Dieses ökonomische Phänomen und seine Wirkungsweise seien seit Jahrhunderten bekannt – und so aktuell wie nie, schreibt Horst Wildemann im Manager-Magazin. Denn trotz erster Konjunkturschwächen würden viele deutsche Firmen, grosse wie kleine, im Augenblick von der Nachfrage überrannt – obwohl sie gar nicht liefern könnten.
Unterkapazitäten
So verweise ein bekannter deutscher Motorenhersteller Kunden auf Lieferfristen jenseits der Marke von drei Jahren, während ein Pumpenhersteller Sonderentwicklungen ablehnt, weil die Experten des Hauses auf Monate hinaus ausgebucht seien. Auch im deutschen Schiffbau würden die Orderbücher überquellen, doch die Leute in den Docks seien Mangelware. 700 Ingenieure mindestens würden in den kommenden Jahren jährlich gebraucht, aber es gebe nur 70 den Anforderungen entsprechende Absolventen pro Jahr. Derweil rücke man bei MAN dem Schweinezyklus mit viel Geld zu Leibe indem 150 Millionen Euro im ersten Schritt in den Ausbau der Produktionsstätten investiert würden. Die Durchlaufzeit für einen Motor soll von 30 auf zehn Tage gesenkt werden, und die Stückzahlen sollen dabei erst verdoppelt und dann verdreifacht werden. Das ist doch toll. Oder nicht?
Weichen zu spät gestellt
Wäre es, meint Wildemann, wenn da nicht eine Frage beunruhigend aktuell wäre, nämlich jene, weshalb die Weichen nicht schon in der Zeit gestellt worden seien, als die Aufträge nur tröpfelten? Schliesslich hätte man in aller Ruhe das Problem angehen können, anstelle jetzt in aller Hektik. Entsprechend fragt sich Wildermann, warum es die Unternehmer in den vergangenen 50 Jahren nicht gelernt hätten, dass man in schlechten Zeiten für die guten Jahre Vorsorge treffen muss? Nun habe man sprichwörtlich alle Hände voll mit der Produktion zu tun und müsse mit diesen Händen auch noch optimieren, was das Zeug hält. Dies könne ein Desaster bescheren, zumal unter Druck das Fehlerrisiko einfach viel höher als in ruhigen Zeiten sei. Und natürlich sage jetzt jeder Betroffene, das habe doch mit dem Schweinezyklus nichts zu tun. Vielmehr würde es sich um ein einzigartiges Phänomen handeln, das es früher so gar nicht existiert habe.
Hausgemachte Krise
Schliesslich sei die Globalisierung, die wirtschaftliche Explosion in China und Indien gleichzeitig und das Wiedererstarken der europäischen Konjunktur obendrauf, das sei über die Hersteller wie ein Tsunami gekommen. Und dagegen sei man machtlos. » Verteidigung ist schon in Ordnung», schreibt Wildermann. Nur könne von Tsunami eigentlich keine Rede sein, sondern es handele sich um Entwicklungen, die sich seit Jahren abgezeichnet hätten und die erst noch berechenbar gewesen seien: «Von Schweinezyklus allein kann auch nicht die Rede sein: Die gegenwärtige Knappheit der Ressourcen ist nämlich gewollt und damit hausgemacht», so der Autor.
«Lean» sein wie ein ausgehungerter Wolf
Allzu oft hätte es in den vergangenen Jahrenbereits zuvor eine Welle im Management gegeben, die von allen Branchen mitgemacht und ganz entscheidend zu den Notständen der Gegenwart beigetragen habe. Jedes Unternehmen sollte «lean» sein wie ein ausgehungerter Wolf, eine Rendite erwirtschaften wie eine Kiesgrube und einen Aktienkurs von schwindelerregender Höhe anstreben. Damit habe das Lean-Management seinen Siegeszug gefeiert. Firmen seien auf Rendite getrimmt, Produktionen konzentriert oder ausgelagert und Forschung und Entwicklung derweil auf Sparflamme gesetzt, Wissen an Institute delegiert und die Personaldecke sei ausgekämmt worden. Horst Wildermann: «Wohin man auch sah, es gab Magerkost.»
Fehlende Reserven
Allerdings habe diese, in manchen Fällen sicher auch sehr heilsame Abmagerung jedoch hat ihre unangenehmen Kehrseiten: Fehlende Reserven. Und nun würden diese negativen Komponenten voll zum Tragen kommen. Das «geleante» Unternehmen sei derart stark nach innen gekehrt, dass es vom Konjunkturwechsel überrascht werde. Die dann fällige schlagartige Erhöhung der Kapazitäten sei in der Folge nicht möglich. Es fehlten die Mitarbeiter, die einspringen könnten, oft seien sogar die Produktionsstätten und Grundstücke verkauft worden, weil sie überflüssig schienen. «Das Unternehmen hat kein Fett mehr, aus dem heraus es schnell eine höhere Taktzahl generieren könnte. Die Kunden werden auf den Weg zur Konkurrenz gezwungen», konstatiert Wildermann.
«Ein Schrumpfmanager ist kein Wachstumsmanager»
Als vielleicht grösste Mangel aber erachtet der Autor, dass es an Managern fehle, die nicht nur optimieren, sondern auch an das Wachstum denken. Das Bemühen um die magersten Strukturen sei nämlich eine Tätigkeit, die in der Denkweise und im Handeln nach ganz anderen Mustern abläuft als Expansion: «Ein Schrumpfmanager ist kein Wachstumsmanager». Es sei nun einmal ein gravierender Unterschied, ob ein Kapitän sein Schiff optimiert, um Bananen von A nach B zu bringen oder ob er in eigener Vollmacht die richtige Ladungsmenge, den nötigen Proviant und den besten Hafen auswählen soll. Fazit: «Ein neuer Schweinezyklus kündigt sich an.» Aber: «Bis alle wieder auf Expansion umgeschult sind, ist der Boom vorbei. Dann brauchen wir wieder andere Strategen für Unternehmensdiät – oder gelingt es diesmal, einen ausgewogenen Kurs zu fahren?», schliesst Wildermann. (mc/ps)
Schweinezyklus:
(Auszug aus Wikipedia) Schweinezyklus ist ein Begriff aus der Agrarwissenschaft und bezeichnet eine periodische Schwankung auf der Angebotsseite, wie sie exemplarisch ursprünglich auf dem Markt für Schweinefleisch von Arthur Hanau in seiner Dissertation über Schweinepreise 1927 dargestellt wurde. Der Begriff ist mittlerweile auch in den Wirtschaftswissenschaften verbreitet. Bei hohen Preisen kommt es zu verstärkten Investitionen, die sich allerdings wegen der Aufzuchtzeit erst verzögert auf das Angebot auswirken und dann zu einem Überangebot und Preisverfall führen. Infolgedessen kommt es zur Reduzierung der Produktion, die sich ebenfalls erst zeitverzögert auswirkt und dann zu einem relativen Überschuss der Nachfrage (Angebotslücke) und dadurch steigenden Preisen führt. Durch diese Zeitverzögerungen im Regelmechanismus zwischen Angebot, Nachfrage und Preis entsteht eine instabile Marktsituation, die das Angebot solange regelmäßig schwanken lässt, wie sich die Schweinehalter an den jeweils aktuellen Schweinepreisen zur Zeit der Investitionsentscheidung statt an den zu erwartenden Preisen im Vermarktungszeitpunkt orientieren.