BKW-VRP Urs Gasche.
Bern – Die Betreiberin des AKW Mühleberg, die BKW, hat noch nicht entschieden, ob sie den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts weiterzieht. Sie ist überzeugt, auch ohne Mühleberg überleben zu können. Unklar bleibt, ob sich die Nachrüstungen für den Konzern lohnen würden. Viel gab es für BKW-Verwaltungsratspräsident Urs Gasche nicht zu kommunizieren, als er am Donnerstagmittag alleine vor die Medien in Bern trat. «Wir haben noch keinen definitiven Entscheid gefällt», sagte er.
Der Energiekonzern habe das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts erst kurz gesichtet und Widersprüche festgestellt. Nun müsse es mit Fachleuten genauer analysiert werden. Unabhängig vom Entscheid arbeite die BKW ohnehin an einem Instandhaltungskonzept. Ohne Konzept muss das Atomkraftwerk gemäss Bundesverwaltungsgericht im Sommer 2013 abgeschaltet werden. Die Betreiberin hingegen will ihr AKW so lange am Netz behalten, bis die Sicherheit nicht mehr nachgewiesen werden kann oder bis ein Ersatz vorhanden ist.
Zukunft auch ohne AKW
Über einen allfälligen Weiterzug ans Bundesgericht will die BKW frühestens am 20. März – an der Jahresmedienkonferenz – informieren. An diesem Tag legt sie auch ihre neue Strategie vor, die sie nach Fukushima aufgegleist hat und die sich an der Energiestrategie 2050 des Bundes orientiert. Die mögliche Abschaltung von Mühleberg sieht der VR-Präsident nicht als existenzielle Bedrohung für den Konzern. Gasche zeigte sich überzeugt, dass sich die BKW auch im neuen Umfeld so positioniert, «dass sie überleben kann».
«Keine falschen Gespenster an die Wand malen»
Auch für die Energieversorgung wäre das Ende von Mühleberg kein Desaster. Ein sofortiges Abschalten hätte keine kurzfristigen gravierenden Folgen, sagte der Berner BDP-Nationalrat Gasche. Er wolle «keine falschen Gespenster an die Wand malen» – die 5% weniger Strom könnten durch Importe kompensiert werden. Eine Einschätzung über die Wahrscheinlichkeit einer Stilllegung 2013 wagte Walter Wildi, Präsident der früheren eidg. Kommission für die Sicherheit von Kernanlagen (KSA, heute KSN). Im Interview mit Tagesanzeiger.ch/Newsnet sagte er: «Ich nehme an, dieser Gerichtsentscheid bedeutet mit grosser Wahrscheinlichkeit das Ende für Mühleberg.» Nur wenige Faktoren sprächen für einen Weiterbetrieb.
Frist bis Juni 2013
Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass die BKW bis im Juni 2013 ein umfassendes Instandhaltungskonzept vorlegen muss – sonst müsse das AKW abgeschaltet werden. Das Urteil wurde am Mittwoch publik. Die Richter haben damit eine Beschwerde von über 100 Anwohnern gutgeheissen. Diese wehrten sich dagegen, dass das Umwelt- und Energiedepartement (UVEK) der BKW 2009 eine unbefristete Betriebsbewilligung für Mühleberg ausgestellt hatte. Das UVEK war davon ausgegangen, dass die Sicherheit durch die Aufsicht des Nuklearsicherheitsinspektorats (ENSI) gewährleistet sei. Die Richter in Bern haben dem nun widersprochen.
Leuenberger: Entscheid leuchtet noch immer ein
Der damalige Energieminister Moritz Leuenberger (SP) verteidigte diesen Entscheid am Donnerstag. Es sei ein juristischer Entscheid gewesen, der ihm rein rechtlich noch immer einleuchte, teilte er der Sendung «Rendez-vous» von Schweizer Radio DRS schriftlich mit. Die Stellungnahme liegt der Nachrichtenagentur sda vor. Ob das heutige UVEK nun auf seinem – Leuenbergers – Entscheid von 2009 beharren wolle, sei ein politischer Entscheid, der auch unter dem Aspekt des beschlossenen Atomausstiegs beurteilt werden dürfte. Zu dieser Frage wolle er sich als alt Bundesrat nicht äussern.
Wanner: Keine Kritik am ENSI
ENSI-Direktor Hans Wanner will das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht als Kritik an seiner Behörde verstanden wissen. Das Gericht habe nichts Neues an Sicherheitsaspekten aufgebracht, sagte er am Donnerstag im «Tagesgespräch» von Schweizer Radio DRS. Der Entscheid sei «kein Entscheid gegen das ENSI» gewesen. Alle Sicherheitsanforderungen, welche die Richter nun aufgestellt hätten, habe das ENSI der BKW bereits gestellt – mit viel engeren Terminen. Die Frage, ob es sich für die BKW rechnet, die geforderten Nachrüstungen vorzunehmen, liess Wanner offen. Der Ersatz des Kernmantels würde ihm zufolge 300 bis 400 Millionen Franken kosten.
Untersuchung durch GPK steht im Raum
Politikerinnen und Politiker waren sich am Tag nach Bekanntwerden des Gerichtsurteils nicht einig über dessen Bedeutung. Die Berner SP-Nationalrätin Margret Kiener Nellen äusserte im Radio die Absicht, eine Untersuchung der Arbeit des ENSI während der letzten Jahre durch die Geschäftsprüfungskommission zu verlangen. Und der grüne Zürcher Nationalrat Bastien Girod forderte auf Anfrage, dass der ENSI-Rat als Aufsichtsorgan mehr Kompetenzen erhält und die Entscheide des ENSI überprüfen kann. Bürgerliche Nationalräte wie Christian Wasserfallen (FDP/BE) und SVP-Präsident Toni Brunner hingegen störten sich daran, dass das Gericht eine Behörde «unterwandert» habe.
Aktie weiter im Sinkflug
Die BKW-Aktie hat am Donnerstag erneut an Boden verloren. Nach Börsenschluss notierte sie bei 35 CHF, 3,4% weniger als am Vorabend. (awp/mc/upd/ps)