Bern – Die Coronavirus-Welle bricht über die Schweiz herein. Mit rund 800 Neuinfektionen gab der Bund am Sonntag einen sprunghaften Anstieg der Zahl der Fälle bekannt. Neben dem Tessin gingen auch den Kantonen Basel-Land, Jura, Neuenburg und Graubünden die bisher verhängten Massnahmen des Bundes zu wenig weit. Diese Kantone ordneten die Schliessung von Restaurants und Lokalen an und verbieten ab Montag alle Anlässe mit mehr als 50 Personen. Zudem wird auch die Frühlingssession der eidgenössischen Räte abgebrochen.
Nach neuesten Angaben des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) gab in der Schweiz und in Liechtenstein bereits 2200 positiv getestete Fälle. Davon lag bei 1563 Menschen eine Bestätigung für die Infektion mit der Lungenkrankheit Covid-19 vor. Bei 152 Fällen war eine Bestätigung ausstehend. In rund 440 Fällen war die Meldung noch nicht abschliessend erfasst.
Insgesamt starben in der Schweiz bislang 14 Menschen am neuartigen Coronavirus, alleine sechs davon im Tessin. Drei Menschen starben im Kanton Waadt, zwei in Basel-Land, einer in Basel-Stadt sowie je eine Person in den Kantonen Wallis und Genf. Meist handelte es sich um ältere Personen, die an Vorerkrankungen litten. Das jüngste Opfer war eine ebenfalls vorerkrankte 32-jährige Frau im Kanton Genf.
Die vom Bundesrat am Freitag verhängten Massnahmen gegen die Ausbreitung des Virus gingen einzelnen Kantonen offensichtlich zu wenig weit. Nach dem Tessin am Samstag griffen auch die Kantone Basel-Land, Jura, Neuenburg und Graubünden rigoros durch. Deren Regierungen riefen am Sonntag die Notlage aus und ordneten die Schliessung aller Verkaufsstätten an, die nicht der Grundversorgung dienen, sowie aller Gastrobetriebe.
Geschlossen werden auch Betriebe wie Restaurants, Hotels und Sportstätten. Offen bleiben dürfen noch Lebensmittelläden, Tiershops, Apotheken, Drogerien und Tankstellen. Zudem untersagt der Regierungsrat ab Montag früh alle Veranstaltungen mit mehr als 50 Personen.
National- und Ständerat brechen die Session ab
Die Frühjahrssession der eidgenössischen Räte wird wegen der Coronavirus-Pandemie abgebrochen. Darauf haben sich Präsidenten aller Fraktionen am Sonntag geeinigt. Ständeratspräsident Hans Stöckli (SP/BE) bestätigte zunächst auf Anfrage der Nachrichtenagentur SDA-Keystone eine Information des Tages-Anzeigers. In der Zwischenzeit haben auch die Parlamentsdienste die Information bestätigt.
Menschenleere Piazza Grande
Der Kanton Tessin hatte ähnliche Massnahmen bereits am Vortag verhängt. Das öffentliche Leben kam danach weitgehend zum Stillstand, wie ein Korrespondent der Nachrichtenagentur Keystone-SDA vor Ort berichtete. Auf der Piazza Grande von Locarno liefen nur vereinzelt Menschen durch die Stadt. In Chiasso kündigte die Gemeindeverwaltung ihre Schliessung bis auf Weiteres an.
Unterdessen wurde der Ruf laut, dass die Landesregierung die vom Tessin und von Basel-Land getroffenen Massnahmen auf das ganze Land ausdehnen soll. Der Bundesrat müsse zum Schutz der Menschen unmittelbar wirksamere Massnahmen beschliessen, forderte die SVP in einer Mitteilung. Dazu bekräftigte die grösste Schweizer Partei die Forderung nach einer Schliessung der Grenzen und den Abbruch der Parlamentssession, die am Montag in die letzte von drei Wochen starten soll.
Eingeschränkter Grenzverkehr
Rund um die Schweiz schränken die Nachbarländer den Grenzverkehr zunehmend ein. Deutschland ergreift ab Montag 8 Uhr entsprechende Massnahmen, wie die Nachrichtenagentur DPA unter Berufung auf deutsche Regierungskreise berichtete.
Der Warenverkehr soll den Plänen zufolge aber weiter gesichert bleiben. Auch Pendler dürften weiterhin die Grenzen passieren. Hintergrund ist nicht nur die Eindämmung des Coronavirus, sondern auch der Versuch, Hamsterkäufe von Ausländern zu unterbinden, die im grenznahen Raum bereits zu Versorgungsproblemen geführt haben. Österreich kündigte ebenfalls für Montagabend die Einstellung des Zug- und Flugverkehrs in die Schweiz an.
In der Schweiz bereiteten sich am Wochenende im ganzen Land Schulbehörden und Eltern auf ein neues Schulregime vor. Zuvor hatte der Bundesrat am Freitag den normalen Klassenunterricht in Schulhäusern ab Montag verboten und faktisch Heimunterricht angeordnet. Die Verwaltungen aber auch Privatinitiativen organisierten unter Hochdruck Betreuungsangebote etwa für Eltern, die ihre Kinder nicht zu Hause betreuen können.
Monatelanger Heimunterricht?
Die Kantone bereiten sich nach Aussagen der Präsidentin der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) auf einen monatelangen Unterrichtsausfall in den Schulen vor. «Da die Wissenschaft damit rechnet, dass es drei bis vier Monate dauert, bis die Epidemie abflacht, müssen wir auch mit Unterricht zu Hause für diesen Zeitraum rechnen», sagte EKD-Präsidentin Silvia Steiner.
«Wir planen so, dass wir für eine Verlängerung der Massnahme gewappnet sind», sagte die Zürcher CVP-Bildungsdirektorin auf Anfrage zu einem Bericht der «NZZ am Sonntag».
Man befinde sich in einer ausserordentlichen Situation, die eine tägliche Lagebeurteilung erfordere. Es müsse auch mit der schlimmsten Variante geplant werden. Mit Blick auf Aussagen von Experten gehe man davon aus, dass die Zahl der Coronavirus-Erkrankungen in die Höhe schnellen wird.
Der Bundesrat hatte am Freitag weitreichende Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus beschlossen und das öffentliche Leben weiter eingeschränkt. So darf an den Schweizer Schulen bis 4. April kein Unterricht mehr stattfinden. Bis Ende April sind alle Veranstaltungen im Land ab 100 Personen verboten. An der Grenze werden wieder Kontrollen durchgeführt. Der Wirtschaft will die Landesregierung zehn Milliarden Franken zur Verfügung stellen. (awp/mc/ps)