Gerold Bührer, Präsident economiesuisse.
Bern – Wenige Tage vor der Sondersession zur Atomdebatte im Nationalrat hat der Wirtschaftsdachverband economiesuisse eine neue Umfrage vorgelegt. Demnach würden 67% der Befragten für einen Atomausstieg stimmen. 65% sind auch bereit, dafür höhere Strompreise zu bezahlen.
Fast die Hälfte der 1’005 Befragten nehmen beim Atomausstieg zudem in Kauf, dass die Stromversorgung nicht zu jeder Zeit perfekt funktioniert. Die von der Zeitung «Sonntag» publizierte repräsentative Studie wurde auch auf dem Energie-Portal der Wirtschaft (energiedebatte.ch) aufgeschaltet. Gemäss der Umfrage wünscht sich die Bevölkerung allerdings keine überstürzten Handlungen: 84% der Befragten wollen, dass in Ruhe eine sichere Lösung für eine ausreichende Stromversorgung gefunden wird. «Die Bürger reagieren wesentlich gelassener, als es die Politiker vermuten», schreibt economiesuisse dazu auf dem Energieportal.
Gaskombikraftwerke finden keine Mehrheit
Wie die Studie zeigt, ändert sich der Anteil der Gegner neuer AKW allerdings bereits bei einer leicht veränderten Fragestellung: Wird die Frage nach neuen Atomkraftwerken mit den Sicherheitsstandards moderner Atomanlagen verknüpft, sind statt 67% nur noch 55% gegen neue AKW. 41% befürworteten zudem folgende Aussage: «Die Schweiz soll die alten Atomkraftwerke durch moderne ersetzen, welche die neuesten Sicherheitsanforderungen erfüllen.» Bei der allgemein formulierten Frage zum Atomausstieg sprachen sich nur 29% für AKW aus. Keine Mehrheit finden in der neuen Umfrage die Gaskombikraftwerke: Nur 38% befürworten den Einsatz von Gaskombikraftwerken, bis alternative Energien die Atomenergie vollständig ersetzen können. 46% sind gegen den Einsatz von Gaskombikraftwerken.
Atomausstieg eine positive Sache für Umwelt
Nichts gegen Gaskraftwerke hat der Chef des Bundesamts für Umwelt (BAFU), Bruno Oberle: Neue Gaskraftwerke stellten die Klimaziele in keiner Weise infrage, sagte er in einem Interview mit der «SonntagsZeitung». Denn der CO2-Ausstoss könne zu 100% kompensiert werden. Grundsätzlich sei der Atomausstieg eine positive Sache für die Umwelt: «Der Atomausstieg und damit die Notwendigkeit, mit der Energie effizienter umzugehen, helfen dem Klima», sagte Oberle. Dieser Zusammenhang werde unterschätzt.
Alternative Energien als Chance
Eine Chance biete der Umstieg auf alternative Energien – etwa Strom aus Biomasse und Abfall – auch für den Wald: «Beim Holz wären zwei Millionen Kubikmeter mehr Ertrag möglich, davon die Hälfte aus dem Wald», erklärte Oberle. «So könnten wir zugleich den Schweizer Wald verjüngen.» Die Studie wurden vom Forschungsinstitut gfs.Bern durchgeführt. Die Befragungen im Auftrag von economiesuisse fanden zwischen dem 5. und dem 14. Mai statt – also noch vor dem Entscheid des Bundesrats, aus der Atomenergie auszusteigen. Am kommenden Mittwoch wird sich der Nationalrat mit der Frage des Atomausstiegs befassen.
Zeit für Energiewende laut Swisscleantech reif
Nicht die ganze Wirtschaft stemmt sich gegen Atomausstieg und CO2-Reduktion. Im Wirtschaftsverband swisscleantech kämpfen über 200 Unternehmen aus Industrie, Stromversorgung und Umwelttechnologie für die Energiewende. Für sie ist eine nachhaltige Energiepolitik nicht nur das politische Diktat der Stunde, sondern auch eine wirtschaftliche Chance. Vor 150 Jahren sei die Schweiz arm gewesen, sagte Bertrand Piccard, Präsident des Patronatskomitees von swisscleantech, am Montag vor den Medien in Bern. Dank der Visionen einiger Pioniere sei sie 30 Jahre später ein reiches Land gewesen. «Auch heute müssen wir wieder eine solche Wahl treffen», sagte der Solarpionier. Im Gang sei nichts weniger als eine neue Industrierevolution. «Wenn wir reich bleiben wollen, müssen wir mitmachen», ist Piccard überzeugt. Die ganze Welt werde in Zukunft Cleantech-Produkte brauchen. «Wenn wir sie nicht verkaufen, verkauft sie jemand anders.»
