efficient Consumer Response Europe und der European Logistics Association ELA.

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