Bern – Trotz der drohenden Energiekrise und einer möglichen Rezession zeigt sich der Schweizer Stellenmarkt äusserst robust. Im Oktober ist die Arbeitslosigkeit auf dem tiefsten Stand seit zwei Jahrzehnten geblieben.
Konkret waren Ende Oktober 89’636 Menschen bei den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) als arbeitslos gemeldet. Das waren zwar 110 mehr als im September, aber immer noch 27’097 weniger verglichen mit dem Vorjahresmonat, wie das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) am Montag mitteilte. Das führte dazu, dass die Arbeitslosenquote wie im Vormonat bei 1,9 Prozent zu liegen kam.
Unter 2 Prozent hatte die Arbeitslosenquote vor dem September 2022 zuletzt im Oktober 2001 gelegen. Vor einem Jahr hatte die Quote noch 2,5 Prozent betragen. Auch die Langzeitarbeitslosigkeit nahm klar ab. Sie lag im Oktober noch bei 16’125 Personen (respektive 0,35%) und der allgemeine Trend zeigt hier weiter abwärts, wie Boris Zürcher, Leiter der Direktion für Arbeit beim Seco, an einer Telefonkonferenz ausführte.
Saisonbereinigt, also unter Ausklammerung saisonaler Faktoren, verharrte die Arbeitslosenquote derweil bei 2,1 Prozent. Von der Nachrichtenagentur AWP befragte Ökonomen hatten eher einen zumindest geringfügigen Anstieg erwartet.
Jobmarkt ausgetrocknet
Für Unternehmen ist es aktuell so schwierig wie seit langem nicht mehr, geeignetes Personal zu finden. «Wir sehen im Moment nicht nur einen ausgeprägten Fachkräftemangel, sondern sogar einen Arbeitskräftemangel», sagte Zürcher.
Diese zwei Begriffe zu unterscheiden ist jedoch gar nicht so leicht. Auch Exponenten der Wirtschaft seien nicht immer präzise, wenn sie diese Begrifflichkeiten verwendeten, sagte Zürcher. Er führte jedoch aus, dass es sich bei Fachkräften nicht nur um hochqualifizierte Personen handelt, sondern auch um solche aus Branchen wie der Logistik und der Gastronomie, die primär aufgrund ihrer (langen) Arbeitserfahrung zu Fachspezialisten geworden seien.
Doch seien eben derzeit nicht nur solche Fachspezialisten schwierig zu finden, die Lage am Arbeitsmarkt für die Firmen sei vielmehr auch bei der Suche nach ungelernten Personen angespannt. «Es ist somit ein effektiver Arbeitskräftemangel zu beobachten», sagte Zürcher.
Arbeitsmarkt hat gedreht
Der Arbeitsmarkt habe sich gar von einem Nachfrage- zu einem Angebotsmarkt hin gedreht. «Er ist also zu einem Arbeitnehmermarkt geworden», führte er aus. Was konkret heisst: Konnten sich die Personalchefs früher aus Stapeln von Bewerbungsmappen ihre Wunschkandidaten heraussuchen, sind es heute oftmals die Arbeitgeber, die sich quasi bei potentiellen Angestellten bewerben müssen.
Und es könnte durchaus sein, dass sich an dieser Situation in nächster Zeit aus strukturellen Gründen nur wenig ändert. Denn die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer stehen kurz vor der dem Erreichen des Rentenalters, wie Zürcher ausführte.
Die grösste Geburtskohorte gab es laut dem Leiter der Direktion für Arbeit beim Seco im Jahr 1964. Und diese Personen gehen regulär zwischen 2027 und 2029 in Rente. «Der Austritt der Babyboomer-Generation aus dem Arbeitsmarkt wird Spuren hinterlassen», sagte Zürcher.
Schweiz als Importeur von Arbeitskräften
Hinzu komme, dass die Schweiz seit dem zweiten Weltkrieg mit der Ausnahme weniger Jahre Arbeitskräfte im Ausland rekrutiert habe, um die hiesigen Lücken zu schliessen. Die Schweiz sei somit fast immer ein Nachfrager von Arbeitskräften in Europa und der Welt gewesen.
Doch dürfte die Suche nach neuem Personal in den umliegenden Ländern künftig ebenfalls schwerer werden, gibt es doch in Österreich, Deutschland, Frankreich und Italien ebenfalls das Phänomen der Babyboomer, die nun in Rente gehen. Der hiesige Arbeitskräftemangel könne daher nicht mehr so einfach wie vor ein paar Jahren mit Blick auf das europäische Umfeld gelöst werden. (awp/mc/ps)