Avenir Suisse: Wann sind neue Medikamente zu teuer?
Zürich – Substanzielle Fortschritte in der Entwicklung von Medikamenten sind ein Segen – aber nicht gratis. Wie soll die Tragbarkeit für das Gesundheitswesen sichergestellt werden? Welche Massnahmen garantieren eine rasche Markteinführung innovativer Medikamente in der Schweiz? Avenir Suisse analysiert in einer neuen Studie die Mechanik des Arzneimittelmarktes im Spannungsfeld von Patienten, Regulierung und Industrie. Ein neues Finanzierungsmodell berücksichtigt den Mehrwert solcher Produkte für die Patientinnen und Patienten, ohne das Gesamtsystem an seine finanziellen Grenzen zu bringen.
Dank dem Fortschritt der Pharmaforschung konnte die Behandlung vieler schwerer Krankheiten signifikant verbessert werden. Die Kehrseite der Entwicklung innovativer Medikamente sind teilweise exorbitante Preise. Das teuerste bisher in der Schweiz zugelassene Arzneimittel kostet pro Dosis fast 2,2 Millionen Franken. Da die Behandlung von Krankheiten immer spezifischer wird und sich damit die Patientenkreise verkleinern, müssen die Entwicklungskosten auf eine geringere Anzahl von Patientinnen und Patienten umgelegt werden.
Langwierige Bewilligungsprozesse
Die Preise von Medikamenten werden jedoch nicht durch die Industrie diktiert, sondern sind das Resultat von Verhandlungen zwischen dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) und den Pharmaherstellern. Während dieses langwierigen Prozesses, der Monate dauern kann (Median: 217 Tage im Jahr 2021), ist der Zugang zu den Innovationen für die Patientinnen und Patienten nur begrenzt möglich.
Im Rahmen einer neuen Studie loten Sonia Estevez und Jérôme Cosandey das Spannungsfeld aus, in dem sich die Regulatoren bewegen: Sie müssen einerseits die finanzielle Tragbarkeit für das Krankenkassen-Prämiensystem sicherstellen, anderseits den schnellen Zugang zu neuen innovativen Medikamenten ermöglichen. Dafür braucht es für die Pharmaunternehmen attraktive Rahmenbedingungen im vergleichsweise kleinen Schweizer Markt. Mit weniger als 9 Millionen Einwohnern macht unser Land nur rund 2,8% des europäischen Pharmamarktes bzw. 0,6% des Weltmarktes aus.
Ein neues Drei-Säulen-Modell
Für eine optimale Versorgung zu bezahlbaren Tarifen schlägt Avenir Suisse ein Drei-Säulen-Modell für neue, innovative Medikamente vor:
- Der Mechanismus zur Preisfestsetzung zwischen den Behörden und den Produzenten muss klar und schnell sein, damit die Anwendung innovativer Arzneimittel möglichst wenig verzögert wird. Diese Forderung ist gerade bei den hochinnovativen Arzneimitteln zentral, da es für die betroffenen Patienten oft keine wirkungsvollen Alternativen gibt. Die Krankenkassen sollen innovative Medikamente ab dem ersten Tag der Zulassung durch Swissmedic zu einem vorläufigen Preis übernehmen können. Behörden und Pharmahersteller hätten dann 365 Tage Zeit, um den definitiven Preis auszuhandeln.
- Der Preis für ein Medikament, das langwierige Behandlungen erspart, darf einerseits den Wert dieser Einsparungen spiegeln, soll sich anderseits am finanziellen «Wert» geretteter Lebensjahre bei guter Gesundheit orientieren. Dabei sollte dieser Gewinn der Gesellschaft wie dem Pharmahersteller zum Beispiel je hälftig zu Gute kommen. An einer – ethisch anspruchsvollen – Festlegung dieses Wertes führt kein Weg vorbei. Immerhin sind Gerichte schon heute zu entsprechenden Definitionen gezwungen, z.B. bei der Beilegung von Haftpflichtstreitigkeiten nach einem tödlichen Unfall.
- Will die Schweiz für die Vermarktung innovativer, aber teurer Medikamente attraktiv bleiben, braucht es ein neues Finanzierungsmodell, das den Mehrwert solcher Produkte für die Patienten ebenso berücksichtigt wie die finanziellen Auswirkungen auf das Gesamtsystem. Avenir Suisse schlägt dafür ein dynamisches Kostenfolgemodell vor, das eine automatische Preisanpassung in Abhängigkeit des realisierten Umsatzes vorsieht. Ist ein kumulierter Umsatz zwischen 20 und 25 Millionen Franken in der Schweiz erreicht, so ist eine Rückerstattung fällig. Damit kann der Preis graduell angepasst werden, wenn Forschungs- und Entwicklungskosten amortisiert und Skaleneffekte realisiert worden sind.
Pharmaindustrie und Regulator im Dienst der Patientinnen und Patienten
Mit diesem Dreischritt wird gewährleistet, dass ein tragbares Fundament für einen raschen Patientenzugang zu Innovationen gesichert ist, der kleine Schweizer Markt für die Pharmaindustrie attraktiv bleibt und das Gesundheitssystem nicht übermässig strapaziert wird.
Dabei versteht es sich von selbst, dass Medikamente nur einen Teilbereich des Gesundheitswesens darstellen. Die Betreuung von Patientinnen und Patienten durch Ärzte, Pflege und Angehörige ist ebenso wichtig wie die Behandlung mit Medikamenten – und seien die Arzneimittel noch so revolutionär. (Avenir Suisse/mc)