Bundesrat gegen Notrecht wegen Flüchtlingen
EJPD-Vorsteherin Simonetta Sommaruga. (© World Economic Forum/swiss-image.ch)
Bern – Der Bundesrat sieht eine Flüchtlingskrise auf internationaler Ebene, nicht aber in der Schweiz. Notrecht kommt für ihn derzeit nicht in Frage, wie er auf Vorstösse aus dem Parlament schreibt.
Die aktuellen Flüchtlingsströme werden in der kommenden Herbstsession zu reden geben. Zum einen berät der Nationalrat über die Asylreform zur Beschleunigung der Verfahren. Zum anderen werden National- und Ständerat eine Sonderdebatte führen, welche die SVP verlangt hatte.
SVP-Vertreter fordern mit Motionen ein «sofortiges Asylmoratorium». Der Bundesrat soll mittels Notrecht die Anwendung des Asylgesetzes für mindestens ein Jahr teilweise ausser Kraft setzen. Während dieser Zeit dürften keine Personen mehr ins Asylverfahren aufgenommen oder als Flüchtlinge anerkannt werden.
Verletzung der Flüchtlingskonvention
Der Bundesrat weist in seiner am Donnerstag veröffentlichten Stellungnahmen zu den Vorstössen darauf hin, dass die vorgeschlagenen Massnahmen der Flüchtlingskonvention widersprechen würden. Ausserdem seien sie mit den Zielen des Bundesrates in der Asylpolitik nicht vereinbar.
Der Bundesrat verfolgt zwei übergeordnete Ziele: Zum einen sollen Menschen, die auf Schutz angewiesen sind, diesen Schutz in der Schweiz erhalten, zum anderen sollen Menschen, die nicht auf diesen Schutz angewiesen sind, die Schweiz rasch wieder verlassen.
Notrecht nur in Krisensituation
Notrecht dürfe er nur als «Ultima Ratio» anwenden, erklärt der Bundesrat. Im Jahr 2012 hatte er ein Notfallkonzept für ausserordentliche Lagen im Asylwesen verabschiedet. Zu den vorgesehenen Massnahmen gehört die Notstandsklausel im Asylgesetz. Sie ermächtigt den Bundesrat, in Abweichung des Asylgesetzes die Voraussetzungen für die Asylgewährung zu regeln und vereinfachte Verfahrensbestimmungen zu erlassen.
In Frage käme das laut dem Bundesrat aber nur bei einer ausserordentlich hohen Zahl von Asylsuchenden. Die Voraussetzungen wären dann gegeben, wenn die Strukturen dauerhaft überlastet wären und eine ordentliche Behandlung der Asylgesuche auf unabsehbare Zeit nicht mehr sichergestellt wäre.
Weit von Krisenszenario entfernt
Die aktuelle Situation sei zwar schwierig, aber die Schweiz sei weit von einem Krisenszenario entfernt, schreibt der Bundesrat. Es seien umgehend Massnahmen getroffen worden, um die Unterbringungskapazitäten zu erhöhen. Der Bundesrat rechnet nach wie vor mit rund 29’000 Asylgesuchen für das Jahr 2015.
Dem Parlament beantragt die Regierung, die SVP-Motionen abzulehnen. Auch Forderungen aus anderen Fraktionen zur Asylpolitik erteilt er eine Absage. Die Grüne Fraktion etwa fordert, dass die Schweiz mehr zur Linderung der Katastrophe beiträgt. Namentlich soll der Bundesrat das Botschaftsasyl wieder einführen, die Hilfe vor Ort verstärken, die Aufnahme eines zusätzlichen Flüchtlingskontingents vorbereiten und die am stärksten betroffenen EU-Länder unterstützen.
Legale Einreisewege schaffen
Ferner soll sich der Bundesrat nach dem Willen der Grünen dafür einsetzen, dass die Dublin-Staaten Möglichkeiten für Flüchtlinge schaffen, nach Europa zu gelangen, ohne illegal mit Schleppern einreisen zu müssen. Und er soll sich für eine Reform des Dublin-Systems einsetzen mit dem Ziel, dass die Flüchtlinge nach Wirtschaftsstärke der einzelnen Staaten verteilt werden.
Der Bundesrat schreibt dazu, er verfolge die Situation aufmerksam und sei überzeugt, dass eine kohärente Lösung nur in Zusammenarbeit mit allen betroffenen europäischen Ländern möglich sei. Dass auf EU-Ebene das Botschaftsasyl eingeführt wird, hält der Bundesrat derzeit für unrealistisch, wie er in der Stellungnahme zu einem Vorstoss aus den Reihen der SP schreibt. Sollte das zur Diskussion stehen, wäre der Bundesrat aber bereit, die Frage auch für die Schweiz zu prüfen.
Aufnahme nach Grad der Lebensbedrohung
Zu den weiteren Vorschlägen aus dem Parlament gehört jener von Jean-Pierre Graber (SVP/BE) für eine neue Regelung: Asylsuchende sollen je nach Intensität von Verfolgung und Lebensbedrohung aufgenommen werden.
Der Bundesrat weist darauf hin, dass durch die prioritäre Behandlung der Asylgesuche von Personen aus Ländern mit einem geringen Anteil Schutzbedürftiger die Anzahl offensichtlich unbegründeter Asylgesuche habe gesenkt werden können. Eine graduelle Abstufung nach Intensität der Verfolgung wäre aus seiner Sicht nicht opportun.
Als Flüchtling werde nur erkannt, wer im Heimatland verfolgt werde, hält der Bundesrat fest. Die Verfolgungsmassnahmen müssten dabei einen Grad an Intensität erreichen, der ein menschenwürdiges Leben verunmögliche oder in unzumutbarer Weise erschwere. Kriegsflüchtlinge würden vorläufig aufgenommen. (awp/mc/ps)