Breites Bekenntnis zur Personenfreizügigkeit
Kontrolle auf einer Baustelle in der Schweiz.
Bern – Gewerkschaften, Arbeitgeber, Baumeister und auch die Parteien mit Ausnahme der SVP bekennen sich zur Personenfreizügigkeit und unterstützen die Verschärfung der flankierenden Massnahmen. Vor allem die Arbeitnehmerseite verlangt aber eine Stärkung der Kontrollorgane. Einen Revisionsentwurf, das bei der Scheinselbständigkeit, beim Dumpinglöhnen und bei der Durchsetzung von Gesamtarbeitsverträgen ansetzt, hatte der Bundesrat letzten September in die Vernehmlassung geschickt.
Unter anderem in diesen Bereiche hatten Parteien und Verbände die Lücken in den 2004 in Kraft gesetzten flankierenden Massnahmen geortet. «Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass Regelungslücken bestehen und sich Missbräuche häufen», schrieb etwa die FDP in ihrer Stellungnahme. Laut Travail.Suisse haben die paritätischen Kommissionen 2010 bei vier von zehn kontrollierten Betrieben Verstösse festgestellt – Tendenz stark steigend.
Schutz ausgehebelt
Als eines der grössten Probleme gilt die Scheinselbständigkeit, mit der der Schutz des Personals unterlaufen wird. Der Bundesrat schlägt vor, im Entsendegesetz eine Dokumentationspflicht einzuführen: Selbständige Dienstleister aus der EU müssten an Ort und Stelle nachweisen können, dass die tatsächlich als Selbständige arbeiten. Als Sanktionen drohen Bussen und neu auch die Anordnung eines Arbeitsunterbruchs. Weiter sollen auch inländische Arbeitgeber gebüsst werden können, wenn sie ihren Angestellten weniger als den in einem Normalarbeitsvertrag festgelegten Mindestlohn bezahlen. Bisher drohten Bussen nur Arbeitgebern aus der EU, die Personal in die Schweiz entsenden.
Arbeitgeber sollen Beiträge an Kontrollen leisten
Schliesslich sollen auch die Sanktionen in Gesamtarbeitsverträgen leichter allgemeinverbindlich erklärt werden können. Von den Arbeitgebern könnten künftig Beiträge für die Kontrolle über die Einhaltung erleichtert allgemeinverbindlich erklärter Gesamtarbeitsverträge erhoben werden.
Weitergehende Forderungen
Die Revision wurde von Bundesrat Johann Schneider-Ammann an einem runden Tisch mit Sozialpartnern, Wirtschaftsverbänden und Kantonen aufgegleist. Entsprechend gross ist die Zustimmung zum Reformpaket. Parteien und Verbände begrüssen die Stossrichtung der Reform. In einzelnen Punkten gibt es aber auch Kritik. Baumeisterverband und Gewerkschaften verlangen, dass der Vollzug und die Kontrollorgane weiter gestärkt werden. Gewerkschaftsbund und SP möchten eine Solidarhaftung über die ganze Kette der Subunternehmer sowie flächendeckende Mindestlöhne in jenen Branchen, in welchen Lohndumping festgestellt wird. Weil entsprechende Vorschriften fehlen, stellen die Vorschläge für Travail.Suisse nur ein «Minimum» dar.
Kaution zur Absicherung von Missbräuchen
Es sei nicht klar, wie der Vollzug der flankierenden Massnahmen verbessert werden solle, kritisiert auch die CVP. Die Partei regt zudem an, dass die Einführung einer Kaution zur Absicherung von Missbräuchen geprüft wird.
Wirtschaft blockt ab
Economiesuisse, Gewerbeverband und FDP unterstützen die Vorschläge, lehnen weitergehende Massnahmen jedoch ab. Der liberale Arbeitsmarkt gehöre zu den zentralen Standortvorteilen der Schweiz, schreibt die FDP. Daran dürfe nicht gerüttelt werden. Nach Ansicht des Gewerbeverbands müssen die flankierenden Massnahmen auch in Zukunft strikt auf die Verhinderung von Missbräuchen beschränkt bleiben.
SVP will mit EU neu verhandeln
Nur die SVP stellt die Verschärfung der flankierenden Massnahmen, die sie mit ihrer Masseneinwanderungs-Initiative zumindest beschleunigt hatte, grundsätzlich in Frage. In ihrer Antwort verlangt sie Neuverhandlungen der Personenfreizügigkeit mit der EU. Die vorgeschlagenen Massnahmen gegen Scheinselbständigkeit begrüsst aber auch die SVP. (awp/mc/ps)