Bern – Die Schweiz ergreift vorerst keine Sanktionen gegen Russland wegen der Anerkennung der sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk. Mit grosser Sorge beobachtet sie aber die Gefahr einer allfälligen militärischen Auseinandersetzung, wie Staatssekretärin Livia Leu am Dienstag vor den Medien in Bern sagte.
Durch die Truppenverlegung in die beiden ukrainischen Landesteile habe Russland die Integrität und Souveränität dieses Landes verletzt. Die Schweiz anerkenne die beiden selbsternannten Volksrepubliken nicht, sagte die Chefdiplomatin im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA).
Diese Gebiete gehörten weiterhin zur Ukraine. Im übrigen verletzten die Schritte Russlands das Minsker Abkommen. Nach Angaben Leus wurde Russlands Botschafter am Dienstag ins Aussenministerium bestellt und über diese Haltung informiert.
Embargogesetz verhindert Umgehungen
Der Bundesrat schliesst sich gemäss Leu den Sanktionen von EU und USA nicht an. Sobald die EU neue Sanktionen konkretisiert, werde die Landesregierung unter Berücksichtigung wirtschaftlicher, rechtlicher und humanitärer Gesichtspunkte eine Analyse vornehmen. Die Ukraine ist gemäss Leu ein Thema an der Bundesratssitzung vom Mittwoch.
Die Staatssekretärin führte weiter aus, die Schweiz ergreife zwar aktuell keine Sanktionen. Gemäss einer Regelung von 2014 sind aber Massnahmen in Kraft, die verhindern, dass Sanktionen mit dem Umweg über die Schweiz umgangen werden.
Aufgrund dieses Embargogesetzes sind im Zusammenhang mit der Ukraine bereits Geschäftsbeziehungen gesperrt worden, wie der Internetseite des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) zu entnehmen ist. Betroffen ist etwa Dmitri Utkin, der Gründer der russischen Söldnertruppe Wagner.
Verbindliche Uno-Sanktionen
Die Schweiz übernehme generell alle Uno-Sanktionen, könne daneben aber auch Sanktionen übernehmen von ihren wichtigsten Wirtschaftspartnern, sagte Leu. Der Entscheid liege aber beim Bundesrat.
Das WBF teilte auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA mit, «dass eventuelle schweizerische Massnahmen nicht zeitgleich mit anderen Staaten getroffen werden könnten». Man sei in Kontakt mit mehreren Ländern.
Das EDA verurteilte die Anerkennung der sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk in der Ostukraine durch Russland bereits in der Nacht auf Dienstag.
Flüchtlingswellen und Lieferunterbrüche
Laut Leu hat die Eskalation in der Ukraine auch Folgen für die Schweiz. Wenn die Sicherheit in Europa bedroht sei, dann betreffe das alle. Es handle sich um einen «Rückfall in schwierigere Zeiten».
Was das für Auswirkungen habe, werde die Zukunft zeigen. Möglich seien Flüchtlingswellen, Lieferunterbrüche und weitere wirtschaftliche Folgen. «Vieles kommt auf die Dauer des Konflikts an», sagte Leu.
Laut Botschafter Hans-Peter Lenz, Leiter des Krisenzentrums im EDA, sind 296 Schweizer Bürger und Familienangehörige von Schweizern bei der Schweizer Botschaft in Kiew gemeldet, zehn davon in der Region Donezk. Zwei Schweizer Mitarbeitende der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) seien zudem im Einsatz.
Parteien für Sanktionen
Die politischen Parteien der Schweiz ausser der SVP sprachen sich für Schweizer Sanktionen gegen Russland aus. Die SVP nutzte die Krise für einen Schuss gegen das EDA.
«Geltungssüchtige Diplomaten» würden mittels «Twitter-Diplomatie»die Schweiz gefährden und die Neutralität untergraben. Die Partei will an den ausserordentlichen Sessionen am 10. März im Nationalrat und am 14. März im Ständerat gegen den von der Schweiz angestrebten Sitz im Uno-Sicherheitsrat vorgehen.
Dass bei Sanktionen der Schweiz das Gas ausgehen könnte, befürchtet der Verband der Schweizerischen Gasindustrie (VSG) nicht. Auswirkungen auf die Preise könnte der Konflikt haben, sagte VSG-Sprecher Thomas Heggli. Dank des Anschlusses aus allen Himmelrichtungen sei die Schweiz an die grossen Märkte angeschlossen, und alle Märkte hätten Zugang zu Flüssigerdgas (LNG). (awp/mc/ps)