Avenir Suisse: «Bilateralismus – was sonst?»

Personenfreizügigkeit

(Bild: michaklootwijk - Fotolia)

(Bild: michaklootwijk – Fotolia)

Zürich – Die bilateralen Verträge mit der EU waren in wirtschaftlicher Hinsicht gut für die Schweiz. Neben den grossen Unternehmen gehören auch die KMU, die Konsumenten und der Mittelstand zu den Gewinnern. Eine Kündigung der Bilateralen wäre zu riskant, weil letztere zu einer bisher unerreichten Verflechtung der Schweiz mit der EU geführt haben und die Schweiz nicht zum Ausgangspunkt zurückkehren kann. Zu diesem Schluss kommt Avenir Suisse. In einem umfangreichen Buch analysiert der Think Tank Nutzen und Kosten der bilateralen Verträge jenseits der politischen Zuspitzung und untersucht die Entwicklungsoptionen detailliert nach Themen und Branchen.

Der Analyse zufolge fehlt es auch an geeigneten Alternativen. Die Aushandlung eines vertieften Freihandelsabkommens mit der EU wäre zeitraubend und könnte die Teilnahme am EU-Binnenmarkt nicht genügend sicherstellen. Die Vorteile eines EWR-Beitritts rechtfertigen den damit verbundenen Souveränitätsverlust nicht. Die Fortsetzung des bilateralen Wegs bleibt somit die beste Option. Die Schweiz hat zudem ein Eigeninteresse am Erhalt der Personenfreizügigkeit. Die Zuwanderung sollte primär über Anpassungen im Inland reduziert werden.

Die Europäische Union ist der wichtigste Handelspartner der Schweiz. 2014 gingen 55% aller Exporte in die EU, über 73% aller Einfuhren stammten aus der EU. Ähnlich ist das Bild bei der Zuwanderung: 2013 stammten 62% der Einwanderer aus der EU, 50% aller Auswanderer aus der Schweiz gingen dorthin: Kaum ein EU-Mitgliedsstaat ist so europäisch wie die Schweiz. Während der vergangenen 13 Jahre haben die bilateralen Verträge zu einer bisher beispiellosen wirtschaftlichen Verflechtung mit der EU geführt. Seit einiger Zeit ist der bilaterale Weg aber in der Schwebe und verliert in der Schweiz an Rückhalt. Zum einen herrscht Unsicherheit wegen der Umsetzung der Initiative «Gegen Masseneinwanderung», zum andern drängt die EU auf ein institutionelles Rahmenabkommen, das einen homogenen Rechtsbestand für den Binnenmarkt und eine einheitliche Rechtsauslegung und Streitbeilegung gewährleisten soll.

Positive wirtschaftliche Bilanz
Aus ökonomischer Sicht ist die Bilanz der Bilateralen für Avenir Suisse eindeutig positiv:

Mehr Flexibilität dank einer dezentral gesteuerten Zuwanderung
Nimmt man frühere Kontingentsregime zum Massstab, hat die Personenfreizügigkeit nur unwesentlich zur starken Zuwanderung beigetragen. Drei Viertel der Zuwanderer wären ohnehin in die Schweiz gekommen, weil sich die Schweizer Migrationspolitik immer am wirtschaftlichen Bedarf orientierte. Der grösste Vorteil der PFZ liegt darin, dass sie dezentral und unbürokratisch funktioniert und somit keine schädliche Regional- und Strukturpolitik zulässt. Auch wegen der guten Qualifikationen der Zuwanderer hat die Schweiz ein Eigeninteresse am Erhalt der PFZ – wenn auch mit wichtigen Anpassungen: Die Einwanderung sollte über die Verknüpfung eines langfristigen Globalziels und einer kurzfristigen Schutzklausel gesteuert werden. Zudem wären Massnahmen nötig, die den Sog in den Arbeitsmarkt reduzieren und die der Schweiz erlauben, zu einer eigenständigen Migrationssteuerung zurückzukehren. Zu denken ist etwa an die noch bessere Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt, Massnahmen zur flexibleren Beschäftigung älterer Arbeitskräfte und eine Stellenbremse beim Staat.

What else?
Eine Kündigung der bilateralen Verträge ist auch deshalb nicht opportun, weil es keine geeigneten Alternativen gibt:

Fazit
Eine einseitige Kündigung der Bilateralen wäre eine Risikostrategie. Die Schweizer Wirtschaft ist in hohem Mass mit der EU verwoben. Ein Zurückdrehen der Uhr um 15 Jahre ist nicht möglich – und die Kosten einer Kündigung sollten nicht unterschätzt werden. Zu berücksichtigen sind auch die künftigen Entwicklungen in der EU. Obwohl die politische Integration angesichts des drohenden Austritts Grossbritanniens eher ins Stocken geraten könnte, dürfte der Binnenmarkt in wichtigen Bereichen (z.B. digitale Dienstleistungen und Kapitalmarktunion) weiter vertieft werden.

Es besteht keine Notwendigkeit, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Sowohl rechtlich als auch politisch ist es möglich, die Initiative «Gegen Masseneinwanderung» ohne eine Kündigung des Abkommens über die Personenfreizügigkeit umzusetzen. Der bilaterale Weg hat der Schweiz die grösstmögliche Nähe zur EU bei gleichzeitigem Anderssein ermöglicht. Vorerst bleibt er – trotz all seinen Schwächen – die beste aller Alternativen. (Avenir Suisse/mc)

Buch «Bilateralismus – was sonst?» von Patrik Schellenbauer und Gerhard Schwarz (Hrsg.) mit Beiträgen u.a. von Alois Bischofberger, Peter Buomberger, Astrid Epiney, Daniel Gros, Urs Meister, Daniel Müller-Jentsch und Rudolf Walser; NZZ Libro 2015

Exit mobile version