32. Lifefair Forum: Digitalisierung ist idealer Wegbereiter einer Kreislaufwirtschaft
Zürich – Lineares Wirtschaften ist keine Option mehr in einer nachhaltigen, ressourceneffizienten Zukunft. Das dafür notwendige Schliessen von Materialkreisläufen setzt die Kreislaufwirtschaft um. Im vollbesetzten Crédit Suisse Forum St. Peter in Zürich zeigten Umwelt- und Digitalisierungsexperten beim 32. Lifefair Forum „Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft“ vielversprechende Möglichkeiten auf, mit regenerativen Design-, Produktions- und Entsorgungszyklen Abfallberge zu vermindern und smarte Städte zu bauen.
Die Weltbank hat 2018 prognostiziert, dass die weltweiten Abfallberge bis zum Jahre 2050 um bis zu 70% auf 3.4 Milliarden Tonnen ansteigen werden. Den grössten Anteil davon macht Grün- & Nahrungsmittelabfälle (44%) gefolgt von Papier/Karton (17%) und Plastik (12%). Eine effektive Abfallwirtschaft ist teuer und umfasst oft 20%-50% der kommunalen Haushalte, so die Weltbank. Dr. Henning Wilts, Experte für Kreislaufwirtschaft am renommierten Wuppertal Institut zeigte in seiner Keynote auf, dass Berechnungen von McKinsey zufolge die Wirtschaft in Europa ein Netto-Materialeinsparung-Potential von bis zu 640 Mrd. EURO haben könnte, würde sie kreislaufwirtschaftlich agieren.
Umsetzung der Kreislaufwirtschaft ist ein komplexes Unterfangen
Dass hohe Recycling-Quoten trügen können, gab Jean-Marc Hensch, Geschäftsführer Swico in der zweiten Keynote zu bedenken. Der Aufwand, wie z.B. Energieverbrauch und Umweltkosten, steige mit höheren Quoten steil an, ein Optimum könne nur auf Produktebene erreicht werden. Herausfordernd sei es zudem, dass gesammeltes Material weder in sich homogen noch einheitlich in Bezug auf Materialreinheit ist und daher massive Transaktionskosten verursacht. Zudem setzen Unternehmen wegen grosser Unsicherheiten bei der Qualitätssicherung derzeit noch mehr Primärrohstoffe, anstatt günstigere Rezyklate ein. Rezyklierter Kunststoff beispielsweise sei bis zu 20 Prozent günstiger. Auch führen gesetzliche Entsorgungsauflagen, die historisch aus Sicherheitserwägungen und nicht aus Nachhaltigkeitsgründen heraus entstanden sind, zu mehr Folgekosten,
In der anschliessenden Panel-Diskussion mit Dr. Sybil Anwander, Abteilungschefin Ökonomie und Innovation, Bundesamt für Umwelt BAFU; Marco Grossmann, Partner, Mitglied Geschäftsleitung ecos; Reto Largo, Geschäftsführer NEST/Empa und Frank Lippoldt, Abfallmanagement, BMW Group und den beiden Keynote-Speakern wurde klar, dass der Weg zu mehr Nachhaltigkeit nicht im lineraren Wirtschaften liegt, sondern dafür Materialkreisläufe geschlossen werden müssen.
Am Beispiel des Mobiltelefons machte Jean-Marc Hensch klar, dass Design meist ein Kompromiss zwischen den vom Endkonsumenten gewünschten, oft widerstreitenden Features wie Batteriedauer, Prozessorleistung, Gerätegrösse und Reparierbarkeit ist und weniger ein „Design for Recycling“.
Auf die Macht kultureller Haltungen machte Frank Lippolt, Abfallmanagement BMW Group aufmerksam: Wird im grössten Markt der Welt von den chinesischen Konsumenten ein Rezyklat als „minderwertig“ erachtet, können auch gesetzliche Anreize der EU oder die Produktion der deutschen Automobilhersteller keinen nachhaltigen Standard setzen. Jean-Marc Hensch unterstrich die Bedeutung weltweiter Standards.
