Bern / Baden / Lausanne – Die Energiekonzerne BKW, Alpiq und Axpo haben ihre Kostenschätzungen für die Stilllegung und Entsorgung ihrer Atomkraftwerke von 2011 überarbeitet. BKW, die den Stilllegungsprozess für das AKW Mühleberg bereits in Gang gesetzt hat und dieses Ende 2019 abschalten will, rechnet neu mit Gesamtkosten von 3,06 Mrd CHF. Insgesamt dürfte die Stilllegung und die Entsorgung der radioaktiven Abfälle aller fünf Schweizer AKW teurer werden als bislang angenommen.
Die BKW schätzt die Gesamtkosten für die Stilllegung des Kernkraftwerks Mühleberg sowie den Nachbetrieb und die Entsorgung der radioaktiven Abfälle neu auf insgesamt 3,06 Mrd CHF, wie das Unternehmen am Donnerstag mitteilte. Die neue Kostenstudie gewichte mögliche Risiken nochmals stärker, heisst es zur Erklärung. Die BKW spricht von einer Erhöhung der Kosten um 9,4%, die hauptsächlich auf eine vorsichtige Projektplanung und höhere Risikozuschläge zurückzuführen sei sowie auf Änderungen und Verzögerungen in der Planung der geologischen Tiefenlager für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle.
Keine Wertberichtigungen
Zuletzt hatte BKW noch mit 0,8 Mrd CHF für Rückbau und Nachbetrieb sowie rund 1,3 Mrd CHF für die Entsorgung gerechnet, also insgesamt 2,1 Mrd CHF. Allerdings seien in dieser Rechnung bereits geleistete Entsorgungskosten nicht enthalten, wie ein Sprecher des Unternehmens auf Anfrage von AWP erklärte. Verglichen mit den 2,1 Mrd erhöhte sich diese Kostenschätzung auf 2,3 Mrd.
Die Mittel für die Stilllegung seien bereits heute in vollem Umfang vorhanden und die neuen Schätzwerte hätten keine zusätzlichen Wertberichtungen zur Folge, versichert der Berner Energiekonzern. Daran ändere auch die heute kommunizierte Zunahme bei den geschätzten Gesamtkosten nichts, da insbesondere die Kosten für die Endlagerung zeitlich deutlich später anfallen, als noch in der letzten Kostenstudie angenommen.
Gesamtkosten 10% höher als 2011 gesehen
Insgesamt dürften die Stilllegung der Schweizer AKW und die Entsorgung der radioaktiven Abfälle teurer werden als bislang angenommen. Gemäss einer aktuellen Kostenstudie belaufen sie sich auf 22,8 Mrd CHF, 10% mehr als noch bei der letzten Einschätzung im Jahr 2011.
Die neue Kostenstudie 2016, die von swissnuclear im Auftrag der Kommission für den Stilllegungsfonds und den Entsorgungsfonds (STENFO) durchgeführt wurde, ist am Donnerstag in Bern vorgestellt worden. Sie wird nächstes Jahr von unabhängigen Experten überprüft.
Anschliessend wird das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) auf Grund des Antrags der STENFO die endgültigen Kosten für die Periode 2017 bis 2021 festsetzen.
«Wir gehen davon aus, dass Mitte 2018 die definitiven Beiträge der Kernkraftwerksbetreiber für die Stilllegungs- und Entsorgungsfonds festgelegt werden können», sagte STENFO-Präsident Raymond Cron vor den Medien. Gemäss seinen Worten sind die beiden Fonds auf Kurs. «Sie decken die Kosten der Ausserbetriebnahme der Kernanlagen ab», sagte er. Eingeflossen seien in die neue Berechnungsbasis auch die Erkenntnisse aus der Stilllegung von Kernanlagen im Ausland.
Damit die Kosten für die Stilllegung der Kernkraftwerke gesichert sind, wurde 1984 der Stilllegungsfonds gegründet. Gemäss den aktuellen Berechnungen belaufen sich die Stilllegungskosten für die fünf schweizerischen AKW und das Zentrale Zwischenlager in Würenlingen (Zwilag) auf rund 3,6 Mrd CHF.
Ende 2015 belief sich das angesammelte Fondskapital auf knapp 2 Mrd CHF. Die noch ausstehenden Mittel werden durch Fondsbeiträge der Kernkraftwerkbetreiber und durch Kapitalerträge des Fonds bereitgestellt.
Deutlich höhere Entsorgungskosten
Bedeutend teurer sind die Entsorgungskosten, die für Planung, Bau und Betrieb von Entsorgungsanlagen eingesetzt werden. Sie belaufen sich gemäss der Kostenstudie 2016 auf 19,2 Mrd. Die während des Betriebs anfallenden Entsorgungskosten werden durch die Betreiber direkt bezahlt. Bis 2015 waren dies 5,5 Mrd CHF. Bis zur Ausserbetriebnahme aller Kernkraftwerke werden es 7,5 Mrd CHF sein.
Die AKW-Betreiber werden somit bis zur Ausserbetriebnahme noch 2,0 Mrd CHF direkt zu bezahlen haben. Die verbleibenden 10,5 Mrd CHF (exklusiv einem Bundesanteil von 1,2 Mrd CHF) wird der Fonds decken, in dem sich Ende 2015 4,2 Mrd befanden.
Die ausstehenden Mittel werden durch Fondsbeiträge der KKW-Betreiber und durch Kapitalerträge des Fonds sichergestellt. Der grösste Teil der noch verbleibenden 6,3 Mrd CHF könne aufgrund des langen Anlagehorizontes der Fonds von bis zu 100 Jahren durch die Verzinsung erwirtschaftet werden, hiess es.
Positive Auswirkungen hat auch der Umstand, dass das geologische Tiefenlager zehn bis 15 Jahre später als ursprünglich geplant in Betrieb genommen werden kann, wie Cron sagte. Damit fallen die zu leistenden Beiträge später an und die Zinserträge würden höher ausfallen als bisher angenommen.
Kritik von Energiestiftung und Greenpeace
Die Umweltorganisation Greenpeace und die Schweizerische Energiestiftung (SES) haben die Kostenstudie kritisiert. Seit den ersten Schätzungen 1992 hätten sich die geschätzten Kosten mehr als vervierfacht, teilte Greenpeace mit. Das Versprechen an kommende Generationen, die atomare Altlast zu tilgen, werde nicht eingelöst.
Auch für die SES sind die Kostenschätzungen nach wie vor zu optimistisch. Würden die Rückstellungen nicht erhöht, bleibe die offene Rechnung am Schluss an den Steuerzahlenden hängen.
Die mittlerweile auf 22,8 Mrd CHF veranschlagten Kosten entsprächen einer Steigerung von knapp 50 Prozent seit 2006. Unabhängige Experten schätzten sie derweil auf 50 bis 100 Mrd CHF, schreibt die SES. (awp/mc/upd/ps)