Der finnische Marktführer für Mobiltelefongeräte Nokia gilt als Paradebeispiel eines erfolgreich globalisierten Industriekonzerns. Doch der Handy-Riese sieht sich neuen Herausforderungen gegenüber.
Von Xavier Comtesse, Directeur Romand, Avenir Suisse
Heile Nokia-Welt – wie lange noch? (Illustrationen: nokia.com)Am 17. März 2000 schlug ein Blitz in einer Produktionsanlage für Halbleiter im US-Bundesstaat Neu-Mexiko ein und löste einen Grossbrand aus.Die Fabrik lieferte Komponenten an Nokia und andere bedeutende global tätige Handy-Hersteller. Nokia hat sofort reagiert. Noch in der gleichen Nacht schickte der finnische Konzern seinen Chefingenieur Pertti Korhonen nach Japan, um einen geeigneten Ersatzlieferanten zu finden, der in der Lage war, die gleichen Komponenten in der gleichen Qualität zu liefern. Ein Paradebeispiel für eine rasche, globale ausgelegte Reaktion. Bekannterweise ist Nokia heute mit einem Marktanteil von 35 Prozent Marktleader bei den Mobiltelefongeräten.
Gute Ausgangslage
Natürlich hat die Erfolgsgeschichte von Nokia schon vor der Episode mit dem Grossbrand begonnen. Schon in den 1960er Jahren haben die Regierungen von Finnland und Schweden ein eigenes TV-Programm für die weiten, dünn besiedelten Gebiete im Norden beider Länder lanciert. Gestärkt durch jahrelange intensive Forschung und Entwicklung waren Nokia und Ericsson, der schwedischer Technologiekonzern, in einer besonders guten Ausgangslage, als in den 80er Jahren die Mobiltelefontechnik ihren rasanten Aufschwung begann.
Strategische Neuausrichtung
Darüber hinaus war das einstige Konglomerat Nokia, das bis zum Ende der Sowjetunion sogar Produkte wie Gummistiefel für Soldaten der UdSSR herstellen „musste“, nach 1989 in der Lage, sich von alten Verpflichtungen zu befreien und auf neue Märkte zu konzentrieren. Die strategische Ausrichtung erfolgte auf die Mobiltelefonie – im nachhinein ein weiser Entscheid und Grundlage für die Erfolgsgeschichte von Nokia bis heute.
Heute aber ist die Führungsrolle in der Branche auf dem Prüfstand. Nicht weniger als drei existenziellen Herausforderungen sieht sich das Unternehmen gegenüber:
Erstens, der Wettbewerb zwischen Microsoft und den anderen Software-Herstellern um die künftige Plattform für Mobiltelefon-Anwendungen. Der Software-Riese Microsoft forciert seine eigenen Lösungen, die mit den weit verbreitenden Plattformen Windows und Outlook kompatibel sind. Die europäischen und asiatischen Telefonhersteller würden gerne eigene, unabhängige Lösungen einsetzen. Aber die Front bröckelt: Samsung und andere wichtige Marktteilnehmer haben sich bereits auf Microsoftfestgelegt. Für alle Beteiligten steht viel auf dem Spiel. Noch ist nicht klar, wer aus dem Wettlauf als Sieger hervorgeht.
Die zweite Herausforderung liegt bei den Bildern, also handyfähige Fotos, Videos und Spiele. Auf diesem Gebiet hat Sony einen Vorsprung, nicht zuletzt, weil die Japaner auf diesem Gebiet über eine langjährige Erfahrung verfügen.
Die dritte und letzte Herausforderung ist das auch den Finanzdienstleistungssektor betreffende Thema Mikro-Zahlungen. Die Vorstellung, bald mit dem Handy auch die Zeitung am Kiosk bezahlen zu können, ist verlockend. Welch ein Komfort! Die Telefongesellschaften sind bisher die einzige Branche, die in der Lage ist, solche Mikro-Zahlungen anzubieten und abzuwickeln, und gleichzeitig damit noch Geld zu verdienen. Die Administration dahinter ist aber noch teuer. Für Handyhersteller wie Nokia wird es matchentscheidend sein, ebenfalls Know-how und Zugang zu dieser Art Transaktionen zu bekommen.
Trotz der gegenwärtige Stärke von Nokia ist keineswegs sicher, dass diese Firma langfristig überlebt. Die Marktführer von heute sind nicht zwangsläufig stark genug, um auch morgen in der Pole Position zu stehen.
Die Legende von „Kalevala“, eine populäres finnisches Märchen, erzählt von einer seltsamen Maschine, die auf den Namen „Sampo“ hört. Sampo stellt Reichtum und Zufriedenheit her. Um die Maschine zu bedienen, braucht es Wissen, Glück, Respekt und Freude.
Nokia hat dieses Märchen dank dem Mobiltelefon bislang wahr machen können. Hoffen wir für die Finnen, dass die ‚Maschine’ nicht in einem tiefen See versinkt, so wie das Märchen sich am Schluss poetisch auflöst.
Der Autor
Xavier Comtesse
Dr. Xavier Laurent Comtesse (Jahrgang 1949) studierte an der Universität Genf Mathematik und doktorierte in Informatik. Comtesse arbeitete während je zehn Jahren in der Forschung und in Start-ups. Weitere zehn Jahre war er in der Bundesverwaltung tätig, zuletzt sieben Jahre lang als Wissenschafts-Attaché bei der Schweizer Botschaft in den USA. In dieser Funktion gründete und leitete er in Boston das Swiss House. Seit Anfang 2002 ist er Directeur romand von Avenir Suisse, einem Think Tank, welcher sich mit Themen der sozial- und wirtschaftspolitischen Entwicklung in der Schweiz befasst. Comtesse ist verheiratet und hat drei Söhne.
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