«Die Zeit der Billigstrom-Strategie ist zu Ende.»
Motor der Energiewende ist gemäss der am Montag vorgestellten «Cleantech Energiestrategie» die Vollkostenrechnung. Wenn man alle Kosten einbeziehe, seien weder die Atomkraft noch fossile Energieträger wirtschaftlich, sagte Verbandspräsident Nick Beglinger. «Die Zeit der Billigstrom-Strategie ist zu Ende.» Einen alternativen Ansatz, der sowohl der Wirtschaft, der Schweizer Volkswirtschaft wie auch der Umwelt zugute kommt, zeigt der Wirtschaftsverband in einem neuen Strategiepapier auf. Energieträger sollen ihre tatsächlichen Kosten decken, was Strom und fossile Brennstoffe 20 bis 30% verteuern würde.
«Wir wollen umweltfreundlich und reich werden»
Mit dem Geld sollen aber nicht etwa Klimaprojekte oder eine angemessene Versicherungsdeckung für AKW-Unfälle bezahlt werden. Die Mittel fliessen gemäss der swisscleantech-Strategie in erneuerbare Energien, Energieeffizienz und intelligente Stromnetze. Beglinger ist überzeugt, dass davon die ganze Schweizer Wirtschaft profitieren könnte. Heute werde das in der Schweiz verdiente Geld in Saudi-Arabien oder Kasachstan für fossile Brennstoffe ausgegeben. In der Schweiz eingesetzt, könnte es zu einem Aufschwung und vielen neuen Arbeitsplätzen führen. «Wir wollen umweltfreundlich und reich werden», bringt Christian Zeyer, Hauptautor des Strategiepapiers, die Stossrichtung auf den Punkt.
«Wir haben erkannt, dass die Welt in Richtung Cleantech geht.»
Auch Pavatex-Chef Martin Brettenthaler ist vom Cleantech-Weg überzeugt. Das Unternehmen stellt heute vor allem Dämmplatten für Gebäude her. Zudem hat Pavatex in den letzten Jahren CO2-Ausstoss und Energieverbrauch drastisch reduziert. Dazu hätten allein wirtschaftliche Gründe geführt, sagte Brettenthaler: «Wir haben erkannt, dass die Welt in Richtung Cleantech geht.» Erkannt haben dies auch die sieben namhaften Stromversorger und Energieunternehmen, die Mitglied von swisscleantech sind. Dazu gehören die Kraftwerke Oberhasli (KWO), Axpo-Mitbesitzerin EKZ (Elektrizitätswerke des Kantons Zürich) oder Romande Energie, die Anteile an Leibstadt und Gösgen hält.
Klare politische Signale erwartet
Von der Politik erwartet swisscleantech klare Signale. «Die Zeit zum Debattieren ist vorbei», so Zeyer. Unternehmen brauchten jetzt langfristig planbare und konkrete Rahmenbedingungen. Dazu gehört für swisscleantech auch eine vorübergehende Stützung energieintensiver Unternehmen. Wenn diese Industrien ins Ausland abwanderten, sei niemandem gedient, sagte Piccard. Cleantech könnte ohnehin bald ganz oben auf der politischen Agenda stehen. Die SP sammelt derzeit Unterschriften für ihre Initiative, die bis 2030 die weitgehende Umstellung auf erneuerbare Energien verlangt. Auch die SP erhofft sich davon einen Wachstumsschub für die Wirtschaft und 100’000 neue Arbeitsplätze. Swisscleantech unterstützt die Initiative laut Beglinger nicht. (awp/mc/upd/ss)