Bern – Volk und Stände haben am Sonntag erneut ein deutliches Bekenntnis zum bilateralen Weg mit der EU abgegeben. Ebenso klar ist aber, dass das Rahmenabkommen in der vorliegenden Form keine Chance hat. Es stehen heisse Wochen bevor.
Die EU fordert seit langem eine institutionelle Lösung mit einer Streitbeilegung, um in jenen Bereichen, in denen die Schweiz am Binnenmarkt partizipiert, eine einheitliche Rechtsauslegung und Weiterentwicklung zu garantieren. Die Verhandlungen über dieses Rahmenabkommen sind 2018 beendet worden.
Eine stärkere politische Anbindung stösst in der Schweiz aber auf zunehmende Ablehnung. Gemäss der Tamedia-Nachbefragung wünscht sich rund jede dritte Person eine weitere Präzisierung des vorliegenden Rahmenabkommens mit der EU. Jeder Fünfte will Neuverhandlungen von der EU verlangen, und fast gleich viele wollen ein Rahmenabkommen mit der EU endgültig ablehnen.
Drähte laufen heiss
Streitpunkte sind die flankierenden Massnahmen mit dem Lohnschutzniveau, die Unionsbürgerrichtlinie und die staatlichen Beihilfen. Der Bundesrat werde die Position der Schweiz in den nächsten Wochen darlegen und die Gespräche zu den noch offenen Punkten mit der EU wiederaufnehmen, sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter am Sonntagabend vor den Bundeshausmedien.
Am Montag hiess es, Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga werde noch diese Woche mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen telefonieren, «um sie detailliert über das Resultat der Abstimmung zu informieren». Es gehe dabei um eine Einschätzung des Abstimmungssonntags.
EU beharrt auf Standpunkt
Laut von der Leyen sind die Verhandlungen aber abgeschlossen: «Es geht um die Unterzeichnung und Ratifizierung des Rahmenabkommens, das wir 2018 fertig ausgehandelt haben.» Diese Haltung habe sie im vergangenen Januar beim Treffen in Davos übermittelt. «Sie gilt unverändert noch heute.»
Blockt die EU neue Verhandlungen über die Streitpunkte ab, dürfte das institutionelle Abkommen für die Schweiz gelaufen sein. Und selbst wenn der Bundesrat Gespräche führen, Verhandlungen wiederaufnehmen, Präzisierungen anbringen kann: Die Ausgangslage ist schwierig. Die Wünsche von Parteien, Verbänden und anderen Akteuren sind vielfältig, wie folgende Übersicht zeigt:
Allianz der Sozialpartner
- Im Rahmenabkommen solle das ganze Personenfreizügigkeitsabkommen ausgenommen werden. So könnten die Streitpunkte Lohnschutz und Unionsbürgerrichtlinie eliminiert werden. Generell müsse ein autonomer Lohnschutz gewährleistet sein.
- Teile der Unionsbürgerrichtlinie müssten vom Rahmenabkommen ausgeschlossen werden. Soziale Leistungen dürften nicht unabhängig von der Erwerbstätigkeit in der Schweiz geltend gemacht werden.
- Gefordert wird ein klassisch bilateraler Streitschlichtungsmechanismus. Er soll verhindern, dass die Schweiz neue EU-Gesetze fast automatisch übernehmen muss und dass in Streitfällen der Europäische Gerichtshof als letzte Instanz entscheidet.
Wirtschaftsverbände
- Economiesuisse-Präsident Heinz Karrer fordert, dass der Bundesrat gegenüber der EU nun klar kommunizieren müsse, welche Anpassungen er bei den offenen Punkten im Rahmenabkommen wolle. «Er muss nun zügig Gespräche mit der EU führen.»
- Swissmem-Präsident Hans Hess will, dass der Bundesrat den Rahmenvertrag auch ohne Einigung der Sozialpartner verabschieden soll, wie er in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom Montag sagte.
Parteien
- Die SVP lehnt das Rahmenabkommen mit Verweis auf fremde Richter und den Verlust der Souveränität grundsätzlich ab.
- Die SP wäre eigentlich für ein Rahmenabkommen, kann diesem in der vorliegenden Form jedoch nicht zustimmen. Grund sind die ungenügenden Regeln im Bereich des Lohnschutzes.
- Die FDP begrüsst das Rahmenabkommen am ehesten in der aktuellen Form, sieht aber ein, dass es nicht mehrheitsfähig ist. Sie drängt auf rasche Gespräche zwischen Bern und Brüssel. Alt FDP-Bundesrat Johann Schneider-Ammann kommt zum Schluss, es genüge nicht, mit Brüssel Präzisierungen auszuhandeln und das Abkommen danach zu unterzeichnen. Vielmehr müsse der Bundesrat Lösungen für die heiklen souveränitätspolitischen Probleme vorschlagen. Namentlich die im Abkommen vorgesehene faktische Unterstellung des Schiedsgerichts unter den Europäischen Gerichtshof gehe zu weit.
- Die CVP möchte grundsätzlich ein Rahmenabkommen, findet den aktuellen Entwurf aber ebenfalls nicht mehrheitsfähig.
- Die Grünen fordern von der EU einen besseren Schutz gegen Lohndumping, gleichzeitig müsse die Schweiz ihr beim Schutz gegen Steuerdumping entgegenkommen.
- Die GLP verlangt vom Bundesrat mit einer Motion, «dass er das Rahmenabkommen bis Ende Jahr dem Parlament zur Beratung übergibt».
So dürfte der Wunsch von Andreas Schwab, dem Vorsitzendenden der Schweiz-Delegation im EU-Parlament, nicht in Erfüllung gehen. Er möchte «eine zeitnahe Unterzeichnung» des institutionellen Rahmenabkommens durch die Schweizer Regierung. (awp/mc/ps)