Bundesrat legt mögliche Gegenvorschläge zur RASA-Initiative vor
Bern – Der Bundesrat will den Zuwanderungsartikel anpassen, statt ihn aus der Verfassung zu streichen. Er hat am Mittwoch zwei Varianten für einen direkten Gegenvorschlag zur RASA-Initiative zur Diskussion gestellt. Die Vorschläge führen nicht zwingend zu einer Klärung.
Justizministerin Simonetta Sommaruga erinnerte vor den Bundeshausmedien daran, dass sich das Parlament für eine Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative entschieden habe, die zwar mit dem Freizügigkeitsabkommen vereinbar sei. Der Verfassungsauftrag werde damit aber nur teilweise umgesetzt. Statt Kontingente und einen Inländervorrang haben die Räte eine Vorzugsbehandlung für Stellensuchende beschlossen. «Dieser Entscheid des Parlaments soll in der Bundesverfassung abgebildet werden», sagte Sommaruga.
Mit der ersten Variante schlägt der Bundesrat daher vor, den Zuwanderungsartikel zu ergänzen: Bei der Steuerung der Zuwanderung sollen völkerrechtliche Verträge berücksichtigt werden, die von grosser Tragweite für die Stellung der Schweiz in Europa sind. Neben den bilateralen Verträgen mit der EU wäre das laut Sommaruga insbesondere die Europäische Menschenrechtskonvention.
Verhandlungen ohne Zeitdruck
Diese Variante würde auch der Tatsache Rechnung tragen, dass die Bevölkerung den bilateralen Weg mehrmals an der Urne bestätigt hat. Gestrichen werden soll zudem die Umsetzungsfrist von drei Jahren, die mit Annahme der Initiative in die Bundesverfassung geschrieben worden ist.
Die zweite Variante beschränkt sich auf dieses letzte Element. Der Konflikt zwischen Verfassung und Umsetzungsgesetz bliebe damit vorläufig bestehen. Der Bundesrat hätte aber die Möglichkeit, ohne Zeitdruck eine Anpassung des Freizügigkeitsabkommens auszuhandeln. Die Ausgangslage habe sich nach Annahme der Masseneinwanderungsinitiative schon mehrmals geändert, rief Sommaruga in Erinnerung. Die Schweiz solle aber nicht ständig als Bittstellerin in Brüssel auftreten müssen.
Die Initiative «Raus aus der Sackgasse» (RASA-Initiative), die die Masseneinwanderungsinitiative rückgängig machen will, lehnt der Bundesrat ab. Ein Gegenvorschlag soll dem Volk aber Gelegenheit geben, noch einmal über die Zuwanderung abzustimmen und die Kluft zwischen Verfassung und Gesetz zu schliessen.
Unterschiedliche Interpretationen
Was passiert, wenn Initiative und Gegenvorschlag abgelehnt werden, ist unklar. Die rechtliche Situation wäre dann die gleiche wie heute, erklärte Sommaruga. Der Normenkonflikt würde weiterhin bestehen.
Eine politische Bewertung des doppelten Neins wollte die Justizministerin nicht vorweg nehmen. Das könne heissen, dass die Bevölkerung mit der heutigen Situation zufrieden sei. Oder es könne bedeuten, dass sie auf Kontingenten für die Zuwanderung aus der EU beharre, sagte sie.
Antworten will der Bundesrat in der Botschaft ans Parlament liefern, die er bis am 27. April vorlegen muss. Zuvor wird eine Vernehmlassung mit verkürzter Frist über die beiden Varianten durchgeführt. Den Grundsatzentscheid, einen Gegenvorschlag auszuarbeiten, hatte der Bundesrat schon im Oktober gefällt.
Die Stossrichtung liess er damals offen, weil der Parlamentsentscheid über die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative noch ausstand. Ob er mit einer der beiden Varianten die RASA-Initianten zum Rückzug bewegen kann, ist unklar. Diese wollten sich vorerst nicht zu den Vorschlägen des Bundesrats äussern.
Bürger-Initiative
Die RASA-Initiative will den Zuwanderungsartikel streichen, der mit Annahme der Masseneinwanderungsartikel am 9. Februar 2014 in die Verfassung aufgenommen worden ist. Das Volksbegehren wurde im Oktober 2015 mit 110’000 Unterschriften eingereicht. Dahinter steht eine Bürgerinitiative, die von Organisationen und mehreren hundert Privatpersonen unterstützt wird, darunter Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Forschung und Kultur. (awp/mc/pg)