Berset geht nach zwölf Jahren, 29 Abstimmungen und einer Pandemie

Berset geht nach zwölf Jahren, 29 Abstimmungen und einer Pandemie
Bundesrat Alain Berset. (Screenshot)

Bern – Nach drei Legislaturen im Departement des Innern, 29 Volksabstimmungen und einer Pandemie geht Bundesrat Alain Berset. Im Dezember will er sich nicht mehr zur Wahl stellen für eine vierte Legislatur.

Es sei der richtige Moment das für diesen Schritt, sagte an Jahren jüngste, aber mittlerweile amtsälteste Bundesrat am Mittwoch in Bern vor den Medien. Er sei 51 Jahre alt und seit über elf Jahren Mitglied der Landesregierung. Noch nie zuvor habe er einen Job derart lange Zeit ausgeübt. Es sei Zeit für eine Veränderung.

«Ensuite – on verra»
Über das, was er nach seiner Zeit im Bundesrat unternehmen wird, hat sich Berset laut eigener Aussage noch keine Gedanken gemacht. Er gebe bis Ende Jahr alles für seinen Job, sagte er. «Ensuite – on verra.»

Zum dritten Mal habe das Volk am Sonntag Verlängerungen im Covid-19-Gesetz bewilligt, und die Pandemie sei bewältigt, sagte Berset zum Anlass für seinen Rücktritt. Die Zeit mit Covid-19 hob er als besonders hervor. «Das war eine intensive, ausserordentliche und auch schwierige Zeit – als Bundesrat, aber auch als Privatperson.»

Während der Covid-Krise sei er an seine Grenzen gekommen, berichtete Berset. Die Arbeitslast sei «riesig» gewesen und von einer «Brutalität», die er so zuvor nicht gekannt habe. Es habe Drohungen gegeben gegen seine Person.

Kritik und Affären ohne Einfluss
Anfang Jahr war Berset ins Umfeld von Indiskretionen geraten, ausgerechnet im Zusammenhang mit Covid-19. Die Zeitung «Schweiz am Wochenende» berichtete über Mails mit Interna zu Massnahmen während der Pandemie, die Bersets ehemaliger Kommunikationschef dem Ringier-CEO Marc Walder zugespielt habe, vor den Entscheiden im Bundesrat.

Die Justiz ermittelt, und auch die Geschäftsprüfungskommissionen des Parlaments haben das Thema aufgegriffen. Er sei bereit, sich den Fragen der parlamentarischen Aufsicht zu stellen, versicherte Berset.

Kritik und Affären hätten keinen Einfluss auf seinen Abgangsentscheid gehabt, sagte Berset nun. Es habe in den vergangen Jahren diesbezüglich «viele Sachen» gegeben. Aber dies habe ihn zu keinem Zeitpunkt beeindruckt.

«Es soll ein Mensch sein»
«Es soll ein Mensch sein», sagte Berset lakonisch und ohne sich weiter zu äussern zur Frage einer Journalistin, wie er sich seinen Nachfolger oder seine Nachfolgerin vorstelle. Ratschläge hingegen formulierte er: «Es braucht Offenheit, Vielfalt und Toleranz.»

Und: Man müsse sehr viel schultern können und wissen, wohin man damit gehe. Sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin im Bundesrat sollte die Institutionen über alles stellen. «Wir machen das nicht für einen Titel oder für Privilegien, sondern um alles zu geben für das Land und für die Gesellschaft.»

29 Volksabstimmungen hat Berset bestritten, verteilt auf alle seine zwölf Amtsjahre. Unter seiner Ägide wurde mehrfach über die AHV entschieden: Die Erhöhung des Frauenrentenalters auf Jahre 65 und die Zusatzfinanzierung der AHV scheiterten zwar 2017, wurden aber vergangenes Jahr an der Urne angenommen.

Liste von Abstimmungserfolgen
Die Liste weiterer Erfolge beginnt mit dem Verfassungsartikel zur Jugendmusikförderung und führt über das Nein zur Einheits-Krankenkasse und zur Initiative für höhere AHV-Renten, die Gesetze über Präimplantationsdiagnostik und Fortpflanzungsmedizin, einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub und das Filmgesetz bis zum dritten Ja zum Covid-19-Gesetz am Sonntag.

Unterlegen ist Berset mit der Landesregierung bei der Einführung von Managed-Care in der Krankenversicherung und beim Verfassungsartikel zur Familienpolitik. Er hätte Bund und Kantone verpflichtet, die Vereinbarkeit von Familienarbeit und Erwerbstätigkeit sowie von Familienarbeit und Ausbildung zu fördern.

Gegen den Willen des Bundesrates nahmen Volk und Stände die Pflegeinitiative an, die eine Aufwertung des Pflegeberufes fordert. Auch die populäre Initiative für den Schutz von Minderjährigen vor Tabakwerbung hatte der Bundesrat nicht unterstützt.

Nachfolgediskussion eröffnet
Die Nachfolge von Berset wird in der Wintersession bestimmt. Seine Partei, die SP, will sich Zeit nehmen und den Fahrplan für die Regelung erst im September festlegen, nachdem voraussichtlich am 1. September das Fraktionspräsidium neu besetzt ist.

Im Fokus für Bersets Nachfolge dürfte nach der Wahl von Elisabeth Baume-Schneider (SP) nun die Deutschschweiz stehen. Namen möglicher Kandidatinnen und Kandidaten sind bereits gefallen, darunter jene von Ständerätin Eva Herzog (BS) und Ständerat Daniel Jositsch (ZH).

Dem früheren Nationalrat und jetzigen Basler Regierungspräsidenten Beat Jans wird das nötige Format ebenfalls zugeschrieben. Offen ist, ob sich Cédric Wermuth als SP-Co-Präsident eine Kandidatur vorstellen könnte. Dasselbe gilt für seine Kollegin an der Parteispitze, die Zürcher Nationalrätin Mattea Meyer.

Kurz vor den nationalen Wahlen im Herbst ist mit Bersets Ankündigung die Diskussion über die Vertretung der Parteien im Bundesrat neu lanciert. Andere Parteien könnten der SP den Sitz streitig machen.

Die Grünen wollen einen Bundesratssitz beanspruchen – auch wenn sie bei den Wahlen im Oktober einen Rückschlag einstecken. Sie lehnten es zuletzt aber ab, auf Kosten der SP in den Bundesrat einzuziehen. Die GLP liess am Mittwoch durchblicken, dass sie einen Angriff nicht ausschliesse. Massgebend sei der Ausgang der Wahlen im Oktober. (awp/mc/pg)

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