Herrliberg – 20 Jahre nach dem EWR-Nein kündigt SVP-Nationalrat Christoph Blocher an: Mit einem Referendum gegen das Stromabkommen will er verhindern, dass die Schweiz künftig automatisch EU-Recht übernimmt. Im Interview mit der sda erinnert sich Blocher an 1992 – eine Zeit nächtlicher Zweifel und Warnungen vor dem Teufel.
«Die Geschichte hat mir mehr Recht gegeben, als ich gedacht hatte», bilanzierte Blocher 20 Jahre nach dem Volks- und Stände-Nein zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sda zeigte er sich überzeugt: Dass es der Schweiz heute viel besser gehe als den meisten EU-Ländern, liege daran, dass sie nicht EU-Mitglied sei. Weil er die Unabhängigkeit der Schweiz nach wie vor gefährdet sieht, kündigt Blocher an: «Jetzt stehen wir am Anfang eines neuen widerlichen Kampfes.»
Referendum zu Stromabkommen
Konkret will er das Referendum gegen das Energieabkommen ergreifen, das der Bundesrat mit der EU aushandeln will. Das Abkommen soll die Übernahme von EU-Recht und damit die institutionelle Anbindung regeln – als Vorbild für künftige Verträge. Der Begriff Stromabkommen töne harmlos, sagte Blocher, «aber dahinter versteckt sich ein Kolonialvertrag, der schlimmer ist als der EWR». Noch in diesem Jahr soll ein grosses überparteiliches Komitee gegründet werden, das den Abstimmungskampf vorbereitet. Bisher arbeite ein kleiner Kreis die Materialien auf. Die Namen seiner Mitstreiter wollte Blocher nicht nennen.
Gegen Ogi: Ein neuer Stil in der Schweiz
Der emotionale und aggressive Abstimmungskampf 1992 war neu in seiner Art und für die Schweiz. Blocher kämpfte gegen den eigenen SVP-Bundesrat Adolf Ogi und wurde durch den Erfolg in der Abstimmung vom 6. Dezember zum starken Mann der Partei. Deren Aufstieg begann ebenfalls mit diesem Tag. Doch so überzeugt sich Blocher gegen den EWR engagierte, so sicher war er sich seiner Sache nicht immer: Während des Abstimmungskampfs hätten ihn nachts oft Zweifel beschlichen, sagte Blocher zur sda. Tagsüber sei er dann wieder sicher gewesen. Aber er habe sich oft gefragt, ob es möglich sei, dass alle anderen falsch lagen – sowohl die von ihm so bezeichnete «Classe politique» als auch seine industriellen Freunde.
«C’est le diable qui vient»
Am Ende des Abstimmungskampfs sei er erschöpft gewesen, auch körperlich: «Ich ging um 20 Uhr ins Bett, während meine Kollegen mit Feuerwerk feierten.» Während eines Jahres hätten er und sein Mitstreiter Otto Fischer jeden Tag mindestens einen Vortrag gehalten, um das Stimmvolk von einem Nein zu überzeugen. Auf wenig Sympathie stiess er dabei in der Romandie. Als er an der Universität Freiburg gesprochen habe, hätten Studenten und Professoren Plakate aufgehängt mit der Warnung «C’est le diable qui vient» – es sei der Teufel, der da komme.
Nicht mehr alleine
Der heute 71-Jährige legt Wert auf die Feststellung, dass er nicht grundsätzlich gegen Europa ist – die Schweiz sei ja selber auch ein europäisches Land. Aber die EU hält er für eine «intellektuelle Fehlkonstruktion»: «Zum Glück bin ich heute nicht mehr der Einzige, der das einsieht.» Die Frage, wie lange es die EU noch gibt, könne er nicht beantworten. Vielleicht werde sie nicht auseinanderbrechen, doch die dezentralen Kräfte werden Blochers Einschätzung nach zunehmen. Vor allem aber werde sie wirtschaftlich keinen Erfolg haben – das sei das Hauptproblem.
Auch bei Frage nach einem möglichen Scheitern des Euro hält sich der alt Bundesrat zurück. Die EU wolle die Gemeinschaftswährung mit aller Kraft halten, weil sie merke, dass sonst die ganze Konstruktion auseinanderfalle. «Den Euro hat man nicht aus wirtschaftlichen Gründen geschaffen, sondern um die Völker stärker miteinander zu verbinden. Nur funktioniert er ökonomisch nicht: Arbeitslosigkeit und Armut sind die Folge.» (awp/mc/ps)