Bern – Angesichts der Stagnation bei Neuimpfungen ist es für Bundespräsident Guy Parmelin an der Zeit, andere Massnahmen voranzutreiben: das Boostern etwa. Zudem befürchtet er Konflikte zwischen Kantonen, sollte es zu einer Überlastung des Gesundheitssystems kommen.
Bundespräsident Guy Parmelin ist überzeugt, dass die dritte Impfung gegen das Coronavirus bald auf die Gesamtbevölkerung ausgeweitet werden muss. Denn irgendwann komme der Moment, wo man sich eingestehen müsse, dass nicht mehr viele vom Impfen überzeugt werden könnten, sagte er nach der nationalen Impfwoche in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag». «Dann müssen wir das Ergebnis zur Kenntnis nehmen, Schadensbegrenzung betreiben und anderes vorantreiben: den Booster etwa.»
Dennoch bereite ihm die Frage Sorge, ob der «Damm, den wir mit den Impfungen errichtet haben», hoch genug sei. Denn die Schweiz sei nach wie vor nicht dort, wo sie sein sollte. Eine Überlastung des Gesundheitswesens könne weiterhin nicht ausgeschlossen werden. Zudem würden sich die Impfraten in den einzelnen Kantonen stark unterscheiden. Dieses Problem werde unterschätzt, warnte Parmelin.
«Was passiert, wenn das Gesundheitswesen in der 5. Welle wieder an den Anschlag kommt und man Patienten in andere Kantone verlegen muss?», fragte Parmelin. «Ist ein Kanton mit einer hohen Impfquote immer noch bereit, ungeimpfte aus einem Kanton mit tieferer Impfquote zu übernehmen? Oder wird er das ablehnen oder dafür Geld verlangen?» Auch aus diesem Grund sei es wichtig, dass die betroffenen Kantone mit dem Impfen weitermachen.
Lockdown unbedingt verhindern
«Einen neuerlichen Lockdown wollen wir unbedingt verhindern», sagte Parmelin. Und strengere Regeln wolle der Bundesrat nur erlassen, wenn sie absolut nötig sein sollten. Gemeint ist damit etwa die 2G-Regel, die den Zugang für ungeimpfte oder nicht von einer Corona-Infektion genesene Personen zu gewissen Bereichen des Lebens beschränkt. Österreich etwa hat angesichts der stark steigenden Fallzahlen auf diese Massnahme zurückgegriffen.
Es wisse, dass diejenigen, die sich impfen liessen, sich nach Normalität sehnten, sagte Parmelin. Er habe Post von viele Leuten erhalten, die ihm geschrieben hätten, dass sie nicht auf immer gezwungen sein wollten, wegen einer impfunwilligen Minderheit die Massnahmen mitzutragen.
Im Hinblick auf den gehässigen Ton in der Gesellschaft und im Abstimmungskampf wollte Parmelin im Interview daran erinnern, dass die Schweiz ein Rechtsstaat und eine lebendige Demokratie sei. Man könne über alles streiten, in der Sache auch hart – aber mit Respekt. «Und wenn Entscheide demokratisch getroffen wurden, dann gelten sie für alle.» Es sei das Recht eines jeden, sich nicht impfen zu lassen. Aber er müsse sich trotzdem an die demokratisch beschlossenen Schutzmassnahmen halten. «Gewisse Leute sind sich nicht mehr bewusst, dass es Grenzen gibt.»
Parmelin betrachtete im Interview auch die Rolle des Bundesrats. Die Aufgabe der Regierung sei es, an die Regeln zu erinnern. Und der Bundesrat müsse vielleicht noch besser erklären, wieso er was beschliesst – «auch wenn wir dies bereits nach Kräften tun». Aber irgendwann stosse die Politik an Grenzen. «Die Mentalität der Menschen können wir nicht ändern», sagte Parmelin. Dann gelte: «Wo rechtliche Regeln gebrochen werden, kommt die Justiz zum Zug.» (awp/mc/ps)