Abstimmungsnachlese: Von fliegenden Faxgeräten und heulenden Wolfsgegnern
Die grösste Gewinnerin des letzten Abstimmungswochenendes steht fest: Die direkte Demokratie. Fast 60% der Stimmberechtigten haben von ihrem Recht Gebrauch gemacht und ihrer Stimme das erteilte Gewicht verliehen. Daneben gab es auch einige Verlierer, die sich aber zum Glück jeweils in der Minderzahl befanden, Demokratie sei Dank. Einmal mehr gehören die SVP zu den «zweiten Gewinnern», die Luftakrobaten der Armee beinahe und für einmal auch die vielschrotigen ruralen Tierheger.
Von Helmuth Fuchs
Da die SVP scheinbar etwas unsicher ist bezüglich der Personenfreizügigkeit, hat sie lieber noch ein viertes Mal beim Volk nachgefragt und sich bestätigen lassen, dass diese immer noch erwünscht und unterstützt wird. Man darf hoffen, dass die Antwort der 60.6% diesmal auch im entlegenen Herrliberg gehört und verstanden wurde.
Vielleicht war das Ganze aber auch nur ein Missverständnis, da die gewieften Parteistrategen die Initiative in einen mehrfachen Schafspelz verpackten mit dem Namen “Volksinitiative «Für eine massvolle Zuwanderung»” und nicht bedachten, dass für ihre Sympathisanten jegliche Zuwanderung ein rotes Tuch und absolutes No-Go ist und diese deshalb die Initiative hochkant verwarfen.
Zumindest hat die Initiative der SVP (indirekt) zu einer sprachlichen Rundumerneuerung im Politjargon geführt. Fluchen ist plötzlich wieder schick (“Dä fucking Glarner”, “Heb dä Rüssel”). In der neuen Tradition kommentiert CVP-Präsident Gerhard Pfister im Tagesanzeiger-Interview die Aufgabe des Bundesrates bei den Verhandlungen zum Rahmenabkommen: “Gopfriedstutz, dafür sind die Bundesräte doch gewählt! Das Rahmenabkommen ist ihre grosse Lebenslüge. Sie glaubten viel zu lange, das sei schon irgendwie zu regeln.”
Änderung des Erwerbsersatzgesetzes: Den im Berufsalltag gestressten Vätern (diesmal ging es auch genderbereinigt nur um den Vaterschaftsurlaub für Männer, nicht um den Vater*inXschafts-Urlaub) wurde endlich mit 60.3% Zustimmung die wohlverdiente Arbeitserholung gewährt in Form einer zweiwöchigen Babypause. Es bleibt abzuwarten, wie sich dies mittelfristig auf die Geburtenrate und die Umsätze der Pharmaindustrie auswirkt. Da sich Väter erfahrungsgestärkt in Zukunft vermehrt selbst um die Verhütung kümmern könnten, dürfte der Absatz von Verhütungspillen für Frauen abnehmen, jener für Kopfschmerzmittel zunehmen.
Wie wenig gelebte Solidarität Bestverdienende in der Schweiz erfahren, zeigte die erwünschte Änderung des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer. Die von niemandem bestrittene Betreuungsunterstützung von 10 Millionen CHF nahmen die bürgerlichen Politiker zum Anlass, den in ihren Augen zu lange vernachlässigten Mittelstand zu entlasten. Bei der Definition eines Mittelstandseinkommens liessen sie sich aber wahrscheinlich durch eine Kurzumfrage in ihren Ämtern beeinflussen, mit dem Resultat, dass die sechs Prozent Einkommenskönige die Bundeskassen um 370 Millionen Franken jährlich ärmer (und sich um den gleichen Betrag reicher) gemacht hätten. 63.2% fanden dies eine wenig prickelnde Idee.
Änderung des Jagdgesetzes: Die in den letzten 25 Jahren von 0 auf 80 Tiere explodierende Wolfspopulation hat vor allem die Bauern und Jäger in den Bergkantonen Graubünden und Wallis zu den Waffen gerufen. Die ersten, weil ihre unbeaufsichtigten und ungeschützten Schafs- und Ziegenherden jetzt nicht nur von Blitzschlag, Abstürzen und Krankheiten leicht dezimiert (ca. 4’000 Tiere jährlich), sondern eben neu auch massenhaft (ca. 400 Tiere jährlich) vom Wolf dahingerafft wurden.
Die zweiten, weil sich der Wolf, unfairerweise mit besseren genetischen Voraussetzungen, als hartnäckiger Konkurrent bei der Hege und Pflege des Wildbestandes erwies. Dies, ohne dabei Kühe und Jagdhunde, welche sich dummerweise in die Flugbahn der Geschosse tummelten, zu Kollateralschäden zu machen. Da nur 48.1% mit den Bauern und Jägern fühlten, braucht es auch in Zukunft offiziell eine Verhaltensstörung bei einem Wolf, bevor er abgeknallt werden kann.
Das enttäuschte Geheule liess nicht lange auf sich warten. Der oberste Bauer macht gleich das ganze Volk als unbezahlte Freizeit-Alpwirte für alle Folgeschäden verantwortlich. «Das Schweizer Volk hat es leider verpasst, auch Schafe, Ziegen oder Kälber besser zu schützen», so SBV-Präsident Markus Ritter.
Dieselben, welche gerne ziemlich ungehindert dem Wolf, Luchs und Bär den Garaus gemacht hätten, betrauern in ihrer Stellungnahme zum Abstimmungsresultat mit Krokodilstränen, dass “statt nur noch Wolf, Steinbock und Höckerschwan über 300 geschützte Arten von den Kantonen weiterhin reguliert und vom Bundesrat zur Jagd freigegeben werden dürfen”. Schluchz.
Den Vogel abgeschossen haben die Abstimmenden, zumindest beinahe, beim Bundesbeschluss über die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge. Ein Zufallsmehr von 50.1% sorgten dafür, dass auch zukünftige Bedrohungen mit Mitteln der vorletzten Generation bekämpft werden können. So ein wenig, wie das Coronavirus mit Faxgeräten platt machen zu wollen.
Dies, weil wahrscheinlich aus gutnachbarschaftlichen Gründen und weil man dem Genie in Washington nicht auch noch die Schlüssel zu unseren Kampf-Jets überlassen möchte, nicht die technisch besten, sondern geopolitisch verträglichsten Flugzeuge gewählt werden. Die nützen zwar nichts bei der Bekämpfung der wahrscheinlich realistischeren Bedrohungen wie Cyberattacken, Pandemien, Migrationsbewegungen, Umweltkatastrophen, auch nicht gegen militärische Attacken mit Marschflugkörpern, Drohnen oder ballistischen Raketen, aber irgendwie müssen ja auch in Zukunft die WEF-TeilnehmerInnen geschützt werden.