Bern – Die Schweizer Wirtschaft ist im zweiten Quartal 2016 überraschend stark gewachsen. Vor allem der staatliche Konsum und der Aussenhandel brachten Impulse. Einige Ökonomen sprechen deshalb bereits vom Ende des Frankenschocks, andere geben sich noch eher vorsichtig.
Das reale Bruttoinlandprodukt (BIP) stieg in der Periode von April bis Juni zum Vorquartal um 0,6% und zum Vorjahresquartal um 2,0%. Nach oben revidiert wurden ausserdem die BIP-Zahlen für das erste Quartal 2016, und zwar auf +0,3% von +0,1% im Vorquartalsvergleich bzw. auf +1,1% von +0,7% im Vorjahresvergleich. Das Wachstumstempo hat sich somit im zweiten Quartal trotz der Aufwärtsrevision für das erste Quartal deutlich beschleunigt.
Die Q2-Werte lagen relativ klar über den Schätzungen des Marktes. Von AWP befragte Ökonomen hatten lediglich +0,2% bis +0,5% zum Vorquartal bzw. +0,6% bis +0,9% zum Vorjahr geschätzt.
Privatkonsum schwächelt
Positive Impulse kamen im zweiten Quartal vom Aussenhandel sowie vom Staatskonsum, wie das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) am Dienstag mitteilte. Am kräftigsten legten die staatlichen Konsumausgaben mit einem Plus von 1,7% zum Vorquartal zu. Die Warenexporte (ohne Wertsachen, Transithandel etc.) wuchsen um 0,8%. Hier kurbelten vor allem die Ausfuhren von chemischen und pharmazeutischen Produkten das Wachstum an, während von den Bereichen Uhren und Maschinen negative Impulse kamen. Allerdings sanken die Preise im Export weiterhin: Der Deflator, der die Preisentwicklung angibt, verzeichnete einen Rückgang von 1,4%, während bei den Warenimporten die Preise erstmals seit drei Jahren wieder anzogen.
Während also sowohl Staatsausgaben als auch Exporte anzogen, stagnierte der private Konsum. Die Konsumentenstimmung sei weiterhin schwach, die Nettomigration sei tiefer ausgefallen als im Vorjahr, und das Wachstum der Reallöhne dürfte sich 2016 leicht abschwächen, sagt Ronald Indergand, Leiter des Ressorts Konjunktur bei der Direktion für Wirtschaftspolitik beim Seco, gegenüber der Nachrichtenagentur sda. Die Stagnation sei aber noch kein Grund zur Sorge: Der private Konsum sei im Vorquartal noch sehr stark gewachsen (+0,5%).
Gar rückläufig entwickelten sich laut Seco nach einem positiven Quartal die Ausrüstungsinvestitionen mit einem Minus von 0,9%. Insbesondere die Rubriken Maschinen und Sonstige Fahrzeuge hätten sich abgeschwächt, heisst es dazu. Auch die Bauinvestitionen waren mit -0,3% leicht rückläufig.
Auf der Produktionsseite (bzw. nach Wirtschaftssektoren) verteilte sich das Wachstum breit über die meisten Sektoren, was laut Indergand ein «sehr positives Zeichen» ist. Die höchsten Zuwachsraten zeigten sich im Energiesektor mit 5,8%, im Sektor Erziehung und Unterricht mit 2,0% und nach einigen negativen Quartalen im Gastgewerbe mit 2,5%. Auch das Gesundheits- und Sozialwesen (+1,0%), die Öffentliche Verwaltung (+0,8%) und die wirtschaftlichen Dienstleistungen (+0,8%) legten zu. Einen leichten Rückgang nach drei positiven Quartalen verzeichnete hingegen das Verarbeitende Gewerbe (-0,1%).
Nicht alle Analysten sehr optimistisch
Laut ersten Ökonomen-Einschätzungen könnte die Schweizer Wirtschaft die Talsohle durchschritten haben. Langsam aber sicher kehre das Wachstum in den Normalbereich zurück, heisst es in einem ersten Kommentar der VP Bank. Dies werde vor allem sichtbar, wenn man den BIP-Zuwachs zum Vorjahr betrachte (+2,0%). Die Perspektiven für das zweiten Halbjahr seien ausserdem günstig.
«Die Schweizer Wirtschaft lässt den Frankenschock hinter sich», titelt auch IG Schweiz ihren Kommentar. Und auch die Analysten der CS schreiben von «überraschend starken Zahlen». Allerdings sei ein Grossteil mit aussergewöhnlichen Faktoren wie grossem Lageraufbau zu erklären, heisst es hier.
Etwas weniger optimistisch klingt es auch in einem Kurzkommentar der Konjunkturforschung Bakbasel: Es sei nicht erfreulich, dass der private Konsum nach einem robusten Jahresauftakt deutlich an Schwung verloren habe. Dass der Frankenschock trotz der insgesamt erfreulichen Entwicklung des zweiten Quartals immer noch nachwirke, zeige sich in der verhaltenen Investitionstätigkeit und den stagnierenden Dienstleistungsinvestitionen. Aktuelle Indikatoren wie die Einkaufsmanagerindizes würden ausserdem wieder auf eine verhaltenere Entwicklung hindeuten. (awp/mc/upd/ps)