Bern – Die Versicherten der zweiten Säule erhalten ab nächstem Jahr auf ihren Altersguthaben so wenig Zins wie noch nie: Der Bundesrat hat angesichts der schwächelnden Börsen den Mindestzinssatz erstmals auf unter 2% gesenkt. Er beträgt neu 1,5%, wie das Departement des Innern am Mittwoch mitteilte.
Der Mindestzinssatz legt fest, wie viel Zinsen das Alterskapital in einem Jahr im Minimum abwerfen muss. Je tiefer der Satz, desto schwächer wachsen die Altersguthaben der Versicherten. Der Bundesrat folgt mit seinem Entscheid der Empfehlung der Kommission für berufliche Vorsorge, die sich Anfang September mit zwölf zu fünf Stimmen für die Senkung des Mindestzinses ausgesprochen hatte.
BVG-Kommissionsmehrheit gefolgt
Die Regierung stützte sich bei ihrem Entscheid auf die von der Kommission empfohlene Berechnungsmethode. Dabei wird einerseits der Zinssatz der durchschnittlichen Rendite von 7-jährigen Bundesobligationen berücksichtigt. Diese Rendite kann fast ohne Risiko erreicht werden. Anderseits werden der Pictet BVG Index 93 sowie der IPD Wüest & Partner Index herangezogen. Diese widerspiegeln die Entwicklungen bei anderen Anlagekategorien wie Aktien und Liegenschaften.
Hohe Schwankungen an den Aktienmärkten
Aufgrund dieser Formel wurde ein Wert von 1,5% errechnet. Berücksichtigt wurde dabei insbesondere, dass sich die Aktienmärkte in diesem Jahr negativ entwickelten und hohen Schwankungen ausgesetzt waren. So verlor der Swiss Market Index (SMI) bis Ende Oktober rund 11%. Wegen der erneuten Einbussen der letzten Tage sind es mittlerweile schon mehr als 14%.
Börsenbaissen Rechnung tragen
Die Senkung des Mindestzinssatzes auf 1,5% sei damit gerechtfertigt, schreibt das Innendepartement in einem Communiqué. Den negativen Entwicklungen und Schwankungen der Finanzmärkte sei angemessen Rechnung getragen worden.
Mindestzinssatz erstmals unter 2 Prozent
Es ist das erste Mal in der Geschichte der zweiten Säule, dass der Mindestzinssatz unter 2% fällt. Von 1985 bis 2002 lag der Satz noch bei 4%. Seit dem Platzen der Internetblase zu Beginn des Jahrtausends wird er regelmässig der Börsenentwicklung angepasst.
Mindestzinssatz im Oktober von 2,75 auf 2 Prozent gesenkt
Nach Ausbruch der Finanzkrise senkte der Bundesrat den Satz im Oktober 2008 wegen der – aufgrund der expansiven Geldpolitik der Nationalbank – rückläufigen Obligationenrenditen und den Unsicherheiten auf den Aktienmärkten von 2,75 auf 2%.
Kommission gespalten
Obwohl vor allem die Versicherer wiederholt auf einen tieferen Satz drängten, entschied der Bundesrat in den Jahren 2009 und 2010, den Satz bei 2% zu belassen. Damit folgte er beide Male dem Vorschlag der BVG-Kommission. In der BVG-Kommission sind die Empfehlungen jeweils nicht unumstritten. Während die Gewerkschaftsvertreter einen Zinssatz von 2 bis 2,25% verlangten, sprachen sich die Arbeitgeberverbände für einen Satz von 1,25 bis 1,75% aus. Der Schweizerische Versicherungsverband (SVV) verlangte gar eine Senkung auf nur noch 1%.
Gilt für BVG-Obligatorium
Der Mindestzinssatz betrifft nur die Lohnbestandteile, die dem BVG-Obligatorium unterstehen (derzeit 20’880 bis 83’520 CHF). Auf Lohnbestandteilen, die darüber liegen, können die Pensionskassen einen anderen – auch einen tieferen – Zinssatz festlegen. Wie hoch eine BVG-Rente ausfällt, hängt auch vom Umwandlungssatz ab. Dieser liegt derzeit bei 6,95% für Männer und bei 6,90% für Frauen.
Aufgrund einer seit 2005 geltenden Revision des Bundesgesetzes über die berufliche Vorsorge (BVG) wird er schrittweise auf 6,8% gesenkt. Dieser Satz gilt ab 2013 für die Frauen und ab 2014 für die Männer. Eine weitere Senkung lehnte das Stimmvolk im März mit 72,7% Nein-Stimmen ab.
Harte Fronten zwischen Versicherern und Gewerkschaft
Der neue Mindestzinssatz kommt nicht überall gut an: Während die Versicherungsbranche die Senkung auf 1,5 Prozent begrüsst, kritisieren die Arbeitnehmervertreter die Massnahme. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund spricht von einem «Geschenk an die Versicherungswirtschaft». Die Senkung erfolge ohne Not. Die SG-Interpretation der Geschehnisse ist eindeutig: «Der Bundesrat ist dem Jammern der Versicherungsbranche nachgekommen, die ihre fetten Gewinne im BVG-Geschäft wegen der aktuellen Finanzturbulenzen gefährdet glaubte.» (awp/mc/pg)