Annäherung im Steuerstreit mit Italien

Eveline Widmer-Schlumpf

Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf.

Bern – Die Schweiz kann mit Italien über ein Steuerabkommen verhandeln. Möglich wurde dies unter anderem, weil die Schweiz eine Bedingung Italiens erfüllt hat: Der Kanton Tessin überwies die blockierten Gelder aus der Grenzgänger-Besteuerung an Italien. Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf wird sich in den nächsten Tagen in Rom zu Gesprächen mit dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti treffen. Vor den Medien zeigte sie sich am Mittwoch sehr erfreut über die Entwicklung.

Von einem Durchbruch mochte sie jedoch nicht sprechen: «Das ist der Anfang», sagte Widmer-Schlumpf. Ob Italien am Ende ein Steuerabkommen nach dem Modell der Abkommen mit Deutschland, Grossbritannien und Österreich akzeptiere, werde sich zeigen. Bislang habe Monti lediglich «Offenheit signalisiert, über alles zu diskutieren».

Schweizer Anliegen traktandiert
Verhandeln wollen die Schweiz und Italien nicht nur über ein Steuerabkommen zur Regulierung von unversteuerten italienischen Geldern und eine Abgeltungssteuer auf künftigen Kapitalerträgen. Auch Anliegen, die der Schweiz wichtig sind, sollen zur Sprache kommen. So soll das Doppelbesteuerungsabkommen revidiert und an die neuen Amtshilferegeln angepasst werden. Weiter soll es um den ungehinderten Zugang von Schweizer Unternehmen zu den italienischen Märkten gehen.

Die Schweiz und Italien wollen auch über die schwarzen Listen sprechen, die Italien seit 20 Jahren führt und mit welchen es seine Märkte schützt. Auf den Listen seien Personen und Unternehmen aus der Schweiz aufgeführt – keineswegs nur Steuersünder, sagte Widmer-Schlumpf.

Tessiner Anliegen erfüllt
Schliesslich wollen die Schweiz und Italien über die Besteuerung der Grenzgänger diskutieren. All diese Punkte sind insbesondere dem Kanton Tessin wichtig. Die Vertreter der Tessiner Regierung zeigten sich denn auch erfreut darüber, dass ihre Anliegen ins Verhandlungspaket aufgenommen wurden. Letzten Sommer hatte die Tessiner Regierung beschlossen, die Italien zustehenden Gelder aus der bei den Grenzgängern erhobenen Quellensteuer einzufrieren und vorläufig nicht an Italien auszuzahlen. Sie reagierte damit auf den Druck Italiens auf den Tessiner Finanzplatz.

Das Geld sollte so lange blockiert bleiben, bis Bern und Rom wieder über eine Revision des Grenzgängerabkommens verhandeln würden. Italien reagierte verärgert – und machte seinerseits die Zahlung der Grenzgänger-Gelder zur Bedingung für Verhandlungen über ein Steuerabkommen.

Tessin zahlt Gelder aus
Nun hat der Kanton Tessin 28 Mio CHF an Italien überwiesen. Und Italien hat im Gegenzug eingewilligt, auch über die Grenzgängerbesteuerung zu verhandeln. Das Tessiner Parlament verlangt, dass der Steuersatz zugunsten Italiens von heute 38,8 auf 12,5% gesenkt wird. Im März stimmte der Nationalrat einer entsprechenden Tessiner Standesinitiative zu, der Ständerat lehnte diese ab. Heute gebe es 54’000 Grenzgänger, gaben der Tessiner Staatsratspräsident Marco Borradori und Finanzdirektorin Laura Sadis vor den Medien zu bedenken. Die Situation sei anders als vor 40 Jahren, das Abkommen von 1974 sei nicht mehr zeitgemäss.

Widmer-Schlumpf wollte sich nicht zur Frage äussern, ob die Blockierung der Gelder durch den Kanton Tessin für den Bund hilfreich oder hinderlich gewesen sei. Sie hob jedoch die gute Zusammenarbeit mit dem Kanton hervor. Dadurch sei es gelungen, die Gespräche mit Italien wieder aufzunehmen und «den Kanal zum zweitwichtigsten Handelspartner» zu öffnen.

Italien wartete auf EU-Kommission
Dass Italien nun zu Verhandlungen bereit ist, hat laut Widmer-Schlumpf verschiedene Gründe. Der Druck des Kantons Tessin sei nur eines der Puzzlestücke. Eine Rolle spielten demnach auch die finanzielle Lage Italiens und die Feststellung der EU-Kommission, dass die Abkommen mit Deutschland und Grossbritannien EU-konform seien. Der Druck der ans Tessin angrenzenden Regionen Italiens wegen der ausbleibenden Grenzgänger-Gelder auf ihre Regierung möge ebenfalls mitgewirkt haben, sagte Widmer-Schlumpf. Dass die Verhandlungen nun beginnen könnten, sei aber vor allem das Resultat vieler Gespräche auf dem diplomatischen Parkett.

Steuerungsgruppe
Zuletzt hatten sich Staatssekretär Michael Ambühl und der Berater des italienischen Finanzministeriums getroffen. Sie vereinbarten die Schaffung einer Steuerungsgruppe. Ein erstes Treffen dieser Gruppe ist auf den 24. Mai 2012 anberaumt. Wann die Bundespräsidentin genau nach Rom reist, wollte sie nicht sagen. Sie zeigte sich aber zuversichtlich, in den Verhandlungen rasch voran zu kommen. Ausserdem hält es Widmer-Schlumpf für möglich, dass die Schweiz bald auch mit anderen Staaten über Steuerabkommen verhandelt. Nach den Wahlen steht insbesondere Frankreich wieder auf der Liste möglicher Kandidaten. (awp/mc/upd/ps

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