Wissenschafter sehen journalistische Qualität akut gefährdet

«Es gibt keine allgemeine Krise der Medien. Vielmehr haben wir eine Krise der Verlage, die Tageszeitungen herausgeben», sagte Ottfried Jarren, Prorektor für Geistes- und Sozialwissenschaften an der Universität Zürich, an den Bieler Kommunikationstagen. Der Werbe- und Lesermarkt sei in einem enormen Umbruch.


Innovationsschwächen
Mit Gratiszeitungen und Internetportalen hätten die Verlage den verschärften Wettbewerb selbst ausgelöst. Nicht zuletzt die Qualitäts- und Leitmedien seien dadurch unter Druck geraten. Die Verlage litten ferner unter Innovationsschwächen. Es mangle an klaren Strategien.


Dramatische Situation in den USA
Ein dramatisches Bild der Presse namentlich in den USA zeichnete Stephan Russ-Mohl, Professor für Journalistik und Medienmanagement an der Universität Lugano. Die Anzeigenerlöse seien massiv eingebrochen. Renommierte Blätter wie die «Chicago Tribune» oder die «Los Angeles Times» seien insolvent. Die verbliebenen Zeitungen reagierten mit rigiden Sparprogrammen auf die Krise. Das Internet und neue Konkurrenten im Kleinanzeigenmarkt wie die Craigslist setzten den Verlagen weiter zu. Darunter leide die journalistische Qualität erheblich, was wiederum den Unmut der Leserschaft hervorrufe.


PR drängt in die Redaktion
Die wachsende Präsenz von PR und Werbung im redaktionellen Teil schade den Verlagen zusätzlich. Das mache Anzeigen in den Blättern überflüssig. In Europa und der Schweiz sei die Entwicklung bisher zwar noch weniger dramatisch. Erste Anzeichen für strukturelle Verwerfungen seien jedoch bereits sichtbar.


Kostenpflichtige Informationen im Internet?
Russ-Mohl zeigte sich überzeugt, dass dem Internet und den elektronischen Zeitungen die Zukunft gehört. Die Herausforderung werde darin bestehen, die Leserschaft für Informationsabrufe zur Kasse zu bitten. Ankündigungen des US-Medienmoguls Rupert Murdoch und der «New York Times» liessen jedoch hoffen.


Lebrument widerspricht
Die Meinung der Wissenschafter teilt Verlegerpräsident Hanspeter Lebrument keineswegs. Die Qualität der Zeitungen sei nicht in Gefahr. Die grossen Verlage, die in den letzten Jahren viele Projekte lanciert hätten, müssten in der Krise mit weniger Mitteln auskommen. Die Lokalpresse spüre die Krise dagegen nur wenig. Die Lokalredaktionen hätten eine enge Beziehungen zu ihrer Region. Sie verfügten über einen hohen Wissensstand. Entsprechend hätten sie in den letzten Jahren nur wenige Leser, Hörer, Zuschauer und Internetnutzer verloren.


Die Medien in der Schweiz hätten in den letzten 40 Jahren enorm expandiert. «Heute gibt es rund 4000 Medien in diesem Lande», sagte Lebrument. Allein die Wahl von Didier Burkhalter zum Bundesrat sei von 400 Journalisten begleitet worden. Diese Journalisten seien heute besser ausgebildet als in den vergangenen Jahren.


Demokratie braucht guten Journalismus
Gut ausgebildete Journalistinnen und Journalisten sind nach Ansicht von Philipp Cueni, Präsident des Vereins Qualität im Journalismus, das Salz in der Suppe der Verlage. Nur mit guten Rahmenbedingungen werde es gelingen, ausgezeichnete Journalisten in den Zeitungshäusern zu halten. Für die Demokratie sei guter Journalismus unverzichtbar. (awp/mc/pg/32)

Exit mobile version