Bern – Die Reform der Altersvorsorge ist überraschend deutlich gescheitert. 52,7 Prozent haben Nein gesagt zur Gesetzesvorlage. Die Verfassungsänderung, die für die Erhöhung der Mehrwertsteuer nötig war, scheiterte knapp mit 50,1 Prozent. Auch das Ständemehr kam nicht zustande.
Für eine Reform der Altersvorsorge hätten beide Vorlagen angenommen werden müssen. Nun aber sagten 1’320’800 Stimmberechtigte Nein zur Gesetzesänderung, 1’186’100 stimmten ihr zu. Die Verfassungsänderung lehnten 1’257’000 Stimmberechtigte ab, 1’254’600 nahmen sie an.
Auch das Ständemehr verfehlte die Verfassungsänderung klar. Dafür wären 12 Standesstimmen nötig. Doch 11 Kantone und 5 Halbkantone sagten Nein. Mit 62,7 Prozent Nein lehnte der Kanton Appenzell Innerrhoden diese Vorlage am deutlichsten ab. Schwyz stimmte mit 62,2 Prozent gegen die Mehrwertsteuererhöhung, Glarus mit 61,4 Prozent. Deutlich Ja gesagt haben der Kanton Jura mit 57, 8 Prozent und Basel-Stadt mit 56,6 Prozent.
Aufgrund der Umfragen war mit einem knappen Resultat gerechnet worden. Die Entscheidung sollte in jenen fünf Kantonen fallen, die das Forschungsinstitut gfs.bern als Kippkantone identifiziert hatte. Nun landeten Basel-Landschaft, Solothurn und St. Gallen im Nein-Lager, die Kantone Wallis und Tessin stimmten den beiden Vorlagen zu.
Obwohl Verfassungs- und Gesetzesänderung untrennbar miteinander verbunden waren, fiel das Resultat für beide Vorlagen unterschiedlich aus. Die meisten Kantone, welche die eine Vorlage ablehnten, sprachen sich auch gegen die andere aus. In den Kantonen Luzern und Waadt jedoch kam eine Mehrheit für die Erhöhung der Mehrwertsteuer, aber nicht für die Reform der Altersvorsorge zusammen.
In der Sackgasse
Nun ist guter Rat teuer, denn tragfähige Alternativen zur gescheiterten Reform sind nicht in Sicht. Mehrere Anläufe, einzelne Reformanliegen umzusetzen, sind in den letzten Jahren an der Urne gescheitert. 2004 lehnte die Stimmbevölkerung das Rentenalter 65 für Frauen ab, 2010 erlitt die Senkung des Mindestumwandlungssatzes Schiffbruch.
Aus diesem Grund legte der Bundesrat 2014 ein Reformpaket vor, mit dem erste und zweite Säule gemeinsam angepasst werden sollten. Darin waren zwar Einbussen für die Versicherten, aber auch Rentenverbesserungen vorgesehen. Für die linke Basis und die Gewerkschaften war diese Reform trotzdem untragbar. CVP und SP zimmerten darum im Parlament eine Vorlage, hinter der auch eine Mehrheit der Linken stehen konnte.
Geben und Nehmen
Frauen sollten zwar wie Männer in der Regel bis 65 Jahre arbeiten. Auch der Umwandlungssatz in der obligatorischen beruflichen Vorsorge wäre von 6,8 auf 6 Prozent gesenkt worden. Über 44-Jährige wären davon zwar verschont geblieben, doch für alle jüngeren Versicherten hätte das eine Rentenkürzung von 12 Prozent bedeutet.
Diese Einbussen sollten mit zusätzlichen Pensionskassenbeiträgen und einem höheren versicherten Lohn ausgeglichen werden. Die Mehrwertsteuererhöhung von 0,6 Prozent hätte die AHV-Finanzen für die nächsten Jahre stabilisiert.
Der entscheidende Unterschied zur Vorlage des Bundesrats war jedoch der Rentenzuschlag: Alle neuen AHV-Renten sollten um 70 Franken erhöht werden, die Ehepaar-Renten um bis zu 226 Franken. Damit holte die Koalition aus CVP, SP, Grünen, Grünliberalen und BDP die Mehrheit der linken Basis und der Gewerkschaften an Bord – trotz tieferem Umwandlungssatz und Frauenrentenalter 65.
Uneinige Gegner
Westschweizer Gewerkschaften und die JUSO leisteten trotzdem Widerstand und ergriffen erfolgreich das Referendum. Der AHV-Zuschlag machte die Reform der Altersvorsorge für die rechtsbürgerlichen Parteien SVP und FDP sowie die grossen Wirtschaftsverbände unverdaulich.
Dieser führe zu einer Zweiklassen-AHV, weil die heutigen Rentner nicht davon profitierten, argumentierten sie. Auch der Generationenvertrag werde gebrochen, da den Jungen die ungedeckten Kosten des Rentenzuschlags aufgebürdet würden.
Richtig ist, dass die geplante Reform nicht nachhaltig war: Ohne erneute Anpassungen wäre die AHV in 20 Jahren teilweise zahlungsunfähig gewesen. Richtig ist aber auch, dass diese Situation nun schon in 10 Jahren eintreten wird.
Kein Plan B
Überzeugende Ideen, wie dies abgewendet werden könnte, liegen derzeit nicht vor. Der vage «Plan B» der FDP enthält im Wesentlichen jene Elemente, die in den letzten Jahren von der Stimmbevölkerung haushoch abgelehnt worden sind.
Ob kleinere Korrekturen an den Pensionskassenplänen von Frauen und älteren Arbeitnehmenden ein anderes Resultat herbeizuführen vermögen, ist fraglich. Angesichts der steigenden Lebenserwartung liebäugeln viele Bürgerliche sogar mit Rentenalter 67 – ein derzeit nachweislich nicht mehrheitsfähiges Ansinnen.
Auch für die Rezepte der Linken, die AHV markant zu erhöhen und die Arbeitgeber stärker zur Kasse zu bitten, sind keine Mehrheiten in Sicht. Auch eine Initiative zur Abschaffung der zweiten Säule dürfte es schwer haben.
Gelähmter Bundesrat
Die nun schon 20 Jahre währende Blockade dürfte also andauern. Überwinden müsste sie Bundesrat Alain Berset, der sich am Freitag als Innen- und Sozialminister bestätigen liess. Doch Berset ist der grosse Verlierer dieses Abstimmungssonntags: Er hat die Reform als alternativlos verkauft. Darum wird er nun Mühe haben, eine glaubwürdige Alternative aufzubauen. (awp/mc/ps)