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Bern – Ein umfassendes Freihandelsabkommen mit der EU ist aus Sicht des Bundesrates keine Alternative zu den bilateralen Abkommen. Die Bilateralen deckten die Interessen der Schweiz weit besser ab, schreibt die Regierung in einem Bericht.
Seit dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative der SVP steht die Frage im Raum, wie die Schweiz ihre Beziehungen zur EU gestalten könnte. Sollte die Umsetzung der Initiative zu einer Kündigung des Personenfreizügigkeitsabkommens und zu einer Auflösung anderer bilateraler Verträge führen, käme als Alternative ein umfassendes Freihandelsabkommen in Frage. Christoph Blocher hält gar das Freihandelsabkommen von 1972 für ausreichend.
Das Parlament wollte es genauer wissen. Mit der Annahme eines Postulats von Karin Keller-Sutter (FDP/SG) verlangte der Ständerat, dass der Bundesrat die Vor- und Nachteile eines umfassenden Freihandelsabkommen untersucht und den heutigen bilateralen Abkommen gegenüberstellt.
Das Fazit des Bundesrates: Ein umfassendes Freihandelsabkommen würde gegenüber den Bilateralen einen klaren Rückschritt bedeuten. Die bilateralen Abkommen bildeten einen massgeschneiderten rechtlichen Rahmen, welcher den engen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU sowie der geografischen Lage der Schweiz im Zentrum Europas gerecht werde, schreibt der Bundesrat im am Freitag veröffentlichten Bericht.
Keine Teilnahme am EU-Binnenmarkt
Mit einem umfassenden Freihandelsabkommen würden Marktzugangserleichterungen angestrebt, die ohne Übernahme von EU-Recht oder vertraglich vereinbarte Gleichwertigkeit von Vorschriften realisierbar sind. Eine Teilnahme am EU-Binnenmarkt wäre so aber nicht möglich, hält der Bundesrat fest.
So wäre etwa nicht gewährleistet, dass Industrieprodukte, die in der Schweiz und in der EU vermarktet werden, den gleichen Anforderungen unterliegen. Unter Umständen müssten unterschiedliche Produkte für beide Märkte hergestellt werden.
Für Früchte und Gemüse müssten auch im Verkehr mit der EU wieder Grenzkontrollen und Zeugnisse eingeführt werden. Auch würde der gegenseitige erleichterte Marktzugang in Dienstleistungssektoren wie dem Landverkehr und dem Luftverkehr entfallen.
Migrationszusammenarbeit gefährdet
Der Bundesrat räumt ein, dass in einigen Bereichen kaum Unterschiede bestünden zwischen den bilateralen Abkommen und einem umfassenden Freihandelsabkommen. Dies trifft insbesondere auf Bestimmungen im Warenverkehr zu, welche schon im Freihandelsabkommen von 1972 abgedeckt sind, etwa das Verbot von Zöllen auf Industrieprodukten. Laut dem Bundesrat handelt es sich aber um wenige Bereiche.
Ausserdem stellt sich für ihn die Frage, was der Übergang zu einem umfassenden Freihandelsabkommen mit der EU für die Zusammenarbeit in jenen Bereichen bedeuten würde, die nicht den Marktzugang betreffen – beispielsweise die Zusammenarbeit zu Polizei und Migration. Die jüngsten Entwicklungen deuteten darauf hin, dass die EU die Weiterführung dieser Zusammenarbeit in Frage stellen würde, schreibt der Bundesrat.
Inwieweit die EU bereit wäre, Teile der bestehenden bilateralen Abkommen durch neue Vereinbarungen im Rahmen eines umfassenden Freihandelsabkommens zu ersetzen und welche Forderungen sie damit verbinden würde, könne «bestenfalls spekulativ beantwortet werden», heisst es im Bericht weiter.
Nur auf dem Papier mehr Autonomie
Die Befürworter eines Freihandelsabkommens sehen darin den Vorteil, dass die Schweiz die Zuwanderung eigenständig steuern könnte und generell mehr Handlungsautonomie hätte. Auch hier ist der Bundesrat aber skeptisch. Formell wäre die regulatorische Eigenständigkeit sicherlich gewährleistet, schreibt er. Es erscheine aber fraglich, inwieweit damit das Ziel einer grösseren Eigenständigkeit tatsächlich erreicht würde.
Aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtung mit den Nachbarstaaten habe die Schweiz ein Interesse daran, eine gewisse Rechtsharmonisierung mit dem europäischen Umfeld sicherzustellen, gibt der Bundesrat zu bedenken. Das Vermeiden unnötiger Abweichungen sei für eine kleine exportabhängige Volkswirtschaft wie die Schweiz unumgänglich.
Aus diesem Grund orientiere sich die Schweiz bei ihrer Regulierung in vielen Bereichen unabhängig von den bilateralen Verträgen an den wichtigsten Handelspartnern, also insbesondere an der EU. «Die zusätzliche regulatorische Eigenständigkeit, welche sich im Rahmen eines Freihandelsansatzes ergeben würde, ist daher zu relativieren», schreibt der Bundesrat. Die Nachteile wären aber bedeutend. (awp/mc/ps)