Bundesrat verurteilt Einmarsch in Ukraine und verschärft Massnahmen
Bern – Bundespräsident Ignazio Cassis hat am Donnerstag im Namen des Gesamtbundesrats den russischen Einmarsch in die Ukraine aufs Schärfste verurteilt. Die Schweiz wird zudem faktisch alle bisher getroffenen EU-Sanktionen gegenüber Russland übernehmen.
«Russland hat das Völkerrecht massiv verletzt», sagte der Aussenminister nach einer ausserordentlichen Bundesratssitzung vor den Medien in Bern. Er bedauerte den militärischen Konflikt auf europäischem Boden. «Der Bundesrat fordert Russland auf, seine Truppen vom ukrainischen Boden zurückzuziehen.»
Diese Meinung hat der Bundesrat laut Cassis auch dem russischen Botschafter in der Schweiz «unmissverständlich» mitgeteilt. Die Regierung mache sich grosse Sorgen um die ukrainische Bevölkerung, doch die Krise betreffe ganz Europa.
Nach seiner kurzen Ansprache musste Cassis direkt weiter an eine Krisensitzung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Fast alle Parteien für Sanktionen
Praktisch alle Schweizer Parteien ausser der SVP hatten die rasche Übernahme der Sanktionen der EU gefordert. «Die Schweiz darf nicht der europäische Businesshub für Russlands Krieg werden», wurde Mitte-Parteipräsident Gerhard Pfister in einer Mitteilung zitiert. Die vage Ankündigung des Bundesrats zu möglichen Verschärfungen von Massnahmen kritisierte Pfister als «enttäuschenden Nicht-Entscheid» des Bundesrats.
Die linken Parteien verlangten sofortige Sanktionen. Für die SP agierte die Regierung «verantwortungslos», weil sie die EU-Sanktionen gegen das Putin-Regime nicht vollumfänglich übernehme, hiess es in einer Mitteilung.
Die SVP dagegen bekräftige ihre Haltung, dass die Schweiz nur Sanktionen von Organisationen übernehmen soll, in denen sie auch Mitglied ist, also von der Uno, nicht aber von der EU. Der Bundesrat solle einzig dafür sorgen, dass die neutrale Schweiz nicht für die Umgehung von Sanktionen anderer Staaten missbraucht werde und ihre guten Dienste anbieten, teilte die Partei mit.
Weniger strikt im Finanzbereich
Gemäss den Aussagen verschiedener Experten des Bundes übernimmt die Schweiz faktisch alle bisher getroffenen EU-Sanktionen gegenüber Russland – mit einer Ausnahme. Vorerst sollen in der Schweiz keine Gelder von Privatpersonen eingefroren werden.
Bei den Finanzsanktionen gegen Personen geht die Schweiz etwas weniger weit als die EU, verschärft aber ihre heutige Praxis ebenfalls. So soll die Meldepflicht durch eine strengere, noch zu definierende Massnahme ersetzt werden, wie Botschafter Erwin Bollinger bekanntgab.
Juristisch betrachtet setzt der Bundesrat seinen Entscheid über die heute geltende sogenannte Umgehungsverhinderungsverordnung um. Diese nimmt die allermeisten Massnahmen der EU auf. «Das hat mehr oder weniger denselben Effekt, als wenn Sanktionen direkt beschlossen würden», sagte Bollinger.
Ukrainischen Asylgesuche sistiert
Ausserdem hat das Staatssekretariat für Migration (SEM) die Behandlung von ukrainischen Asylgesuchen vorläufig eingestellt. Ende 2021 waren in der Schweiz 116 Gesuche von Staatsangehörigen aus der Ukraine hängig.
Im Weiteren beobachte das SEM die Entwicklung in der Ukraine aufmerksam, hiess es in einem Tweet der Behörde vom Donnerstag. Ob es bei der Asyl- und Wegweisungspraxis Anpassungen brauche, könne man zur Zeit nicht sagen.
Kommende Woche wird Bundesrätin Karin Keller-Sutter ausserdem am Treffen der EU-Innenminister in Brüssel teilnehmen, wie Christine Schraner Burgener, Staatssekretärin für Migration, vor den Medien sagte. Die Situation in der Ukraine werde sicherlich besprochen werden.
Wirtschaftliche Folgen
Erwartungsgemäss sind die Börsen mit dem Ausbruch des Kriegs zwischen Russland und der Ukraine eingebrochen. Noch unklar ist, welche längerfristigen Auswirkungen der Krieg für die Schweizer Wirtschaft haben wird.
David Marmet, Chefökonom der ZKB, schätzt die Auswirkungen wegen der geringen Vernetzung der Region mit der Schweiz als nur gering ein. Auch Mario Ramò, stellvertretender Leiter Aussenwirtschaft beim Schweizer Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, glaubt nicht, «dass es zu grossen Ausschlägen für die Schweizer Aussenwirtschaft kommt».
Gemäss Ramò treibt die Schweiz mit der Ukraine Handel in der Höhe von 740 Millionen Franken und mit Russland in der Höhe von 4,7 Milliarden Franken.
Mehrere Kundgebungen
In der Schweiz gingen am Donnerstag in mehreren Städten – darunter Bern, Zürich und St. Gallen – insgesamt über tausend Menschen spontan für Anti-Kriegsdemonstrationen auf die Strassen. Sie demonstrierten gegen den russischen Angriff auf die Ukraine. In Bern waren zahlreiche ukrainische Flaggen zu sehen, wie ein Korrespondent der Nachrichtenagentur Keystone-SDA berichtete.
Manche Demonstrierende waren ganz in den Landesfarben Azurblau und Goldgelb gekleidet. Auf Transparenten standen Slogans wie «Ukraine needs help» (Auf Deutsch: Die Ukraine braucht Hilfe) und «Kein Geld für russische Oligarchen». Zur Kundgebung aufgerufen hatten Ukrainer in der Schweiz. (awp/mc/ps)