Mit digitaler Innovation zu mehr Kreislaufwirtschaft
Sensoring und Künstliche Intelligenz, Cyber Physical Systems, Blockchain und Internet of Things weisen alle den Weg hin zur Kreislaufwirtschaft. Marco Grossmann, Partner, Mitglied Geschäftsleitung des Beratungsunternehmens ecos ist sich sicher, dass die Digitalisierung neue Geschäftsmodelle ermöglicht, wenn der Wert von Material vollumfänglich erfassbar, verwaltbar und damit Material wiederverwertbar wird.
Initiativen wie das Pilotprojekt auf Mallorca für ein Pfandsystem auf Blockchain-Basis zur Umsetzung des neuen Abfallgesetzes oder die Online-Bibliothek Madaster die Materialpässe für im Bau- und Immobiliensektor verwendete Rohstoffe ausstellt, seien vielversprechend.
Reto Largo, Geschäftsführer NEST/Empa ist sich sicher, dass auch die öffentliche Hand die digitale Kartografierung von Gebäuden unterstützen wird, wenn damit bereits bei Konzeption und Design von Neubauten in einem regenerativen System gedacht wird. Die Plattform NEST (Next Evolution in Sustainable Building Technologies) bietet den Raum für enge Kooperationen von Forschung, Wirtschaft und öffentlicher Hand und trägt mittels Sensibilisierung und praktischer Aufklärung zur Beschleunigung des Innovationsprozesses bei.
Damit Wirtschaft und die öffentliche Hand vermehrt kreislaufwirtschaftlich agieren, bedarf es einer juristisch stabilen Definition für Kreislaufwirtschaft für Textilien, Elektroschrott, Bau, etc. Sybil Anwander, BAFU betonte, dass der gemeinsame Dialog nötig ist, um gute Ideen für Kreislaufwirtschaft marktfähig zu machen. Ebenso läge ein grosses Verbesserungspotential für technische und organisatorische Innovationen in einem Mehr an Transparenz von Stoffkreisläufen und Kosten entlang der gesamten Wertschöpfungsketten.
Der Moderator Dominique Reber, Partner Konsulenten ermutigte die über 200 Teilnehmer, heute das zu tun, was jeder Einzelne in zehn Jahren nicht bereuen sollte, nicht getan zu haben. Die über 200 Teilnehmer nahmen dafür viele Ideen und Impulse für kreislaufwirtschaftliches Handeln mit in den angeregten, persönlichen Austausch mit den Panel-Teilnehmern beim Netzwerk-Apéro. (Lifefair/mc/ps)
Zum Hintergrund
Die Lifefair Foren werden organisiert von der Lifefair GmbH, der Plattform für Nachhaltigkeit. Viermal jährlich diskutieren hochkarätige Vertreter aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Non-Profitorganisationen und Zivilgesellschaft wirtschafts- und praxisnahe Fragestellungen. Inhaltlich sind die Foren eng mit dem Swiss Green Economy Symposium (SGES) verknüpft und gehen der Grundsatzfrage nach: Wie wird die Wirtschaft nachhaltiger – und wie wird Nachhaltigkeit wirtschaftlicher? www.forum.lifefair.org.
Das nächste LifeFair Forum findet am 12. November 2018 zum Thema «Biodiversität» statt.
Neben den Lifefair Foren organisiert Lifefair einmal im Jahr das Swiss Green Economy Symposium (SGES) (www.sges.ch), den umfassendsten Wirtschaftsgipfel für Nachhaltigkeit. Er zeigt ganz praktisch, wie nachhaltiges Wirtschaften sich für Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt gleichermassen lohnt. Entscheider, Umsetzer und Trendsetter aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und NGO’s treffen sich hier jährlich zum konstruktiv-kritischen Dialog. Der Austausch über Innovationen, Erfolgsgeschichten und neue Lösungsansätze fördern das konkrete Handeln. Inhaltlich orientiert sich der Wirtschaftsgipfel an der Nachhaltigkeitsagenda 2030 der UNO. Mit einer maximalen Dichte an Content und Innovation hat er sich innerhalb weniger Jahre zum bedeutendsten Praxis-Gipfel mit zunehmend internationaler Ausstrahlungskraft entwickelt.