Bern – Das Tauwetter war von kurzer Dauer: Politiker fordern eine harte Haltung gegenüber der EU. Aussenminister Ignazio Cassis kritisierte die EU beim Besuch bei seinem Amtskollegen in Paris. Zudem beklagte er die graue Liste der Steueroasen.
Die Verhandlungserfolge, die Bundespräsidentin Doris Leuthard beim Besuch von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Junker erzielte, drohen sich in Luft aufzulösen. Am Montag war bekannt geworden, dass die EU-Kommission die Schweizer Börsenregulierung nur befristet für ein Jahr als gleichwertig mit der Regulierung in der EU anerkennen will.
Eine Verlängerung will sie von Fortschritten beim Rahmenabkommen abhängig machen. In Erwartung der Äquivalenzanerkennung hatte der Bundesrat der EU jedoch die Zahlung einer weiteren Kohäsionsmilliarde zugesichert.
Scharfe Worte in Paris
Neu-Bundesrat Cassis kritisierte diese Voraussetzung am Dienstag bei einem Treffen mit seinem Amtskollegen Jean-Yves Le Drian in Paris. «Die Haltung der Schweiz ist klar: Sie erwartet von der EU die finanzielle Äquivalenzanerkennung (…) bis spätestens zur Öffnung der Börsen am 3. Januar», sagte Cassis an einer Medienkonferenz im Anschluss an das Treffen. «Ich habe Herrn Le Drian meine Unzufriedenheit über die Entwicklung in diesem Dossier mitgeteilt.»
Wenn die finanzielle Gleichwertigkeitsanerkennung durch die EU am Tag der Börsenöffnung nicht erfolge oder wenn dies zu Bedingungen geschehe, die von der Schweiz als nicht-legitim erachtet würden, werde der Bundesrat Beschlüsse treffen, sagte Cassis weiter. Er schloss nicht aus, dass die Landesregierung dabei auch auf den Entscheid zur Zahlung einer weiteren Kohäsionsmilliarde an die EU zurückkommen könnte.
Le Drian habe Verständnis für die Schweizer Position gezeigt, sagte Cassis. Bei dem Treffen äusserte er auch die «Irritation» der Schweiz darüber, dass sie jüngst «ohne vorherige Kommunikation» auf einer grauen Liste der EU für Steueroasen landete.
«Ich habe ihm offen gesagt, dass eine Beziehung zwischen Freunden nicht so abläuft. Wenn man eine freundschaftliche Beziehung hat, redet man zuerst miteinander.» Auch hierbei habe der französische Aussenminister «Verständnis» gezeigt, sagte Cassis.
Andere Saiten aufziehen
Auch in der Schweiz wurde der Ton schärfer. Die SP hatte sich bisher geschlossen hinter die Kohäsionsmilliarde gestellt. Nach dem Schlenker der EU sind auch andere Töne zu hören: Er habe damit gerechnet, dass die Gleichwertigkeitsanerkennung Teil des Pakets sei, sagte Nationalrat Beat Jans (BS) der Nachrichtenagentur sda. Nun sei alles wieder offen. Die Schweiz müsse die Anerkennung nun einfordern.
Überrascht ist Jans allerdings nicht. Die Schweiz habe die Voraussetzungen für die Anerkennung nicht geschaffen, sagte er. «Das Finanzdienstleistungsgesetz bleibt weit hinter der EU-Regulierung zurück.» So habe das Parlament die Versicherungen ausgenommen oder die Prospektpflicht für Vermögensverwalter gestrichen. Auch bei der Aufklärung der Kunden bleibe das Gesetz hinter den EU-Richtlinien.
Auch bei der CVP wächst die Skepsis. Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (BL) hält den Druck aus Brüssel für kontraproduktiv. Die Kohäsionsmilliarde werde im Parlament nun einen noch schwereren Stand haben, sagte sie. Der Zugang zum EU-Binnenmarkt sei aber wichtig und müsse in gewisser Weise erkauft werden.
Keine Konzessionen
Die SVP hat sowohl die Kohäsionsmilliarde als auch ein Rahmenabkommen stets abgelehnt. Zu Konzessionen ist sie nicht bereit – auch nicht, um Schaden für den Finanzplatz zu verhindern. Die Schweiz dürfe die Freiheit und Unabhängigkeit nicht der Börsenanerkennung opfern, sagte Fraktionschef und Nationalrat Thomas Aeschi (ZG).
Aus Sicht von SVP-Nationalrat und Banker Thomas Matter (ZH) wäre die Anerkennung der Gleichwertigkeit wichtig, aber eine Selbstverständlichkeit. Die Börsen in New York und Hong Kong seien ohne Kohäsionszahlungen oder Rahmenvertrag als gleichwertig anerkannt worden.
Das zeige den Charakter der heutigen EU. Sie sei protektionistisch und erpresserisch. «Der Bundesrat muss jetzt auf den Tisch hauen», forderte Matter.
Heikles Powerplay
Der Zürcher FDP-Nationalrat Beat Walti hingegen glaubt nicht, dass ein Powerplay Erfolg hat. Dafür hat die Gleichwertigkeits-Anerkennung seiner Meinung nach zu grosse Bedeutung. Vordergründig gehe es zwar nur um die Finanzmarkt-Infrastruktur. «Wenn aber gewisse Finanzierungsfunktionen nicht mehr gewährleistet sind, ist rasch auch der Werkplatz betroffen», sagte der Wirtschaftspolitiker.
Im Seilziehen mit der EU sieht er die Schweiz am kürzeren Hebel. «Uns tut es rascher weh», sagte Walti.»Wer mit der flachen Hand auf den Tisch haut, ist schnell am Ende», ist er überzeugt.
Bei der Äquivalenzanerkennung handle es sich nicht um etwas, worauf die Schweiz Anspruch habe, stellte auch Europarechtsprofessorin Christa Tobler in der Sendung «Heute Morgen» von Radio SRF fest. Andererseits hat ihrer Ansicht nach auch die EU gegenüber der Schweiz wenig Druckmittel beim institutionellen Rahmenabkommen. «Man kann einen Vertragspartner nicht zwingen, ein solches Abkommen abzuschliessen, das ist auch der EU bewusst.» (awp/mc/ps)