Obwohl sie die Grundlage für Wachstum und Wohlstand sind, werden Innovation und Technologietransfer in der politischen Diskussion sträflich vernachlässigt. Die Schweiz läuft Gefahr, ihren Spitzenplatz zu verlieren – mit ernsthaften Folgen.
Von Xavier Comtesse, Directeur Romand, Avenir Suisse
Innovation spielt in modernen Gesellschaften eine zentrale Rolle für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Die Schweiz gehört in Bezug auf Forschung und Entwicklung zu den Besten der Welt, und zwar unabhängig von den zur Anwendung kommenden Vergleichskriterien. Gleichzeitig stagniert das Wirtschaftswachstum nun schon seit mehr als einem Jahrzehnt. Aus dieser paradoxen Situation lässt sich schliessen, dass die Resultate der Forschungsanstrengungen auf die wirtschaftliche Entwicklung unsers Landes keinen oder nur wenig Einfluss haben.
Ungenutze Potenziale
Ein Beispiel für die fehlende Umsetzung von Innovation ist der Computertomograph. Diese für die Nanotechnologie bahnbrechende Entwicklung tätigten Forscher von IBM in Rüschlikon. Sie wurde nie durch eine schweizerisches Unternehmen wirtschaftlich genutzt. Allem Anschein nach fehlt der Schweiz ein Konzept für den Transfer von Forschung und Entwicklung in die Wirtschaft.
Innovation und Technologietransfer spielen aber für den Produktivitätsgewinn und das Wirtschaftswachstum in industrialisierten Nationen eine ungemein wichtige Rolle. Es ist daher notwendig, sich die Frage zu stellen, warum dies in der Schweiz nur ungenügend funktioniert.
Die Schweiz fällt zurück
Ein Blick auf die internationalen Statistiken belegt die Defizite:
Zwischen 1992 und 2000 belegte die Schweiz in Bezug auf die Produktivitätssteigerungen. den letzten Platz in der Rangliste der Industrienationen. Noch im Jahre 1997 rangierte die Schweiz auf Platz 2 der OECD-Nationen bezüglich Erfindungen, im Jahr 2000 war sie schon auf Platz 10 abgerutscht. Im Jahr 2001 wurde in der Schweiz 10 mal weniger Risikokapital investiert als in Schweden.
Ökonomische Zeitbombe
Das Problem lässt sich genau lokalisieren: Wir innovieren nicht genug. Angesichts der herausragenden Bedeutung, welche die Innovation für das Wirtschaftswachstum und den Wohlstand unseres Landes spielt, drängt sich die Frage auf: Wie lässt sich diese ökonomische Zeitbombe entschärfen?
Irrtümer in der Diskussion
Schauen wir zunächst einmal auf die Bedeutung, die wir den Innovatoren beimessen. Ich denke, wir unterschätzen sie massiv. Ein Irrtum! In der wirtschaftspolitischen Diskussion dominieren Themen wie Strukturerhaltung oder Kaderlöhne. Nötig ist jedoch der Blick auf die Innovation und ihre Akteure. Es gibt keine Innovation ohne Innovatoren, es gibt keinen Technologietransfer ohne den Transfer von Experten. Zwei Tatsachen, die wir nicht vergessen dürfen.
Klare politische Vision gefordert
Zudem braucht es eine klare Vision bezüglich der politischen Ziele: Was wollen wir in der Innovationspolitik erreichen und wie kommen wir dorthin? Innovation folgt Spielregeln, die nicht mit jener der Forschung (Entdeckungen und wissenschaftliche Arbeit) und jener des Marktes (Produkte und Kunden) übereinstimmen. Sie sind abhängig sind von der Entwicklungstätigkeit und dem Schutz mit Patenten. In diesem Sinne muss Innovation als ein unabhängiger Sektor angesehen werden, mit eigenen Regeln und eigenen Finanzierungswegen.
Unabhängiger Markt mit eigenen Regeln
Innovation lässt sich nur durch einen intensiven Austausch der Forschung mit der Realwirtschaft umsetzen. Die Wirkungsweise zwischen diesen Bereichen kann als „Technlogy-Push“ auf der einen Seite und „Demand-Pull“ auf der anderen Seite bezeichnet werden. Erkenntnisse aus Hochschulen und Forschungsabteilungen müssen ihren Weg zum Markt finden. (Phänomen der Start-ups).
Innovation fördern
Am Beispiel der erfolgreichen Alinghi-Yacht und der EPF Lausanne zeigt sich, wie ein Unternehmen Kompetenzen an einer Hochschule sucht, um selbst neue Kompetenzen zu entwickeln. Die Vision, welche dieser Realität zugrunde liegt, ist die eines Innovationsmarktes, wo sich Angebot und Nachfrage für fruchtbare Resultate finden. Die politischen Ziele müssen daher die Erleichterung dieses Zusammenwirkens im Auge behalten, durch klare Gesetze, Transparenz und schlanke administrative Strukturen zur Förderung der Innovation (etwa der Eidg. Kommission für Technologie und Innovation) sowie mittels steuerlichen Vorteilen für private Investitionen.
Zurückhaltung bedroht Standort Schweiz
Die ausserordentlich wichtige Rolle, welche Innovation in unserer Gesellschaft spielt, verlangt auch ausserordentliche Entscheidungen. Die Förderung von Innovation in einem schwierigen wirtschaftlichen und ökonomischen Umfeld benötigt einen neuen Esprit. Zuviel Zurückhaltung kann zu einer Überlebensfrage des Standorts Schweiz führen. Der Bundesrat und die einschlägigen Bundesämter müssen sich dessen bewusst werden. Offen bleibt, ob sie sich wirklich bewusst sind, wie alarmierend die Situation wirklich ist. Wenn heute beispielsweise Finnland vier mal mehr in Innovation investiert, als in die Forschung – in der Schweiz ist es genau umgekehrt – dann darum, weil dort die hohe Bedeutung der Innovation erkannt worden ist.
«Innover pour prospérer» ist eine Studie von Avenir Suisse
Der Autor
Xavier Comtesse
Dr. Xavier Laurent Comtesse (Jahrgang 1949) studierte an der Universität Genf Mathematik und doktorierte in Informatik. Comtesse arbeitete während je zehn Jahren in der Forschung und in Start-ups. Weitere zehn Jahre war er in der Bundesverwaltung tätig, zuletzt sieben Jahre lang als Wissenschafts-Attaché bei der Schweizer Botschaft in den USA. In dieser Funktion gründete und leitete er in Boston das Swiss House. Seit Anfang 2002 ist er Directeur romand von Avenir Suisse, einem Think Tank, welcher sich mit Themen der sozial- und wirtschaftspolitischen Entwicklung in der Schweiz befasst. Comtesse ist verheiratet und hat drei Söhne.
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